1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

CETA: Startschuss zum Hürdenlauf

Bernd Riegert23. September 2016

Die EU-Handelsminister entscheiden in Bratislava über das fertige Freihandelsabkommen mit Kanada. Die erste von sieben Hürden, die auf CETA warten. Bernd Riegert aus Brüssel.

https://p.dw.com/p/1K6aJ
Symbolbild - Hürdenlauf - CETA (Foto: picture-alliance/dpa/dpaweb/A.Scheidemann)
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb/A.Scheidemann

Nach fünf Jahren Verhandlungen liegt das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada unterschriftsreif auf dem Tisch. Das "Comprehensive Economic and Trade Agreement" (CETA) sei das beste Handelsabkommen, das je vorgelegt wurde, sagen nicht überraschend die Verhandlungspartner, also die EU-Kommission und die kanadische Regierung, sowie der europäische Arbeitgeberverband "Business Europe" mit Sitz in Brüssel.

Während sich die Unternehmen eine Steigerung des Austauschs von Waren und Dienstleistungen um 23 Prozent in den nächsten Jahren versprechen, sehen die Kritiker europäische Standards bei Dienstleistungen und Verbraucherschutz in Gefahr.

Hürde 1: Handelsminister müssen Fahrplan festlegen

In Bratislava wird die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström den Handelsministern dringend empfehlen, das Abkommen im Grundsatz zu billigen. Einstimmigkeit ist noch nicht notwendig. Die Wackelkandidaten Österreich, Belgien, Rumänien und Bulgarien könnten von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten überstimmt werden. Der deutsche Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel will zustimmen, nachdem seine Sozialdemokraten CETA im Prinzip gebilligt hatten. Die Sozialdemokraten in Österreich, ebenfalls Teil einer großen Koalition, sind eher ablehnend eingestellt. Ob es die von ihnen geforderten Nachbesserungen am Abkommen noch geben kann, ist unwahrscheinlich. Kanada und die EU hatten eine Art politische Erklärung angeboten, die den Vertragstext aber nicht mehr ändert.

Kanada Sigmar Gabriel und Justin Trudeau (Foto: picture-alliance/AP/P. Chiasson)
Im Prinzip handelseinig: Wirtschaftsminister Gabriel (li.) besuchte letzte Woche Kanadas Premier TrudeauBild: picture-alliance/AP/P. Chiasson

Hürde 2: EU-Ministerrat muss förmlich zustimmen

Da sich die Handelsminister am Freitag nur zu einer informellen Diskussion treffen, steht noch eine förmliche Abstimmung Mitte Oktober an. Die EU-Minister müssen auch noch festlegen, welche Teile des Handelsabkommen "vorläufig" in Kraft treten können, bevor alle 28 Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifiziert haben werden. Umstritten ist, ob dazu auch die Schiedsgerichte zählen, die Streitigkeiten zwischen den beteiligten Staaten und Unternehmen hinsichtlich der völkerrechtlichen Aspekte des Abkommens entscheiden sollen. Auf Drängen der CETA-Kritiker in der EU hatte Kanada der Einrichtung von ordentlichen Handelsgerichten zugestimmt.

Hürde 3: EU und Kanada müssen das Abkommen unterschreiben

Für den 27. Oktober ist die feierliche Unterzeichnung von CETA durch den kanadischen Premier und den Präsidenten der EU-Kommission in Brüssel vorgesehen. Danach beginnt der förmliche Ratifizierungsprozeß in Europa und Kanada.

Hürde 4: Europäisches Parlament muss ratifizieren

Die Europa-Abgeordneten haben das letzte Wort, bevor wesentliche Teile des Handelsabkommen "vorläufig" angewendet werden können. Das EU-Parlament muss mit einfacher Mehrheit zustimmen. Im Moment stehen die Zeichen auf Zustimmung. Konservative und Liberale befürworten den freien Handel. Linke und Grüne lehnen das Abkommen ab. Teile der Sozialdemokraten sind noch unentschieden. Die Abstimmung ist Ende Dezember oder im Januar 2017 vorgesehen.

