1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Reichsbürger-Prozess: Staatsstreich-Plan und krude Theorien

28. April 2024

Eine Gruppe um einen adeligen Immobilienhändler hatte offenbar geplant, den Reichstag zu stürmen und die Regierung festzunehmen. Jetzt wird den mutmaßlichen "Reichsbürgern" um Prinz Reuß der Prozess gemacht.

https://p.dw.com/p/4f8QA
Heinrich XIII. Prinz Reuß wird von Polizisten abgeführt
Im Dezember 2022 wird Heinrich XIII. Prinz Reuß in Frankfurt am Main festgenommen und sitzt seitdem in UntersuchungshaftBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Sie wollten mutmaßlich nichts weniger als einen Staatsstreich: Die Gruppe von sogenannten Reichsbürgern um Heinrich XIII. Prinz Reuß wollte wohl in den Deutschen Bundestag eindringen und Abgeordnete festnehmen. Besonders im Visier der kruden Vereinigung: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und CDU-Chef Friedrich Merz.

Doch eine bundesweite Razzia kam der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung "Patriotische Union" am 7. Dezember 2022 zuvor: 25 Personen wurden festgenommen, darunter Reuß, die meisten von ihnen sitzen seitdem in Untersuchungshaft. 382 Schusswaffen konnten sichergestellt werden und fast 150.000 Munitionsteile. Vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart hat nun der erste von drei Prozessen gegen die Gruppe begonnen, die insgesamt auf rund 200 Personen geschätzt wird. Später folgen Verfahren vor Gerichten in Frankfurt am Main und in München.

Prozess gegen "Reichsbürger"-Netzwerk

Warten auf ein Signal von Mitverschwörern

Im Mittelpunkt: Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein 72 Jahre alter Immobilienmakler aus Frankfurt am Main. Er war in den Planungen der Reichsbürger-Gruppe wohl nach der Machtübernahme als Staatschef vorgesehen. Bereits für den September 2022 erwartete die Gruppe laut Anklage eine Art Signal von Mitverschwörern, um nach der Macht zu greifen. Zu diesen Mitverschwörern zählten die "Reichsbürger" geheime Gruppen, gebildet von Mitgliedern auch ausländischer Regierungen, von Armeen und Geheimdiensten.

Innenministerin Nancy Faeser spricht im Bundestag
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Wir müssen die Demokratie jeden Tag verteidigen"Bild: Nadja Wohlleben/REUTERS

Nach der Festnahme der Gruppe um Reuß gab es weitere Razzien und Verhaftungen.  So auch im November vorigen Jahres. Danach sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD):  "Wir können das an diesem Tag, wo es eine der großangelegten Razzien gegen staatsfeindliches Handeln von rechts gibt, gar nicht laut genug sagen: Dass gerade diese Polarisierung zunimmt und wir jeden Tag unsere Demokratie aufs Neue verteidigen müssen."

Gewaltsame Übernahme einer Waffenschmiede?

Zur Gewalt bereit, fabulierte die Gruppe um Prinz Reuß offenbar über den Einsatz von Bundeswehrhubschraubern, geflogen von Unterstützern in der deutschen Armee. Sogar die gewaltsame Übernahme des deutschen Waffenkonzerns Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar soll geplant gewesen sein. Jetzt wird den Angeklagten Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung zum Hochverrat vorgeworfen.  Alle drei Prozesse zusammen werden wohl Mammut-Verfahren werden, in denen auch die Ideologie der Reichsbürgergruppe zentrales Thema sein wird.

Wahnhafte Fantasien um tote Kinder

Und diese Ideologie hat es laut Anklage in sich: Nach Ansicht von Prinz Reuß soll Deutschland von einer Art innerem Staat, einem "deep State" regiert sein, der es sich zum Ziel gesetzt habe, den Mord an Kindern und Jugendlichen im großen Stil zu organisieren. Keine Fantasie war wahnhaft genug: Die Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 war nach dieser Denkart nur der Versuch, den Mord an Kindern durch das Fluten alter Regierungsbunker zu vertuschen. Von 600 toten Kindern soll im Umfeld von Reuß' Anhängern die Rede gewesen sein.

Fünf Polizisten in Schutzmontur unterhalten sich
Ein großer Schlag gegen die Reichsbürger-Szene gelang der Polizei im Dezember 2022Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Mit dabei: Eine frühere AfD-Abgeordnete

Dagegen setzte die Gruppe nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die Idee der gewaltsamen Machtübernahme. Danach wollten die Verschwörer mit den früheren Kriegs-Alliierten aus den USA, Frankreich und Großbritannien, vor allem aber mit Russland, über einen neuen Friedensvertrag verhandeln. Um das Ganze vorzubereiten, veranstaltete die Gruppe offenbar Schießübungen und spähte schon mal die Räume des Bundestages aus, um am Tag der Machtübernahme bereit zu sein.

Demonstranten mit Flaggen vom Königreich Preußen
Das Deutsche Reich ist für die Reichsbürger, hier mit Fahnen des Königsreichs Preußen im Oktober 2023 in Dresden, nie untergegangenBild: Daniel Schäfer/dpa/picture alliance

Ebenfalls angeklagt: die frühere Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD), Birgit Malsack-Winkemann, eine ehemalige Richterin. Sie wird zusammen mit Prinz Reuß in Frankfurt vor Gericht stehen. Im neuen Staat der "Reichsbürger" war Malsack-Winkemann offenbar als Justizministerin vorgesehen.

Ein gefährliches Milieu von fast 20.000 Menschen

Die "Reichsbürger" insgesamt werden in Deutschland von den Sicherheitsbehörden auf 20.000 Menschen geschätzt, davon seien etwa 2300 gewaltorientiert. Gemeinsam sind ihnen die Ablehnung der Demokratie, monarchistische Tendenzen, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus. Die "Reichsbürger" erkennen die Nachkriegsordnung und die Bundesrepublik als legitimen Nachfolger des Deutschen Reiches nicht an. Teilweise drohen "Reichsbürger" offen mit Gewalt oder üben sie aus, sie drohen auch mit Entführungen, etwa von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Der Autor Tobias Ginsburg hat acht Monate verdeckt in der Szene recherchiert, während der Corona-Pandemie von 2020 bis 2022 tauchte er auch bei radikalen Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern unter. Er sagte der DW im März vergangenen Jahres auf die Frage, ob die Bewegung wirklich eine Gefahr darstellt: "Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es zunächst scheint. Denn die Reichsbürger sind keine einheitliche Bewegung, nicht ein eigener Typus des Extremismus. Das ist mehr eine Verschwörungstheorie, die tief verankert ist in der deutschen Geschichte und im Nationalsozialismus." Aber die Gruppe teile die Fantasie aller rechtsextremen Aktivisten: "Es ist die Idee einer homogenen Gesellschaft, ohne die Anderen, die Fremden."

In allen drei Prozessen wird mit Urteilen wohl erst im nächsten Jahr gerechnet.