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"Liebe kann man lernen"

Caroline Schmitt29. August 2015

Das Erotikmagazin "Separée" wendet sich explizit an Frauen. Doch wie offen geht das weibliche Geschlecht wirklich mit dem Thema um? Die Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning sprach darüber mit der DW.

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Symbolbild Liebespaar Vorspiel
Bild: picture alliance/Bildagentur-online

Erotik von Frauen für Frauen

Die gebürtige Dänin Ann-Marlene Henning zog 1985 nach Hamburg, wo sie seit vielen Jahren als Sexualtherapeutin arbeitet. 2012 erschien ihr Aufklärungsbuch "Make Love". Das ist auch der Obertitel einer TV-Sendung "Liebe kann man lernen", die sie seit 2013 moderiert und die ihr eine Grimme-Online-Award-Nominierung einbrachte.

DW: Frau Henning, warum ist es so schwierig, erotische Filme, Bücher oder Magazine für Frauen zu produzieren?

Ann-Marlene Henning: Das ist kein bisschen schwierig! Frauen haben eine blühende Fantasie und brauchen nicht viel, damit sich vor ihrem inneren Auge ein Film abspielt. Nehmen wir "50 Shades of Grey" - wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, dennoch ist der Gedanke daran für viele erregend. Man sitzt in eine Decke gewickelt auf dem Sofa, trinkt Tee und dann… Frauen werden sehr leicht erregt, ihr Körper ist bereit.

Wenn man Ihre Bücher liest oder Sendungen schaut, scheint diese leichte Erregbarkeit aber nicht automatisch zu einem erfüllten Sexleben zu führen. Wo ist die Blockade in Deutschlands Schlafzimmern?

Mädchen und Jungen sind von Geburt an sehr neugierig und wollen ihren Körper entdecken, und dann verbieten wir ihnen genau das. In Dänemark gibt es schon viel länger Bücher und Fernsehsendungen zu dem Thema. Es ist dort schon viel länger "erlaubt", die eigene Sexualität zu entdecken. Als ich (1985) nach Deutschland zog, fand ich die Leute sehr verklemmt. Interessanterweise war in der DDR das Gegenteil der Fall. Jeder kennt heute FKK-Strände, damals waren sie dort aber verbreiteter als heute. Ich bin kein Fan von Klischees, dennoch sitze ich des Öfteren einem neuen Klienten gegenüber und denke: ‘Oh, dieser Mensch ist aber sehr entspannt.' Dann stellt sich heraus, dass er oder sie im Osten aufgewachsen ist.

Was verwunderte Sie aus psychologischer Sicht am meisten, als sie 1985 nach Deutschland kamen? Und was erleben Sie in ihrer Praxis als Paartherapeutin?

Deutschland Sex-Therapeutin Ann-Marlene Henning in Hamburg (NDR Talk Show)
Ann-Marlene HenningBild: picture-alliance/rtn - radio tele nord

Ich war fasziniert, wie wenig über Sex gesprochen wurde. Und die Leute, die zu mir kommen, sind schon die tapferen! Sie haben sich nämlich schon dafür entschieden, etwas zu tun. Dennoch kam den Leuten nur selten Sätze wie: “Ich rede jetzt über die Vagina oder den Penis” über die Lippen. Da ist ganz viel Scham im Spiel. Das ist schwer vorzustellen bei all den Pornos, oder? Lassen Sie es mich so ausdrücken: Menschen können über Sex reden, aber sobald es ihren Sex betrifft, wird es unangenehm.

In Deutschland waren noch nie so freizügig wie heute. Im Fernsehen ist das Thema Sex an der Tagesordnung, und unserer Liebe und Lust sind fast keine Grenzen gesetzt. Gibt es im Jahr 2015 nichts Wichtigeres, als öffentlich über Sex zu reden?

