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Nürnberg

Jefferson Chase2. November 2013

DW-Autor Jefferson Chase hat das altehrwürdige Nürnberg mit seiner rund 1000-jährigen Geschichte besucht. Neben historischer Altstadt und mittelalterlicher Burganlage fand er dort auch jede Menge Innovationsgeist.

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Blick auf die Nürnberger Burg (Foto: dpa)
Die Nürnberger Burg entstand im 11. und 12. JahrhundertBild: picture-alliance/dpa

Nürnberg und ich haben eine gemeinsame Geschichte. Vor vielen Jahren, bei meinem ersten längeren Deutschlandbesuch, kam ich dort auf der Durchreise vorbei. Damals sah ich aus wie Kurt Cobain, zumindest was meine Haarlänge betraf. Das missfiel wohl der Polizei, denn kurz nachdem ich aus dem Zug ausgestiegen war, hielten mich zwei Streifenpolizisten an und nahmen mich mit zur Wache. Erst als ich eine Reihe von Fragen - wer ich sei und was ich in Nürnberg vorhabe - beantwortet hatte, durfte ich mein Touristendasein fortsetzen. Damals war der Grunge-Look offensichtlich eine ziemliche Provokation in der Region Franken, die zum größten Teil im konservativen Bayern liegt.

Historische Unterkunft für kleines Geld

Dieses Mal gestaltet sich meine Ankunft in der Stadt wesentlich angenehmer. Die Leiterin der Jugendherberge Nürnberg heißt mich herzlich willkommen und gibt mir eine Essensmarke für die Kantine, die ich prompt in ein dunkles, fränkisches Bier umwandele. Ich bin zwar längst aus dem Hostel-Alter raus, aber dies ist keine gewöhnliche Jugendherberge: Sie befindet sich in der allerbesten Lage: in der mittelalterlichen Nürnberger Burg, dem Wahrzeichen der Stadt.

Der Verein, der die Herberge betreibt, pachtet die Räumlichkeiten von der Stadt. Die wollte hier, in zentraler Lage und in historischen Gemäuern, kein Luxushotel etablieren, sondern einen Ort, an dem auch Leute mit schmalem Budget absteigen können.

Jugendherberge Nürnberg in der Kaiserstallung (Foto: dpa)
Nürnberger Jugendherberge: Komfort hinter alten MauernBild: picture-alliance/dpa

Die Anlage sei vor kurzem für 20 Millionen Euro renoviert worden, erzählt mir Herbergsleiterin Sigrid Natterer stolz. Alles ist auf dem modernsten Stand. Für Technik-Affine sind sogar QR-Codes auf die Wände gemalt, die zu Informationen über die Geschichte Nürnbergs verlinken. Natterer verspricht, mich am nächsten Tag durch die Jugendherberge zu führen. Ich ziehe los zu einem ersten Rundgang durch die Altstadt.

Streifzug bei Nacht

In der Tat ist es keine schlechte Idee, Nürnberg nach Anbruch der Dunkelheit zu erkunden. Sehenswürdigkeiten wie der Schöne Brunnen am zentral gelegenen Hauptmarkt oder die Sebalduskirche im Stil der Spätromanik und Gotik lassen sich in der Nachtbeleuchtung gut bewundern, finde ich. Angestrahlt in warmen Gelbtönen wirken die alten Bauwerke geheimnisvoll und die Neubauten im sonst geschlossenen Altstadtkern stören das mittelalterlich-pittoreske Ambiente kaum. Durch die Stadtmitte fließt die Pegnitz. Überall sitzen Nürnberger und Touristen draußen und genießen den milden, spätherbstlichen Abend.

Schöner Brunnen in Nürnberg, abends, angestrahlt (Foto: DW)
Der Schöne Brunnen, im Hintergrund die FrauenkircheBild: DW / Maksim Nelioubin

Entdeckung der Nürnberger Rostbratwurst

Leider haben die meisten Gastronomen in Nürnberg nicht annähernd den Innovationsgeist von Sigrid Natterer. Im Stadtführer stehen chinesische Restaurants noch in der Spalte "exotisch" - allzu wählerisch sollte ich wohl nicht sein. Also beim Fränkischen bleiben. Bei den Lokalen um die großen Plätze wittere ich Touristenfallen. Was tun? Langsam kriege ich Hunger. Die Straße wird zur Fußgängerzone, rechts und links Läden der üblichen Handelsketten. Ich biege in eine Seitenstraße ein, sehe eine Fachwerkfassade. Keine Ahnung, ob sie echt ist. Das Restaurant dahinter heißt "Bratwurstherzle", es muss entweder gut oder monsterschlecht sein.

Ich kehre ein. Dank des Schutzverbands Nürnberger Rostbratwürste e.V., dessen Internetauftritt ich emsig studiert habe, weiß ich, dass echte Nürnberger zwischen sieben und neun Zentimetern sein müssen und besser mit Meerrettich als mit Senf genossen werden. So vorbereitet erkenne ich, dass die kleinen Bratwürste im Bratwurstherzle authentisch sind. Vom Geschmack her etwas ganz anderes als die abgepackten aus dem Supermarkt - Bundesliga gegen Bolzplatz. Der Laden ist mir sympathisch: zwei kleine Räume, voneinander durch offene Fenster getrennt, vorn, wo die Würste gegrillt werden, dampft etwas Rauch. Es gibt keine Musik und die Bedienung sagt auch nicht mehr als nötig. Hier herrscht Tradition, nicht Innovation. Und das ist in Ordnung - was schon gut ist, muss nicht verbessert werden.