Brüssel Anti TTIP CETA Demonstration (Foto: THIERRY ROGE (c) picture-alliance/dpa/T. Roge)
Prinzipiell dagegen: Freihandelsgegner demonstrierten am Mittwoch in Brüssel gegen CETA und TTIPBild: picture-alliance/dpa/T. Roge

Hürde 5: Mitgliedsstaaten müssen ratifizieren

Jetzt wird es richtig aufwändig. Da die Regierungen der Mitgliedsstaaten gegen die Empfehlung der EU-Kommission CETA zu einem "gemischten" Abkommen erklärt haben, müssen alle Mitgliedsstaaten den völkerrechtlichen Vertrag ratifizieren. Gemischt bedeutet in diesem Fall, dass Kompetenzen der EU und der Mitgliedsstaaten berührt sind. Bei "einfachen" Verträgen reicht eine Ratifizierung des EU-Parlaments im Namen aller EU-Bürger. Da sich in einigen Mitgliedsstaaten die Ratifizierung nicht auf die nationale Ebene beschränkt, müssen zum Bespiel in Belgien die Regionen und in Deutschland die Bundesländer über den Bundesrat zustimmen. Das führt dazu, dass in der EU rund 40 nationale und regionale Kammern über CETA abstimmen werden. Schon ein einziges Nein könnte theoretisch ausreichen, um die Ratifizierung des gesamten Abkommens zu stoppen. Die wallonische Region in Belgien hat wegen eines Streits mit der Zentralregierung schon einmal vorsorglich mit einem Veto gedroht. Die Ratifizierung wird mindestens zwei Jahre dauern.

Hürde 6: Klage gegen CETA

Die Gegner des Freihandelsabkommens haben sich in Deutschland bereits in Stellung gebracht. Sie reichten Ende August Verfassungsbeschwerde gegen CETA beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Beschwerdeführer ist neben anderen der Gründer der Verbraucherorganisation "Foodwatch" Thilo Bode. Bode nennt das Abkommen eine "Gefahr für die Demokratie". Noch vor dem EU-Kanada-Gipfel im Oktober müsste das Verfassungsgericht über einen Eilantrag entscheiden. Auch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen CETA sind an verschiedenen Stellen des Hürdenlaufs noch denkbar.

Hürde 7: Und was ist mit Kanada?

Die kanadische Regierung sieht eigentlich keine großen Probleme bei der Ratifizierung des Abkommens in der EU in beiden Kammern des kanadischen Parlaments. Allerdings kritisieren auch in Kanada Gewerkschaften und linke Gruppen CETA.

Blaupause für TTIP?

Das Abkommen mit Kanada wird von vielen Experten in Brüssel als die kleine Schwester von TTIP angesehen, dem angestrebten noch komplexeren Handelsvertrag mit den USA. Auch über TTIP werden die Handelsminister in Bratislava sprechen. Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel hatte die TTIP-Verhandlungen für mehr oder weniger gescheitert erklärt.

Auch Frankreich stößt jetzt in dieses Horn. Es kann sein, dass sich die Minister darauf einigen, erst einmal die Wahlen in den USA (Nov. 2016), Frankreich (Mai 2017) und Deutschland (September 2017) abzuwarten und danach einen Neustart für TTIP zu wagen.

Als Exportnation gegen Freihandel?

Der Direktor des europäischen Unternehmerverbandes "Business Europe", Markus Beyrer, hat kurz vor dem Beginn des Ministertreffens in Bratislava noch einmal gewarnt. "Wenn die EU CETA jetzt nicht auf den Weg bringen kann, ist es um ihre Glaubwürdigkeit geschehen." International bräuchte sie dann zu Verhandlungen über Handel und Wirtschaftsfragen nicht mehr antreten.