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Kunst

Jacques Tilly gegen Brexit und Rechtspopulismus

Gaby Reucher
30. Januar 2020

Auf der ganzen Welt ist der Düsseldorfer Künstler Jacques Tilly bekannt. Eine Ausstellung zeigt seine satirischen Karnevalsfiguren, die den Brexit genauso karikieren wie selbstgefällige Politiker oder die Kirche.

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Schloss Oberhausen Ludwiggalerie Ausstellung Jacques Tilly
Bild: DW/G. Reucher

Dass die Karikaturen-Ausstellung "Politik und Provokation" von Jacques Tilly durch den Brexit so aktuell werden würde, war bei der Planung vor zweieinhalb Jahren nicht abzusehen. "Da war natürlich auch schon vom Brexit die Rede", sagt Museumsleiterin Christine Vogt, "aber dass wir zwei Tage nach dem offiziellen Brexit unsere Ausstellung eröffnen, das hätten wir nicht gedacht."

Der Brexit ist im wahrsten Sinne des Wortes ein raumfüllendes Thema in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Die Großplastik aus Pappmaschee "Brexit is a Monstrosity" (dt. Brexit ist ein Monstrum) begrüßt die Besucher gleich vor dem Eingang. Als Hauptakteur im Mittelpunkt: Boris Johnson.

Das Gebäude Schloss Oberhausen, Ludwiggalerie Ausstellung Jacques Tilly
Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen ist offen für populäre KunstBild: DW/G. Reucher

Weltweites Presseecho für Tillys Figuren

Die Wände in einem der beiden Ausstellungsräume sind mit Presseartikeln aus aller Welt gespickt. Sie loben oder beschimpfen die dreidimensionalen Karikaturen des Satirikers Jacques Tilly. Mit seinem Team baut er die großen Figuren jedes Jahr für die Wagen der Karnevalsumzüge in Düsseldorf.

"Wir haben in hundert Ländern Presseveröffentlichungen gehabt, 1500 Artikel habe ich gezählt", sagt Jacques Tilly im Gespräch mit der DW. "Es sind viele Millionen Menschen auf der Welt, die diese Düsseldorfer Wagen sehen." Die meisten Berichte an der Wand handeln von seinen Brexit-Wagen. Die waren sogar schon in London unterwegs.

Wand mit Presseartikeln zum Brexit im Schloss Oberhausen Ludwiggalerie Ausstellung Jacques Tilly
Ob Online, in der Presse oder im TV: Jacques Tillys 3D-Karikaturen erregen weltweit AufmerksamkeitBild: DW/G. Reucher

Für den überzeugten Europäer Tilly ist der Brexit eine ökonomische und politische Katastrophe. Mit seinen Brexit-Motiven unterstützt er die Gegner des Brexits. "Ich habe inzwischen die Anti-Brexit-Fraktion schon mit vier Wagen ausgestattet, die durch England gefahren sind."

Politik und Provokation - Karikaturen XXL

Meist leben Tillys Karikaturen vom Augenblick. Nur wenige Großplastiken hebt er auf. Zum einen, weil der Platz fehlt, zum anderen, weil die Figuren und politischen Ereignisse aus der Stadt- und Bundespolitik nach einiger Zeit oft überholt sind. So zeigt die Ausstellung vor allen Dingen Skizzen und Entwürfe zu den Karnevalswagen und zur Machart der Figuren.

Da ist etwa Donald Trump als Baby, der wütend das Pariser Klimaabkommen zerreißt, oder Greta Thunberg, die die Eltern-Generation an den Ohren zieht und mahnt, das Klima zu retten.

Eine weitere Zeichnung zeigt Prinz Mohammed bin Salman von Saudi-Arabien mit einer blutigen Kettensäge. Der entsprechende Wagen bezog sich auf den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi und sorgte 2019 in Saudi-Arabien für Empörung. Im Iran wurde die Karikatur gefeiert.

"Wir haben uns lange überlegt, wie wir das Thema umsetzen und haben dann den Schutzengel Trump leibhaftig aufgefahren, der die Hände schützend über Saudi-Arabien hält", sagt Tilly. Übrig geblieben ist von dem Karnevalswagen in der Ausstellung allerdings nur die Skulptur von Donald Trump.

Jacques Tillys bissige Satire polarisiert, auch die internationale Presse. Konservative Zeitungen in der Türkei regten sich etwa über die Karikatur auf, bei der Präsident Erdogan mit einem IS-Vertreter anstößt, die Weingläser vermeintlich gefüllt mit Kurdenblut.

