1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der Traum von der rechten Revolution

20. Juni 2017

Mit Hilfe nationalistischer Parolen und einem völkisch-rassistischen Weltbild will die Partei AfD bei der Bundestagswahl ins Parlament einziehen. Unterstützt wird sie von einem Netzwerk rechtsextremer Aktivisten.

https://p.dw.com/p/2eGSZ
Deutschland Berlin Mahnwache rechter Gruppen vor dem Bundeskanzleramt
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Melanie Schmitz trägt den Weltschmerz im Blick. Mit großen traurigen Augen singt sie große traurige Lieder berühmter Vorbilder nach - Lana del Rey oder "The Smiths". In den Sozialen Netzwerken feiert die 24-Jährige damit einige Erfolge. Ihr erfolgreichster Song ist allerdings ein politischer: der "AfD-Song".

Aktivisten im Hipster-Style

Der Wahlaufruf für die Partei der selbsternannten "Alternative für Deutschland" holzt voller politischer Anspielungen durch den musikalischen Kleingarten. Es geht gegen Bundeskanzlerin Merkel, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland, gegen die moderne offene Gesellschaft. Denn, so höhnt die blasse Sängerin: "Nur die dümmsten Kälber, zerstören ihre Heimat selber."

Melanie Schmitz ist kein Popsternchen, sondern kalkuliert-inszenierte Politaktivistin einer rechtsextremen Splittergruppe. Sie nennen sich "Identitäre Bewegung" und wollen ganz im coolen Hipster-Style junge Leute für sich und ihre reaktionäre Politik rekrutieren. Wichtigstes Ziel: Die Menschen in Deutschland sollen nach völkischen Kriterien aufgeteilt und bewertet werden. Wer ihrem Bild vom "deutsch sein" nicht entspricht, soll seine Bürgerrechte verlieren.

Identitäre Bewegung Deutschland Symbol Berlin
Demonstration der Identitären Bewegung in BerlinBild: Imago

Völkische Ideologie salonfähig machen

Um das langfristig zu erreichen, setzen sie auf die AfD als eine Partei, die sich in rasantem Tempo diesen nationalistischen und rassistischen Zielen angenähert hat. Noch im Sommer 2016 hat der AfD-Bundesvorstand eine Zusammenarbeit mit der "Identitären Bewegung" abgelehnt. Aber schon wenige Wochen später ging die Parteivorsitzende Frauke Petry einen Schritt auf die Gruppierung zu und gab die Losung aus: der Begriff "völkisch" müsse wieder positiv besetzt werden. Ein Begriff also, der in der deutschen Geschichte vor allem während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft Hochkonjunktur hatte.

Die Identitären werden in Deutschland vom Inlandsgeheimdienst beobachtet - wegen ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Er rechnet den Identitären dabei gerade mal 100 Mitglieder zu. Aber im Windschatten der aufstrebenden Partei "Alternative für Deutschland" inszenieren sie sich erfolgreich. Zahlreiche Anhänger haben in der AfD-Parteijugend Ämter übernommen. Und AfD-Funktionäre loben und fördern die Aktivisten.

Kalkulierte Tabubrüche

Denn über deren kalkulierte Tabubrüche, wie verbotene Besetzungen von Parteizentralen oder des berühmten Brandenburger Tores in Berlin, amüsiert sich die Parteibasis feixend, ohne dass die AfD gegenüber der Öffentlichkeit dafür gerade stehen muss. Der Politikwissenschaftler Hajo Funke hält diese Tabubrüche der Identitären für gefährlich: "Sie geben sich gewaltfrei, aber ihre Ideologie ist eine Gewaltideologie." Den Spitzenkandidaten der AfD bei der Bundestagswahl, Alexander Gauland, schreckt solche Kritik nicht. Im Gegenteil: "Die können alle zu uns kommen", lädt er großzügig ein.

Hajo Funke
Rechtsextremismus-Experte Hajo FunkeBild: picture-alliance/dpa

Mittlerweile umgibt sich die AfD mit einem ganzen Netz solcher rechter bis rechtsextremer Gruppierungen. Politikwissenschaftler Funke sieht sie zusammen als "kleine Bewegung". "Sie wollen ein Störfeuer mit relativer Unabhängigkeit zur AfD sein". Der teils offene Rassismus und die einzelnen Verbindungen zur Neonazi-Szene innerhalb dieser "Neuen Rechten" ist auch unter AfD-Spitzenkräften umstritten. Aber bislang eint der Traum von einer konservativen Revolution und vom Sturz der verhassten Bundeskanzlerin die junge "Alternative für Deutschland" und die um sie herum drapierten Gruppen.

