1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Wahrheit über Halloween

Silke Wünsch
31. Oktober 2023

Halloween ist eine Erfindung der US-amerikanischen Süßigkeitenindustrie? Das stimmt nicht. Halloween ist ein alter keltischer Brauch? Das stimmt auch nicht. Die wahre Geschichte über Halloween ist die spannendste.

https://p.dw.com/p/2RnYB
Im Dunkeln ein altes Kreuz mit Jesus als Grabstein, mit Spinnweben, beleuchtet von hinten.
Bild: GEORG HOCHMUTH/APA/picturedesk.com/picture alliance

Düstere Gestalten schleichen durch die Nacht vor Allerheiligen. Hässliche Fratzen, die Maskierten im unheimlichen Licht. Gleich klopfen sie an deine Tür… Es ist Halloween - die fröhliche Horrornacht mit Spuk und Spaß. Das Fest, an dem sich alle gruseln dürfen und gleichzeitig dem Tod den Mittelfinger zeigen. Man verkleidet sich, streunt durch die Straßen, klingelt an Türen, ruft: "Trick or Treat!" Und dann wird auf unzähligen Partys gefeiert.

Allgemein heißt es oft, dieses aus den USA in viele andere Länder exportierte Spektakel sei reiner Kommerz - wie der Coca-Cola-Weihnachtsmann oder die Rosen zum Valentinstag. Und die Halloween-Industrie wird nicht müde, Plastikkürbisse und Gruselmasken auf der ganzen Welt zu vermarkten.

Seelen im Fegefeuer

Dabei steckt hinter dem Kommerz ein echter Brauch, dessen Ursprung jahrhundertealt ist, der aber nicht, wie ebenfalls gerne behauptet, bei den Kelten liegt. Die hatten zwar Ende Oktober ihr "Samhain" - eine Art Erntedankfest zum Winteranfang -, doch die Kirche, die im Mittelalter in ganz Europa das Sagen hatte, legte genau auf diesen Termin das Allerheiligenfest.

Halloween leitet sich ab aus "All Hallows Eve" - dem Abend vor Allerheiligen. Man gedenkt der Toten, spricht Fürbitten aus. Den Toten soll es schließlich gut gehen. Die nämlich warten nach altem christlichen Glauben auf den Jüngsten Tag, der mit dem Wiedererscheinen Christi einhergeht. Im Frühchristentum glaubte man, dass dieser Tag schnell kommt. Was nicht geschah.

Gemälde: Menschen leiden im Fegefeuer.
Im Fegefeuer konnte man vorab schonmal ein paar Sünden abarbeiten - natürlich unter QualenBild: Pascal Deloche/Godong/picture alliance

"Und dann", erklärt die Bonner Kulturanthropologin Dagmar Hänel, "fragte man sich immer häufiger: Was ist eigentlich mit den Seelen, was machen die? Kann man diese Zwischenzeit bis zum Jüngsten Gericht irgendwie sinnvoll nutzen?" Und so sei das Konzept vom Fegefeuer entstanden: einer Art Zwischenstation zwischen Tod und Ewigkeit, in der man anfängt, Sünden abzuarbeiten und sich zu reinigen.

Mit den armen Seelen im Jenseits gab es diesseits eine Verbindung. Dagmar Hänel: "Dieser Glaube ist in allen Religionen vorhanden: Wir können aufs Jenseits einwirken und umgekehrt. So beten wir den Rosenkranz, tun Gutes, spenden Almosen -  und das wirkt direkt auf das Leiden der armen Seelen im Fegefeuer." So zog man im Mittelalter in der Nacht vor Allerheiligen von Haus zu Haus, um Gaben zu erbitten. In manchen ländlichen Gegenden in Deutschland hat sich der Brauch bis heute fortgesetzt: Junggesellen ziehen durchs Dorf, beten, singen und segnen und bekommen - erheischen - dafür Geld oder Speisen. In den USA ist dieser "Heischebrauch" zum Kinderspaß geworden: "Trick or Treat".

