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Europas Giftmüll, Afrikas Tote

Alexander Göbel16. August 2016

August 2006: Der Frachter "Probo Koala" wird seine Fracht - hunderte Tonnen hochgiftiger Ölabfälle - in Europa nicht los. Der toxische Brei landet in der Elfenbeinküste. Bis heute leiden die Menschen unter den Folgen.

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Containerschiff Probo Koala Foto: RAIGO PAJULA/AFP/Getty Images
Bild: Raigo Pajula/AFP/Getty Images

Wenn es in Akuedo regnet, dann quillt das Gift immer noch an die Oberfläche. Ein dunkler, braun-bläulich schimmernder Brei, der nach Schwefel und faulen Eiern stinkt. Akuedo ist ein ärmlicher Stadtteil von Abidjan, der Wirtschaftsmetropole der Elfenbeinküste. Schwer sei das Leben hier immer schon gewesen, sagt Anwohner Innocent Kassi. Aber die Nacht des 18. August 2006 habe alles verändert. Die Nacht, als der Giftmüll aus Europa kam.

"Es war furchtbar. Plötzlich hat es so schlimm gerochen, und bald darauf haben wir keine Luft mehr bekommen. Im Haus war es fast unmöglich, zu atmen", erinnert sich Kassi. "Wir sind dann raus auf die Straße, aber da war es noch viel schlimmer. Also sind wir wieder rein und haben durch Stofftücher geatmet, die ganze Nacht. Wir hatten große Angst."

Heimliche Entsorgung in der Millionenstadt

Wochenlang war der Frachter Probo Koala, gechartert vom niederländisch-britischen Trafigura-Konzern, im Atlantik herumgeirrt. Seine Ladung, hochgiftiger Brei aus Reinigungschemikalien, Benzin- und Rohölresten, war er nirgendwo losgeworden. Im Hafen von Abidjan wurden die 600 Tonnen Giftmüll schließlich in Tankfahrzeuge gepumpt - und heimlich an vielen Stellen der Stadt ausgekippt. Auch in Akuedo. Mindestens 17 Menschen starben sofort, Zehntausende wurden vergiftet.

Eine wegen des Giftmüllskandals gesperrte Zone in der Elfenbeinküste Foto: EPA/LEGNAN KOULA +++(c) dpa
Betreten verboten: Der Giftmüll wurde heimlich an vielen Stellen der Stadt ausgekippt und verseuchte dort die BödenBild: picture-alliance/dpa

Wegen des Giftmülls habe es Fehlgeburten gegeben, sagt Anwohner Thierry Gohore. "Manche Säuglinge haben Missbildungen und es ist noch immer nicht vorbei. Bis heute leiden wir hier jeden Tag an den Folgen. Und wir haben nicht das Geld, um hier wegzuziehen."

Chronische Atemwegserkrankungen, Hautausschläge und Sehbehinderungen sind in Akuedo seit 2006 ebenso dramatisch angestiegen wie Krebs. Bis heute hat es noch kein Arzt gewagt, den Zusammenhang mit dem Giftmüll zu beweisen. Die Mediziner hätten Angst vor Klagen durch den Trafigura-Konzern, glaubt Christine Melai. Sie leidet seit damals unter schwerem Hautausschlag und gibt jeden Franc für teure Medikamente aus. Wegen der Schmerzen hat sie ihre Arbeit als Textilverkäuferin aufgeben müssen.

Kein Schuldeingeständnis von Trafigura

Melai gehört zu den rund 30.000 Betroffenen, die damals nach einem Vergleich zwischen der Elfenbeinküste und Trafigura umgerechnet etwa 1000 Euro erhalten hatten. Das Geld ist längst ausgegeben - für die teure Behandlung. "Diese Entschädigung, das ist doch ein schlechter Witz", empört sie sich. "Mit Gift kontaminierte Menschen kann man doch nicht mit so einer einmaligen Zahlung abspeisen! Dafür reicht keine Geldsumme der Welt. Ich selbst bin seit 2006 ständig krank!"

Arbeiter entfernen Giftmüll-Rückstände in der Elfenbeinküste Foto: EPA/LEGNAN KOULA +++(c) dpa
Trafigura bemühte sich um Schadensbegrenzung - viele Betroffene leiden aber noch heute unter den FolgenBild: picture-alliance/dpa

Recherchen haben ans Licht gebracht, dass offenbar auch die Amsterdamer Führungsspitze des Konzerns in den Giftmüllskandal verstrickt war. Trafigura hat mit den Opfer-Anwälten bereits vor Jahren einen millionenschweren Vergleich erzielt und die Aufräumarbeiten unterstützt - wobei das Unternehmen bis heute betont, dies sei kein Schuldeingeständnis.

Viele der Opfer warten trotz der versprochenen Entschädigungszahlungen noch immer auf das Geld. Ebenso war ihnen ein spezielles Krankenhaus versprochen worden. Bis heute wurde aber nur die alte, kleine Krankenstation in Akuedo etwas aufgehübscht. Trafigura scheint mit dem Giftmüllskandal umzugehen wie mit einem harmlosen Kulanzfall.

"Afrika ist keine Müllhalde des reichen Westens!"

Nach zehn Jahren sei diese ganze Sache noch immer nicht abgeschlossen, klagt Denis Yao, Präsident der Opfervereinigung: "Was die Entsorgung betrifft: da fehlt es an unabhängigen Gutachten, die endlich klären könnten, wie vergiftet Böden und Grundwasser hier noch sind." Außerdem liefe die Entschädigung weiterhin schleppend, so Yao. "Noch immer ist juristisch niemand direkt verantwortlich für all das, was hier passiert ist!"

Greenpeace-Protest am Containerschiff Probo Koala Foto: RAIGO PAJULA/AFP/Getty Images
Der Skandal vor zehn Jahren sorgte auch in der westlichen Welt für einen AufschreiBild: Getty Images/AFP/R. Pajula

Nach zehn Jahren wird weiter darüber spekuliert, ob Trafigura die vom Müll ausgehende Gefahr von Anfang an verheimlicht und Schriftstücke gefälscht hat, um die Schiffsladung nicht im Hafen von Amsterdam, sondern anderswo weit günstiger zu entsorgen. Fest steht: Auch Laurent Gbagbo, damals Präsident der Elfenbeinküste, war in den Skandal verwickelt.

Rachel Gogoua aus Akuedo weiß nicht, wohin mit ihrer Wut: "Trafigura hat viele Leute gekauft, um sie zum Schweigen zu bringen. Die Konzernleitung hat in der Elfenbeinküste damals 150 Millionen Euro für Aufräumarbeiten gezahlt, da haben sich hier viele die Taschen vollgemacht", klagt sie. Von ihrer "korrupten Regierung" sei sie schwer enttäuscht. "Aber eine Firma wie Trafigura, die an die Opfer Almosen verteilt, die aber keine Schuld eingesteht und sogar versucht hat, die Berichterstattung über den Fall zu verhindern - solch eine kriminelle Firma ist doch eine Schande für Europa!" Afrika sei keine Müllkippe für den reichen Westen, sagt Gogoua. "Die Europäer müssten mal ordentlich aufräumen, damit ihre Unternehmen sich moralisch verhalten."