Das rief in Düsseldorf sofort die türkische Generalkonsulin auf den Plan. "Die Bilder wurden dann auch zensiert in der Türkei. Das Wort 'Kurde' wurde weggepixelt", erzählt Tilly, "und im Jahr darauf haben wir einen sehr schönen Anti-Erdogan-Wagen gebaut, wo Erdogan einen kleinen Clown, der ihm die Zunge rausstreckt, als Terrorist beschimpft."

Direktorin Christine Vogt und Jacques Tilly im Portrait, mit einer Trump-Figur in ihrer Mitte. Schloss Oberhausen Ludwiggalerie Ausstellung Jacques Tilly
Museumsdirektorin Christine Vogt und Bildhauer Jacques Tilly nehmen Donald Trump in die Zange Bild: DW/G. Reucher

Wo Kunst und Humor zusammentreffen

Jacques Tilly hat mit 20 Jahren Anfang der 1980er das erste Mal die Wagenbauhalle einer Karnevalsgesellschaft betreten. "Ich war völlig fasziniert, gerade von den politischen Wagen", erzählt er der DW. "Ich habe mich direkt zu Hause gefühlt, weil dort Politik, Kunst und Humor zusammentreffen." Das hat auch seine Berufswahl bestimmt. Jetzt heißt es für Jacques Tilly "lebenslänglich Karneval".

Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zeigt in einer besonderen Reihe immer wieder Ausstellungen zu Plakatkunst, Comic und Karikatur. Für die Museumsleiterin Christine Vogt ist Jacques Tilly einer der ganz großen Karikaturisten in Deutschland. "Das ist wirklich Satire, das ist große Karikatur nicht nur im Sinne der räumlichen Größe, sondern auch, wie er die Sachen inhaltlich auf den Punkt bringt." Sie ist begeistert von dem großen Wiedererkennungswert der dargestellten Figuren. "Man erkennt sofort, das ist Merkel, das ist Trump, das ist Putin." Seine Wagen kommen mit wenigen erklärenden Worten aus. "Er benutzt gerne kleine Wortverdreher und macht zum Beispiel aus dem 'Schutzengel' den 'Schmutzengel'".

Zeichnung zeigt einen grimmigen Geistlichen, der das Auge vor der Aufklärung zukneift
Tilly hat die Kirche immer im BlickBild: Jacques Tilly

Der Kirche ein Dorn im Auge

Wenn Tilly statt von "Nächstenliebe" von "Nächstenhiebe" spricht, dann bezieht sich das auf die Züchtigungen und den Missbrauch von Kindern in der Kirche. In den 1980er und 1990er Jahren haben solche kirchenpolitischen Themen, die einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden, noch Skandale ausgelöst, aber das ist heute anders.

"Ich glaube, die Kirche hat resigniert, was die politische Kritik im Karneval angeht", meint Wagenbauer Tilly. Die Gesellschaft habe sich liberalisiert, und die Missbrauchsfälle hätten dem Image der Kirche auch sehr geschadet. Außerdem findet er, müsse jede Glaubensbewegung und jede Institution, die ihre Meinung in einer offenen pluralistischen Gesellschaft kundtut, auch ertragen, dafür polemisch und satirisch kritisiert zu werden. "Das ist eine Zivilisationsleistung, das gehört einfach zum Umgang in einer Streitkultur."

Zensur und Bedrohung von Rechts

Heute kommen Forderungen nach Zensur und auch Drohungen eher von politischer Seite, von Rechten und Rechtspopulisten. "Da habe ich schon viele Shitstorms erleben müssen", erzählt Tilly. "Da erreichen mich E-Mails mit den Worten: 'Man sollte dir ein Messer in den Hals rammen, du Untermenschen-Ratte' oder 'ab ins Gas mit dir' oder 'nach der Machtergreifung werden wir dir den Prozess machen vor einem Volksgericht.'" Persönlich betroffen fühlt sich Tilly dadurch nicht. Im Gegenteil, er freut sich, wenn seine Satire die Gegenseite verärgert: "Und nächstes Jahr sind wieder andere dran. Bei uns kriegt jeder eins drüber."

Karneval Wagenbauer Jacques Tilly sitzt am Schreibtisch und zeichnet
Bevor Jacques Tilly seinen Arbeitsplatz zeigt, werden aktuelle Wagenskizzen schnell zur Seite geräumtBild: DW/G. Reucher

Wegen der Zensurerfahrungen werden die Motive für die Düsseldorfer Karnevalswagen seit 2000 streng geheim gehalten. "Das heißt, alles was wir uns an Gemeinheiten ausdenken, das fährt auch wirklich, und dagegen kann man dann nichts machen."

Auch für diesen Karneval sind die Motivwagen noch unter Verschluss. Aber man kann sicher sein, dass die Politik von Donald Trump, die Aktionen der Umweltschützer und natürlich der Brexit auch in diesem Jahr genug Stoff für gelungene Karikaturen im Karneval bieten.