1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikIsrael

Deutschland und Israel: "Immerwährende Verantwortung"

24. April 2023

Für den 1948 gegründeten Staat Israel wurde Deutschland, das Land der Täter, bald zum diplomatischen Partner. Eine Beziehung mit kritischen Phasen - die noch heute andauern.

https://p.dw.com/p/4QDp5
Israelische Flagge vor der Reichstagskuppel
Die israelische Flagge vor der Kuppel des Berliner Reichstagsgebäudes beim Staatsbesuch von Israels Präsident Herzog 2022Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Deutschland und Israel - Eine ganz besondere Beziehung

"Der Massenmord an den Juden ging von Deutschland aus. Er wurde von Deutschen geplant und ausgeführt. Hieraus erwächst einer jeden deutschen Regierung die immerwährende Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel und den Schutz jüdischen Lebens. Wir werden das millionenfache Leid und die Opfer niemals vergessen." 

Das sagte Olaf Scholz am 2. März 2022. Der deutsche Bundeskanzler hatte damals bei seiner ersten Israel-Reise gerade die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht und äußerte sich danach sehr grundsätzlich zum Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

Dieses Verhältnis ist von besonderer Art. Es wird immer geprägt bleiben von der Schoah, dem Massenmord von Nazi-Deutschland an sechs Millionen Juden. Und doch hat sich das Verhältnis seit 1965, dem Jahr der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern, beeindruckend entwickelt. 

"Mit Ausnahme Deutschlands"

In den ersten Jahren war in jedem israelischen Pass zu lesen: "Dieser Pass ist gültig für alle Länder - mit Ausnahme Deutschlands". Der junge Staat Israel wollte strikte Distanz zum "Land der Mörder". Avi Primor, Israels Botschafter in Deutschland von 1993 bis 1999, gab sogar einem seiner Bücher den Titel "…mit Ausnahme Deutschlands".

Grundlegend für eine Annäherung war das im September 1952 erreichte Luxemburger Abkommen, unterzeichnet von der Bundesrepublik Deutschland auf der einen und Israel sowie der Jewish Claims Conference auf der anderen Seite. Es regelte deutsche Zahlungen und Dienstleistungen sowie die Selbstverpflichtung zur Rückerstattung von Vermögenswerten. Bundeskanzler Konrad Adenauer von der CDU setzte das Abkommen im Bundestag zum Teil gegen Stimmen aus seiner eigenen Fraktion durch und wurde bald darauf zum "Gesicht der Annährung" auf deutscher Seite. 

Für die frühzeitige Aussöhnung steht vor allem David Ben-Gurion (1886-1973). Früh stritt der legendäre erste Ministerpräsident Israels für die Sichtweise auf das "andere Deutschland". Ben-Gurion und der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) trafen sich zeitlebens nur zweimal - 1960 und 1966. Und doch wirkten beide Staatsmänner wie ferne Freunde. 

Konrad Adenauer und David Ben-Gurion lächelnd im Gespräch
Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion (l.) und Bundeskanzler Konrad Adenauer bei einem Treffen im New York im März 1960Bild: picture-alliance/ dpa

Als im Spannungsgebiet des Nahen Ostens 1964 geheim gehaltene deutsche Waffenlieferungen an Israel bekannt wurden, war die Aufregung groß. Und doch war dies der letzte Anstoß für die Aufnahme der vollen diplomatischen Beziehungen im Jahr 1965. Ein Schritt, der vielen Menschen im noch jungen jüdischen Staat schwerfiel. Die Ankunft des ersten deutschen Botschafters wurde noch von Krawallen begleitet. 

Kanzler Willy Brandt als erster Besucher

Durch gemeinsame Gedenktage und Besuche deutscher Regierungsvertreter wurde das Verhältnis langsam gestärkt. Im Juni 1973 reiste Willy Brandt (1969-1974 im Amt) als erster Bundeskanzler für fünf Tage zum Staatsbesuch nach Israel. Sein Nachfolger Helmut Schmidt (1974-1982 im Amt) reiste in schwierigeren Zeiten zwischen den beiden Ländern nie als Kanzler nach Israel. Gerhard Schröder (1998-2005) war im Jahr 2000 für einen zweitägigen Besuch in Jerusalem und betonte, er sei "als Freund Israels und als Freund seiner Menschen" gekommen. Helmut Kohl besuchte in seinen 16 Jahren als Bundeskanzler (1982-1998) nur zweimal den Staat Israel.  

