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17.9.1966: Die "Orion" geht auf Raumpatrouille

Silke Wünsch17. September 2016

Vor 50 Jahren flog der Raumkreuzer "Orion" zum ersten Mal ins All, um die feindlichen "Frogs" im Zaum zu halten. Die deutsche Kultserie "Raumpatrouille" startete wenige Tage nachdem "Star Trek" in den USA angelaufen war.

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Die Orion fliegt durchs All (Foto: imago)
Bild: imago/United Archives

Mit dumpfem Gedröhn schwebt das Raumschiff auf die dunkle Oberfläche eines Planeten zu. Es sieht genau so aus, wie man sich in den 1960er Jahren eine fliegende Untertasse vorstellt. Das Innere der "Orion": Futuristisch, rund, organisch und dennoch kalt. Als hätten ein paar der verrücktesten Designer der 1960er das Bühnenbild gebaut. So also sollte es im Jahr 3000 aussehen, in diesem "Märchen von Übermorgen", wie es im Vorspann von "Raumpatrouille – die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion" heißt. "Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum", heißt es weiter. Das kommt einem Science-Fiction-Fan bekannt vor: Die gerade in den USA gestartete Fernsehserie "Star Trek" spielt in einer ähnlichen Utopie. Im 23. Jahrhundert ist die Menschheit friedlich, es gibt weder Grenzen noch Geld.

Auch Deutschland kann Science Fiction

In den USA hat "Star Trek" anfangs wenig Erfolg. Die weltoffenen und toleranten Ideen des Schöpfers Gene Roddenberry waren den meisten US-Amerikanern zu fortschrittlich.

Als dagegen die "Orion" im Deutschen Fernsehen startet, ist gut die Hälfte des deutschen Fernsehpublikums begeistert. Jeden zweiten Samstag klebt die halbe Nation vor den Fernsehern. Die erste Folge "Angriff aus dem All" beginnt mit einer unheimlichen Entdeckung: Von einem fernen Planeten aus bedrohen fremde Wesen die Menschheit - die "Frogs" sind hochintelligente Aliens mit außergewöhnlichen Kräften. So können sie eine Supernova auf Kollisionskurs mit der Erde bringen. Oder per "Telenose-Strahlen" in die Gehirne terrestrischer Befehlshaber eindringen. In der letzten Folge droht der Erde eine Invasion. Sieben Folgen lang ist Commander McLane mit seiner Mannschaft damit beschäftigt, das zu verhindern.

Auf der "Astroscheibe" sieht die Orion-Crew Gefahr im Verzug (Foto: imago)
Auf der "Astroscheibe" sieht die Orion-Crew eine herannahende SupernovaBild: Imago/United Archives

Bügeleisen, Plastikbecher und Wasserhähne

Es ist die erste Science-Fiction-Serie, die in Deutschland entstanden ist. Und das mit für damalige Verhältnisse exorbitanten Produktionskosten von insgesamt 3,4 Millionen D-Mark (heute etwa 1,7 Millionen Euro). Dabei haben die Macher gespart, wo es nur geht: Die Requisiten haben sie aus dem Gemischtwarenladen um die Ecke zusammengestellt: Lineale, Bleistiftspitzer, Nähgarnrollen halten für futuristisch aussehende Geräte her. Die Deckenbeleuchtung besteht aus Plastikbechern. Ein Bügeleisen wird zur zentralen Bedieneinheit im Maschinenraum. Auf der Brücke werden verschiedene Badarmaturen verwendet.

Bei der Einrichtung greift die Produktionsfirma etwas tiefer in die Tasche. So sind teilweise echte Designerstücke im Einsatz, wie etwa eine Liege von Ludwig Mies van der Rohe oder das berühmte Trinkglas "Smoke" von Joe Colombo.

Mit viel Liebe zum Detail werden die Tricks inszeniert. Sprudelnde Aspirin-Tabletten simulieren den Antrieb der Orion beim Unterwasserstart. Sie taucht schließlich aus einem Strudel auf, der mit Zeitlupe gedreht und entsprechend angeleuchtet wurde, so dass der Eindruck entsteht, das Raumschiff sei direkt vom Boden eines riesigen Ozeans gestartet. Um weitere Kosten zu sparen, ist die Serie komplett in Schwarz-weiß gedreht worden.

Dietmar Schönherr als Commander McLane (Foto: imago)
Der österreichische Schauspieler Dietmar Schönherr wurde mit der Serie berühmt in DeutschlandBild: Imago/United Archives

Pseudowissenschaftlicher Quatsch

Die Serie polarisiert. Kritiker sagen, dies sei ein "pseudowissenschaftlicher Quatsch" (Berliner Zeitung); die FAZ nennt es "Weltraum-Kitsch mit Klischees eines öden Raum-Feldwebel-Denkens".

In der Tat gefällt vielen der Ton der Serie nicht. Oft geht es zackig-militärisch zu ("Haben wir uns verstanden? - Jawohl, General!") - und das in einer Zeit, in der junge Bundesrepublik damit beschäftigt ist, ihre gerade mal 20 Jahre zurückliegende Geschichte abzustreifen. Junge Menschen lehnen sich gegen jegliche Form von Faschismus und Militarismus auf. Es ist die Zeit der sexuellen Revolution, Love & Peace ist das Credo in Zeiten des Kalten Krieges. Ausgerechnet hier präsentiert das Fernsehen eine Serie, die mit Stereotypen von gestern aufwartet. Der charmante Draufgänger Allister McLane (Dietmar Schönherr), die unterkühlte russische Offizierin Tamara Jagellovsk (Eva Pflug) oder der ewige Spaßmacher, Whiskey- und Frauenfreund Mario de Monti (Wolfgang Völz).

Keine echte Utopie

Technisch gesehen haben die Macher in ihren Zukunftsvisionen viel Phantasie aufgebracht. Gesellschaftlich aber zeigen sie nicht den Mut, ihre Charaktere gänzlich vom Nachkriegsstaub zu befreien. Die Charaktere sind jung, mutig, anders und schick angezogen. Aber die Kraft eines wahren Revoluzzers bringt selbst der widerspenstige Commander nicht auf. Viele hätten sich gerne mehr Auseinandersetzung mit der Zukunft gewünscht, etwa wie technischer und medizinischer Fortschritt das Zusammenleben der Menschen beeinflusst.

Die Fernsehzuschauer stört das jedoch nicht. Sie feiern den smarten Dietmar Schönherr, haben Alpträume von den "Frogs" und freuen sich über die lustigen Tanzszenen aus dem "Starlight Casino" (Youtube-Clip). Bis zum Ende der Serie warten sie darauf, dass McLane die eisgekühlte Jagellovsk knackt und ihr den ersehnten finalen Kuss verabreicht. "Raumpatrouille" ist wie ein guter alter Western in Science-Fiction-Optik.