Nürnberger Bratwürste liegen auf einem herzförmigem Teller, dazu eine Schale Meerettich (Foto: DW)
Seit dem Mittelalter aufgetischt: Nürnberger BratwürsteBild: DW/J. Chase

Wie ich später entdecke, kann man praktisch überall in der Stadt Nürnberger im Brötchen bekommen. "Drei im Weckla" heißt diese Nürnberger Bratwurst-to-go-Version. Wobei die Qualität drastisch variiert. Die Schnäpse im Bratwurstherzle haben komische Namen wie "Nürnberger Trichter" oder "Streitberger Bitter". Ich gönne mir einen Schlehengeist und denke, dass eigentlich eher die fränkischen Restaurants unter "exotisch" gelistet werden sollten.

Auf ein Bier in den Schmelz-Tiegel

Den Rest des Abends verbringe ich im rustikalen Gewölbekeller des Schmelz-Tiegels. So heißt die Kneipe der Privatbrauerei Altstadthof. Deren Spezialität ist ein rotes Weizenbier. Es hat seine Farbe von rotem Spezialmalz und ist laut der Barfrau einmalig weltweit. Jedenfalls ist die Kombination roter Malz mit Weizen sehr innovativ in Deutschland, wo die Bierkultur sonst eher konservativ ist. Ich genieße das süffige Gebräu - eine leichte, erfrischende Mischung aus einem traditionellen Landbier und einem Hefeweizen.

Schmelz-Tiegel (Foto: DW)
Der Schmelz-Tiegel liegt zu Füßen der KaiserburgBild: DW/J. Chase

Rundgang durch die Herberge

Nach meiner Tour schlafe ich gut und tief. Mein Zimmer auf der Burg ist spartanisch-modern eingerichtet, hell, schlicht und extrem praktisch. Ich fühle mich wohl. Am nächsten Morgen erzählt mir Herbergschefin Sigrid Natterer, dass ich mich in diesem Teil der Burg in der 1495 errichteten Kaiserstallung befinde. Während der Renovierungsarbeiten wurde eine uralte Steintreppe entdeckt. Es gibt sogar noch eine in die Wände des Treppenhauses eingelassene, steile Getreiderutsche. Über sie wurden einst die Pferde mit Futter versorgt.

Die massiven Steinmauern der alten Kaiserstallung wirken von außen mächtig, innen sind auf neun Stockwerken die Zimmer der Jugendherberge verteilt. Moderne und Mittelalter harmonieren: Im historischen Backsteingewölbe des Erdgeschosses befinden sich Kantine und Bar in modernem, leichtem Design. In den oberen Etagen führen holzgetafelte Gänge zu Tagungsräumen, die mit neuester Technik ausgestattet sind.

Jugendherberge Nürnberg von innen (Foto: Jugendherberge Nürnberg)
Schöner wohnen auf der Burg - in rustikalem AmbienteBild: Jugendherberge Nürnberg

Altstadt-Tour bei Tag

Die Gäste der Herberge sind vorrangig reisende Familien und Schüler auf Klassenfahrt. Nach Sigrid Natterers Führung gehe ich los, um mir Nürnberg bei Tageslicht anzugucken. Da sieht Nürnberg eher wie eine Stadt aus, die im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerbombt wurde und immer noch die Narben ihrer Vergangenheit trägt. Schöne Fachwerkhäuser stehen direkt neben grässlichen Bausünden aus den 1960er Jahren.

Die Nürnberger, so mein Eindruck, haben das gerettet, was von einer einst imposanten mittelalterlichen Stadt zu retten war. Doch die Neubauten wirken umso hässlicher, weil die alten Gebäude eben so beeindruckend sind. Vor dem Schönen Brunnen am Hauptmarkt höre ich einem Stadtführer zu. Er erklärt einer japanischen Reisegruppe, dass dort, wo heute der Marktplatz ist, einst Sumpfland war. Im 12. Jahrhundert entstand hier ein jüdisches Viertel, Mitte des 14. Jahrhunderts dann der zentrale Marktplatz Nürnbergs.

Die Weißgerbergasse in der Nürnberger Altstadt mit historischen Fachwerkhäusern (Foto: DW)
Gut erhalten: die Weißgerbergasse in der AltstadtBild: DW / Maksim Nelioubin

Herbstliche Ruhe genießen

Irgendwann sind es mir zu viele Touristen, also verlasse ich die Altstadt durch das Westtor, das zur alten Stadtmauer gehört, und gehe über die Deutschherrnstraße Richtung Pegnitz-Auen, die sich als grünes Band durch die Stadt ziehen. Hier ist alles ruhig, gestresste Großstädter finden hier Erholung.

Ich setze mich in einen leeren Biergarten. Die Blätter an den Bäumen und auf dem Boden sind gelb, golden und orange. Irgendwie passt der Herbst ganz gut zu dieser Stadt, deren Los es ist, vor allem wegen ihrer Vergangenheit besucht zu werden. Es gibt Innovatives in Nürnberg - so viel durfte ich in der Jugendherberge und in der Kneipe der Privatbrauerei erfahren. Dennoch scheinen die Nürnberger akzeptiert zu haben, dass der durchschnittliche Tourist sich eher für das interessiert, was einmal war.

Ein Wasserrad in den herbstlichen Pegnitz-Auen (Foto: DW)
Wasserrad in den Pegnitz-AuenBild: DW/J. Chase

Die Nürnberger gefallen mir dennoch besser als bei meinem letzten Besuch in der Stadt. Sie wirken relaxter, toleranter, weltoffener. Zumindest haben sie mich diesmal nicht festgenommen.