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Grüner Star

Gudrun Heise
10. April 2014

Das Gesichtsfeld wird immer kleiner, der Augendruck steigt. Das merken die meisten Menschen aber gar nicht, und genau das ist das Heimtückische am Grünen Star.

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Auge (Foto: Bilderbox).
Bild: Bilderbox

Der Grüne Star bereitet keine Schmerzen. Die wären zumindest ein Warnsignal, dass irgendetwas im Körper nicht stimmt. Ein Anzeichen beim Grünen Star, oder Glaukom genannt, ist meist nur ein erhöhter Augeninnendruck, den man allerdings nicht spürt.

Er entsteht, wenn das sogenannte Kammerwasser nicht mehr abfließen kann. Diese Flüssigkeit ernährt die Linse und die feinen Strukturen im Inneren des Auges. Die Produktion und der Abfluss dieses Kammerwassers halten sich beim gesunden Auge die Waage, sind also im Gleichgewicht. Die Flüssigkeit, die gebildet wird, fließt auch immer wieder ab. Der richtige Augeninnendruck sorgt auch dafür, dass die kugelige Form des Auges erhalten bleibt. Beim kranken Auge funktioniert das nicht mehr. Der Augeninnendruck steigt, der empfindliche Sehnerv wird zusammengedrückt, und seine Fasern, die das Gesehene an Netzhaut und Gehirn übermitteln, sterben ab.

Eingeschränktes Sichtfeld beim Glaukom (Foto: DW/fit&gesund).
Beim Grünen Star wird das Gesichtsfeld immer kleiner

Das Gesichtsfeld ist der Bereich, den man sieht, wenn man geradeaus blickt, ohne dabei die Augen in verschiedene Richtungen zu bewegen. "Die Patienten bemerken nicht, wie das Gesichtsfeld immer kleiner wird", erklärt Markus Kohlhaas von der Augenklinik in Dortmund. "Ihnen ist nicht bewusst, dass die Sehschärfe immer schlechter wird. Wir kennen alle diesen Spruch: Man gewöhnt sich immer an das Schlechte. Der Grüne Star ist eine Erkrankung, die über viele, viele Monate und über viele, viele Jahre verläuft." Denn meist gleicht das Gehirn fehlende Informationen erst einmal aus.

Um den Grünen Star diagnostizieren zu können, misst der Augenarzt den Augeninnendruck und untersucht den Sehnerv auf mögliche Schäden und kann dann den Patienten entsprechend behandeln. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, dass der Patient erblindet. Für Erblindung ist der Grüne Star in Europa die zweithäufigste Ursache.

Die Therapiemöglichkeiten

Eine Frau tropft Augentropfen in ihr Auge (Foto: Fotolia/apops).
Wird der Grüne Star früh genug erkannt, verordnet der Arzt spezielle AugentropfenBild: Fotolia/apops

Behandelt wird die Krankheit zunächst mit Augentropfen, die den aus dem Gleichgewicht geratenen Druck regulieren sollen. Wenn das nicht hilft, muss operiert werden. Diese Eingriffe haben ebenfalls das Ziel, den Augendruck abzusenken. Dabei kann mit Lasertechnik der Abfluss des Augenwassers verbessert werden.

Andere Operationstechniken wiederum schaffen einen neuen Abfluss: "Eine weitere Methode ist, ein Loch ins Auge zu bohren. Die überschüssige Flüssigkeit fließt dann nach außen ab", erläutert Kohlhaas.

Eine unendliche Geschichte

Meistens sind es ältere Menschen, bei denen Grüner Star festgestellt wird. Die Gefahr, daran zu erkranken, wird ab dem 40. Lebensjahr größer. "Babies, Kinder und Jugendliche sind Gott sei Dank ganz selten vom Grünen Star betroffen", sagt Kohlhaas.