Ein Brauch verschwindet - aus Europa

Halloweenkürbis mit Fratze im dunklen Wald.
Die Kürbisfratze ist zum Wahrzeichen von Halloween gewordenBild: imago/STPP

Mit der zunehmenden kirchlichen Aufklärung im 18. und frühen 19. Jahrhundert seien die Kirchen angesichts der alten Bräuche skeptisch geworden und hätten manche sogar verboten, weiß Kulturanthropologin Hänel. Hinzu kam - im Zuge der Industrialisierung - ein dichteres soziales Netz, sodass nicht mehr so immens viel für die Armen gesammelt werden musste. "Der Brauch-Kontext verschwand. Bräuche haben ja was mit 'brauchen' zu tun. Bräuche gibt es nicht aus Spaß, sondern weil Menschen ein Bedürfnis danach haben." Mit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung Ende des 19. Jahrhunderts fiel dieses Bedürfnis weg. Denn nun war der Staat für die Versorgung der Armen zuständig. So konnte es passieren, dass ein Brauch einfach abstarb.

"Transatlantische Rückwanderung"

Aber: Ganz tot war der Brauch ja nicht. Die irischen Auswanderer nahmen den Halloween-Brauch im 19. Jahrhundert mit nach Amerika. Viel besaßen sie nicht, aber an ihrer Kultur hielten sie fest. Lars Winterberg, Experte für Historische Anthropologie und Europäische Ethnologie, glaubt, dass Halloween vor allem in den Einwanderervierteln der großen Städte gefeiert wurde. Und dass die Tradition auch in der neuen Lebenssituation der irischen Auswanderer weitergelebt werden konnte. "Integration funktioniert selten als Einbahnstraße", so Winterberg, "faktisch kommt es fast immer zur Vermischung migrantischer Kultur mit jener der Aufnahmegesellschaft."

Halloween - eine Tradition aus Irland

So verbreitete sich der Halloween-Brauch in den gesamten USA. Zunächst eher als Kinderfest. Später wurde es "erwachsener", es gab die ersten Partys, die Kostüme, die Deko. Im Zweiten Weltkrieg und danach kam das Fest zurück nach Europa: In Deutschland stationierte US-Soldaten feierten Halloween. Die Deutschen nahmen es damals zur Kenntnis. Interessanter wurde Halloween, als es in Form von Kinofilmen und Serien nach Europa schwappte.

Eine wilde Mixtur aus allem, was untot ist

Trendsetter war "John Carpenter's Halloween". Ein Gruselklassiker, nach dem Halloween nie wieder so war wie vorher. Denn jetzt wurde einfach alles zusammengemixt: Horror, Zombies, Tod, Teufel, Hexen, Vampire, Dämonen, Spuk und Kinderspaß. Mittlerweile feierten selbst die traditionellen Iren Halloween auf amerikanische Art.

Jörg Fuchs, Europäischer Ethnologe an der Uni Würzburg, findet das absurd: "Halloween kommt nach Irland zurück. Man feiert in Irland ein amerikanisches Fest mit irischen Wurzeln, allerdings in amerikanischer Ausgestaltung."

Michael Myers in einer Filmszene des Horror-Klassikers "Halloween" (1978)
Kultschocker: Szene aus "Halloween" (1978)Bild: Imago

Auch Deutschland ist vom Halloween-Virus befallen. In den Schaufenstern der Geschäfte stehen orangefarbene Kürbisse mit Fratzengesichtern, an vielen Orten finden am 31. Oktober Halloween-Partys statt. Angesprochen wird vor allem das junge Publikum.

Karnevalsersatz?

Als der Halloween-Hype in den 1990er-Jahren in Deutschland an Fahrt aufnahm, schien es, als wollte die Karnevalsindustrie den Deutschen das Halloween-Fest geradezu aufzwingen. Jörg Fuchs hat dazu eine interessante Theorie: "1991 sind aufgrund des Irak-Krieges die Rosenmontagszüge ausgefallen. Eine Katastrophe für die Karnevalsindustrie, denen ist ein Millionengeschäft entgangen. Man suchte nach einem zweiten Standbein und überlegte, welches Fest man denn im Jahreslauf noch etablieren könnte. Seitdem kann man eine kommerzielle Blüte feststellen."

Viele Menschen in Deutschland beeindruckt das nicht. Gerade im Rheinland gibt es eine Alternative, die in wenigen Tagen beginnt: Am 11. November startet in den deutschen Karnevalshochburgen die "Fünfte Jahreszeit". Sie dauert bis Aschermittwoch - und basiert auf einem alten christlichen Brauch.