Stammtischparolen mit goldenem Anstrich

Einer der emsigsten Netzwerker in dieser Szene ist der rechte Vordenker Götz Kubitschek. Der ehemalige Bundeswehrsoldat betreibt einen Buch- und Zeitschriftenverlag, ein "Institut für Staatspolitik", wie er es nennt und empfängt Freund und Feind auf einem Anwesen in Sachsen-Anhalt, das er stolz "Rittergut" nennt. Hier bringt er Identitäre, rechte Studentenverbindungen und AfD-Sympathisanten zusammen. Vor wenigen Jahren wurde Kubitschek die Mitgliedschaft in der AfD verweigert: zu rechts, zu provokant, zu pfui. Aber bis heute suchen viele Parteigrößen der AfD seine Nähe.

Seine Reden über deutsche Geschichte und Literatur und sein Raunen vom deutschen Geist verzaubern sie. Wenn der Wortakrobat Kubitschek in seinen Vorträgen von der "Schleusenzeit", von "Metapolitik" und der "Abwehr der Entortung auf dieser Welt" spricht, dann gibt das der Bewegung einen goldenen Anstrich von Geistesgröße und Tiefgang, der sich den verhassten etablierten Parteien und ihren Vordenkern in Wissenschaft und Literatur entgegenschleudern lässt. Das Praktische: Weil Kubitschek ausreichend deutlich durchblicken lässt, dass sich dahinter die alten Stammtischparolen mit Forderungen wie "Merkel muss weg", "Blut und Boden", oder "Ausländer raus" verbergen, muss man nicht jedes seiner verschwurbelten Worte verstehen, um ihm auf Protestkundgebungen zujubeln zu können.

Rechtspopulist Götz Kubitschek
Rechter Publizist und Netzwerker Götz KubitschekBild: picture alliance/dpa/O. Killig

Scheinriese von rechts

Kubitschek, die Identitären und die Partei AfD haben sich mittlerweile zu einem routinierten Zirkel zusammengeschlossen: gemeinsam mit einigen weiterer Publizisten, Schriftstellern und Aktivisten tingeln sie durch Deutschland. Sie organisieren Kongresse, Lesungen und Demonstrationen, laden sich dabei stets gegenseitig ein, zitieren ihre Publikationen fleißigst untereinander und vermitteln somit - bis in die Mitte der Gesellschaft hinein - das Bild von vermeintlicher Größe. Neugierige Sympathisanten finden dadurch an allen Ecken und Enden vermeintliche Belege dafür, dass ganz Deutschland sich in Aufruhr und Widerstand gegen die Politik der Regierung befindet.

Vorbild Trump

Gemeinsam träumen sie alle von einer Revolution à la Trump in den USA. Vom Putsch gegen die alten Eliten. Allerdings fehlt ihnen das Geld des US-Milliardärs und seiner potenten Unterstützer von Medien und Wirtschaft. Und das rechte Netzwerk in Deutschland schrumpft bei genauer Betrachtung auf eine Bewegung von wenigen hundert Aktivisten - in einem Land mit 82 Millionen Einwohnern.

USA Donald Trump designierter Präsident
Vorbild rechter Populisten: US-Präsident TrumpBild: picture-alliance/dpa/M. Reynolds

Der Erfolgsmotor dieser rechten Populisten ist in Deutschland zugleich ihr größtes Problem. Ihre Eskalations-Rhetorik vom Untergang: dass alles immer schlimmer wird, dass das Kartenhaus bald zusammenbricht und dann die Rettung von Rechts kommt. In der Realität verpufft diese Verzerrung deutscher Zustände zunehmend. Denn die Wirtschaft läuft, die Arbeitslosigkeit sinkt, die neu angekommenen Flüchtlinge sind im Alltag der Menschen kaum wahrnehmbar. Und die vermeintlich gescheiterte Bundeskanzlerin gewann zuletzt eine Regionalwahl nach der anderen. US-amerikanische Zustände sind also in weiter Ferne.

Der Protest reicht trotzdem aus, um der Politaktivistin Melanie Schmitz und ihrem "AfD-Song" auf Youtube fast 400.000 Aufrufe zu bescheren. Und damit ihren Wahlaufruf zu verbreiten: "Am Sonntag gilt‘s, sag‘ all‘n Bescheid, ganz Deutschland muss es sehn, wir geh'n und wähl‘n die AfD."  Diese Dichtkunst allein wird kaum reichen, um den Traum der rechten Netzwerker von einer Revolution in Deutschland mehrheitsfähig zu machen.

Deutsche Welle Pfeifer Hans Portrait
Hans Pfeifer Autor und Reporter