Anders ist das bei der mittlerweile 11-jährigen Nele. Sie gehört zu den rund 300 Kindern, die in Deutschland von dieser heimtückischen Augenerkrankung betroffen sind, und sie ist ein besonders tragischer Fall. Nele leidet seit ihrer Geburt an einer Abflussstörung des Kammerwassers im Auge. Festgestellt wurde es als sie gerade mal vier Monate alt war, erzählt ihre Mutter, Manuela Koch. Ihre ältere Tochter hatte entdeckt, dass Neles rechtes Auge milchig trüb war. Die Diagnose des Augenarztes kam prompt: Angeborenes Glaukom. "Damals habe ich natürlich noch nicht gewusst, was da auf mich zukommt", sagt Manuela Koch. Unter anderem waren das 53 Operationen, die Nele hinter sich bringen musste. Damit habe eine langjährige und unendliche Geschichte begonnen, so die Mutter. Nahezu alle Operationsmöglichkeiten wurden bei Nele ausgeschöpft, Laserbehandlung, Drainagen wurden gelegt, mit verschiedenen Methoden haben die Ärzte versucht, den Abfluss des Kammerwassers in Gang zu bringen. Aber keine der Operationen hatte lang anhaltenden Erfolg. Und so müssen die Ausgänge wieder und wieder freigelegt werden.

Eine hohe Dunkelziffer

Sehbehinderung Blindheit Blindenstock Stock Gehstock weiß (Foto: Angelika Warmuth - dpa )
Grüner Star ist die zweithäufigste Ursache für Erblindung in EuropaBild: picture-alliance/dpa

Weltweit sind etwa 60 Millionen Menschen von der Augenerkrankung betroffen. In Deutschland gibt es rund eine Million, bei denen Grüner Star diagnostiziert wurde. Reihenuntersuchungen zufolge sind weitere zwei Millionen betroffen, bei denen er nicht erkannt ist. Bei solchen Schätzungen werden an einem Tag beispielsweise 5000 Leute willkürlich ausgesucht und untersucht. Die Ergebnisse werden dann hochgerechnet. "Der Grüne Star ist in Deutschland die dritthäufigste Volksseuche - nach Zuckererkrankung und hohem Blutdruck", so Kohlhaas. "Das wissen die wenigsten, aber es sind Millionen betroffen und zwei Drittel wissen noch nichts davon."

Verschiedene Ursachen

Die Augenheilkunde unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Glaukom: Beim Primärglaukom liegt keine andere Erkrankung zugrunde, die mit dem Druckanstieg in Verbindung gebracht werden kann. Das ist auch bei Nele so. Das Sekundärglaukom hingegen kann beispielsweise auf Entzündungen, Verletzungen oder Tumore deuten. "Diese Patienten haben häufiger Gefäßprobleme oder Herzprobleme", so Kohlhaas. "Es gibt viele virale Erkrankungen, die auch mit einem Druckanstieg verbunden sein können. Herpes zum Beispiel ist ein ganz großes Problem. Herpes im Inneren des Auges kann zu Erblindung führen. Ursachen gibt es viele." Rauchen kann eine sein, denn es verursacht Gefäßveränderungen und begünstigt die Gefäßsklerose, und die gibt es auch in den ganz kleinen Gefäßen am Auge oder am Sehnerv. Der könne dadurch deutlich geschädigt werden, so Kohlhaas weiter.

Nele meistert ihr Leben

Nele bewegt sich mit einem sogenannten Langstock und geht in eine integrative Schule. Im Laufe der Jahre hat sie verschiedene Techniken entwickelt, um möglichst viele Dinge machen zu können, die für andere Kinder normal sind. Nele fahre zum Beispiel Fahrrad, berichtet ihre Mutter, aber natürlich auf abgegrenztem Gebiet. "Ich habe drei Jahre lang versucht herauszufinden, warum Nele nirgends gegenstößt. Das Geheimnis: Jeder Gegenstand gibt eine Art Luftdruck ab, wenn man vorbeigeht." Anhand dieses Luftdrucks sei sie in der Lage, Entfernungen abzuschätzen, so Neles Erklärung. An der Seite einer Begleitung absolviert sie Lauftraining über fünf Kilometer.

Geige spielen hat sie gelernt, ohne die Noten lesen zu können, denn ihr Gesichtsfeld ist mittlerweile stark eingeschränkt. "Sie spielt Geige, um auch der Gesellschaft zu zeigen: Hallo, hier bin ich, ich mache das gleiche wie alle anderen, also nehmt mich auch so." Nele hat große Angst, eines Tages noch nicht einmal mehr Schatten sehen zu können und vollkommen zu erblinden. Aber unterkriegen lässt sie sich nicht.