Anders Angela Merkel (1998-2021). Sie besuchte Israel häufiger als alle anderen Kanzler zusammen: insgesamt achtmal, zuletzt im Oktober 2021. 

Mit Yitzhak Rabin reiste 1975 erstmals ein israelischer Regierungschef in die Bundesrepublik und besuchte auch West-Berlin. Ein DDR-Regierungschef oder -Minister besuchte nie Israel; Ost-Berlin unterstützte das palästinensisch-arabische Lager und sah in Israel den "zionistischen Feind".

Die Regierungschefs der Bundesrepublik, vor allem Merkel in ihren 16 Amtsjahren, haben stets und in aller Deutlichkeit das Existenzrecht Israels betont. Parallel zur israelischen Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten sprachen sie sich aber immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern aus und nannten diese auch bei ihren Appellen an die palästinensische Seite. Jeder neue israelische Siedlungsbau wird von Mahnungen aus Deutschland begleitet, die gespannte Lage im Land nicht weiter zu belasten. 

Angela Merkel gestikuliert am Rednerpult, im Hintergrund eine israelische Flagge
Angela Merkel war die erste ausländische Regierungschefin, die von der Knesset zu einer Rede eingeladen wurdeBild: AP

Ein Höhepunkt der beiderseitigen Beziehungen war gewiss ein Auftritt Merkels in der Knesset. Sie sprach dort 2008 als erste ausländische Regierungschefin überhaupt: auf Deutsch, in der Sprache der Täter. "Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar." Der damalige israelische Oppositionsführer hieß übrigens Benjamin Netanjahu - und er kritisierte, dass Merkel ihre Rede auf Deutsch hielt.  

Regierungskonsultationen?

Als Bundeskanzler Scholz 2022 Jerusalem besuchte, sprach er sich für eine baldige Einladung des Kabinetts zu deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nach Berlin aus. Noch ist es nicht dazu gekommen. Hier liegt vielleicht das deutlichste Indiz für eine Entfremdung bei aller historischen Verpflichtung. 2008 gab es in Jerusalem die ersten dieser großen Regierungstreffen, bis 2018 sechs weitere, drei in Berlin, drei in Jerusalem. Nun ist angesichts der politischen Konstellation ein Treffen mit allen Kabinettsmitgliedern nach Ansicht zahlreicher Beobachter kaum mehr vorstellbar. 

Zwar gratulierte Scholz Ministerpräsident Netanjahu nach dessen erneuter Amtsübernahme Ende 2022 und erwähnte die besondere und enge Freundschaft beider Länder. Doch schaut die deutsche Seite kritisch auf die Einbindung rechtsextremer Parteien und Politiker in die Regierung. Zu deren Zielen zählen unter anderem eine umstrittene Justizreform, die Wiedereinführung der Todesstrafe und der Ausbau von Siedlungen in Gebieten, welche die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. 

Scholz und Netanjahu stehen sich anscheinend gutgelaunt gegenüber
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz im März im Berliner Kanzleramt Bild: Chrisrtian Ditsch/epd

Seit Februar 2023 kommt aus der Bundesregierung auch deutlich vorgetragene Kritik am Kurs der israelischen Seite. Kaum jemals zuvor hatte sich jemand von deutscher Seite dermaßen kritisch zur innenpolitischen Lage in Israel geäußert. Zunächst waren es Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die eine unabhängige Justiz und die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit anmahnten. Und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich ungewöhnlich politisch und zeigte sich besorgt über den von der israelischen Regierung "geplanten Umbau des Rechtsstaates".

Kanzler Scholz mahnt  

Schließlich äußerte sich Kanzler Scholz, als er im März Netanjahu im Kanzleramt empfing. "Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam und - das will ich nicht verhehlen - mit großer Sorge", sagte der Bundeskanzler bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Grundrechte seien "ihrem Wesen nach Minderheitenrechte".

Bei all dem gilt: Deutschland hat nach wie vor ein Problem mit zum Teil massivem Antisemitismus. Als Scholz in Israel zu Gast war, lag das Debakel der documenta in Kassel, einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen, mit einer Reihe von deutlich antisemitischen Darstellungen noch in der Zukunft. Und der Botschafter Israels in Deutschland, Ron Prosor, äußert sich häufiger und mahnender als sein Vorgänger der vergangenen Jahrzehnte. Zumindest das lässt sich sagen: Man redet heute offener miteinander als seit langem. 

"Antisemitismus erstarkt weltweit