Deutsche fragen mich oft: "Müssen wir wirklich noch immer darüber reden?" Ich sage dann: "Nein, aber leider gibt es da draußen Menschen, die wirklich Hilfe brauchen." Sie hatten schon seit einer ganzen Weile keinen guten Sex mehr. Dabei ist Sex so wichtig, er ist eines unserer Grundbedürfnisse! Mir ist es gleich, wenn ein Paar nicht miteinander schläft oder nicht drüber sprechen möchte, aber meistens leidet einer von beiden darunter.

Also ist das Grundproblem fehlende Kommunikation und Offenheit?

Menschen haben eine ungeheure Angst davor, sich zu offenbaren und authentisch zu sein. Wenn Sie jemanden lieben, wird es schnell gefährlich, etwas zu verlangen. Er könnte Sie schließlich nicht mehr mögen oder verlässt Sie womöglich gleich! Sich zu verlieben ist leicht, weil man alles am anderen toll findet. Wenn dann aber plötzlich echte Liebe im Spiel ist, kommt gleichzeitig auch die Angst. Man spricht weniger miteinander, und Sex ist plötzlich ganz hinten auf der Prioritätenliste. Dabei ist das wirklich gar nicht so schwer!

Lassen wir mal kurz den psychologischen Aspekt außen Acht. Die Autoren der Studie “Wie wir Deutschen ticken” haben herausgefunden, dass die Deutschen im Schnitt nur zwei bis drei Stellungen verwenden. Sind wir spießig?

Denken Sie wirklich, das betrifft nur die Deutschen? Jeder hat zwei oder drei Lieblingsstellungen, das ist überall so. Aber im Ernst, ich glaube nicht, dass Stellungen allein guten Sex ausmachen. Frauenmagazine schreiben immer "Lernen Sie neue Stellungen!", aber eigentlich reichen ein oder zwei, wenn Sie dadurch etwas fühlen.

Im Kontrast dazu haben in Deutschland sechs Millionen Menschen die Reihe "Shades of Grey" gelesen. Das Erotikmagazin "Separée" hat eine Auflage von 20.000 Exemplaren. Herrscht da eine Diskrepanz zwischen weiblichen Erwartungen und der Realität?

Manchmal können Frauen gar nicht mehr erwarten, weil sie sich selbst nicht gut genug kennen und nicht wissen, was alles möglich ist. Wenn wir Hollywood-Filme schauen, wird uns klar, was wir wollen: einen Mann, der deutlich zeigt, dass er uns begehrt, der unser Haar berührt, unseren Kopf, unsere Ohren, die Lippen, alles. Wir brauchen einen Mann, der von unserem Körper erregt wird.

Welche Probleme entstehen denn, wenn frau feststellt, dass ihr Sexleben nicht so aufregend und befriedigend ist wie das der Protagonistinnen in Büchern oder Filmen?

Frauen folgern sofort, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, wenn sie nicht kommen. In sämtlichen Pornos kommt es schließlich ständig zum Höhepunkt. Oft sagen sie dann nichts oder täuschen [einen Orgasmus] vor.

Wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt? Sind die Menschen durch die Dauerpräsenz von Sex in sämtlichen Varianten offener?

Auf jeden Fall. Ich bekomme viele E-Mails von Leuten, die meine Sendungen schauen oder werde von Kollegen angesprochen, deren Klienten plötzlich wissen: "Jetzt ist die Zeit reif, ich muss etwas tun". Wenn es genug Gesprächsstoff in Form von Büchern, Magazinen und Fernsehsendungen gibt, dann bewegt sich tatsächlich etwas. In meinem Alltag ist vieles Detektivarbeit. "Weshalb verhält sich diese Person so? Können wir an dieser Stelle ansetzen?" Dann sagen sie oft: "Oh, wir können dagegen etwas tun?" Menschen dabei zu beobachten, wie sie ihr Sexualsystem durchschauen, ist so faszinierend. Deshalb heißt meine Praxis auch "Doch noch". Das bedeutet, es gibt Hoffnung.