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Kulturpolitik in der globalisierten Welt

Elizabeth Grenier
16. Juni 2017

"Der Westen verschwindet", postulierte der indische Schriftsteller Pankaj Mishra am 9. Kulturpolitischen Bundeskongress. Das ist eine von vielen Herausforderungen, die Kulturmacher in Berlin diskutierten.

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Kulturpolitischer Bundeskongress in Berlin
Bild: DW/E. Grenier

"Welt. Kultur. Politik" war das Motto des 9. Kulturpolitischen Bundeskongresses in Berlin, der von der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet wurde. Beim diesjährigen Event standen die Folgen der Globalisierung für Kultur und Kulturpolitik im Mittelpunkt. Die Veranstaltung versteht sich als Plattform für Interessierte aus Kulturpolitik und Verwaltung sowie Kulturmanagern, Und sie will anregen zum Austausch fremder Kulturen in einer Gesellschaft, die kulturell immer heterogener wird.

"Der Westen": Ein veraltetes Konzept?

"Der Westen existiert nicht mehr", erklärte der indische Schriftsteller Pankaj Mishra im Hinblick auf das "verrückte Abenteuer Brexit" und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. In seinem Redebeitrag zum Auftakt des Kongresses ging es um  "Neue kulturelle Weltsichten".  "Der Westen", so der in London lebende Autor, sei ein Konzept, das sich im Laufe der Zeit gewandelt habe und nun im Begriff sei, "zunehmend an Bedeutung zu verlieren".

Pankaj Mishra Publizist aus Indien Archiv 2008
Historiker und Publizist Pankaj MishraBild: picture alliance/Effigie/Leemage

Deutschland, so erinnerte Mishra, habe im späten 19. Jahrhundert schon eine eigene Vision gehabt. Der "Westen" sei darin ein Gebilde gewesen, das Frankreich, Großbritannien und die USA umfasste. Dieses Weltbild spiegelt sich auch bei Thomas Mann, dem Schriftsteller, der in den 1930er Jahren zu einem großen Kritiker der Nazis wurde: In seinem 1918 erschienenen Buch "Betrachtungen eines Unpolitischen" befand er, dass der englische Liberalismus und die französische Aufklärung mit den Werten Deutschlands nicht kompatibel seien. 

Die industrielle Revolution habe Deutschland später erreicht als Großbritannien, meinte Mishra. Moderne Geschichte sei vor allem von Ländern gestaltet worden, die früh industrialisiert waren, erklärte er. Es sei deshalb hilfreich, den Prozess aus dem Blickwinkel der Länder zu betrachten, die erst spät dazu kamen – sozusagen die Sicht der "Verlierer" der Geschichte einzunehmen. Die historischen Aspekte, die sich hinter der gegenwärtigen internationalen Krise verbergen, beleuchtet Mishra in seinem neusten Buch, "The Age of Anger".

Buchcover Age of Anger: A History of the Present Pankaj Mishra
Ein neuer Blick auf die Geschichte: "Age of Anger" von Pankaj Miashra

Neoliberale Fantasien aufgeben

Das Prinzip des anglo-amerikanischen Liberalismus präge bis heute wirtschafts- und kulturpolitische Entscheidungen und sei durch den Fall der Mauer noch gestärkt worden, so Mishra. Dieser Neoliberalismus basiere auf Idee, dass freie, globalisierte Märkte unternehmerische Energien freisetzen, die das Wirtschaftswachstum befeuern. Letzeres wiederum sorge automatisch dafür, dass die Bevölkerung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlange. 

Mishra vergleicht diesen Ansatz mit der marxistischen Theorie, die postuliert, dass die Arbeiterklasse eines Tages so desillusioniert sein werde, dass sie das Bürgertum stürzen wolle.

"Wir müssen diese Ideen und Annahmen, die wir dem Rest der Welt aufdrängen, hinter uns lassen", fordert der Essayist beim Kulturpolitischen Bundeskongress. Diese Ansichten seien so tief verankert, dass es schwer werde, sie zu lösen, fügte er hinzu. "Selbst in Zeiten, in denen ein Verrückter im Weißen Haus regiert."

"Verwobene Geschichte" statt Einteilung in Gewinner und Verlierer

Léontine Meijer-van Mensch, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, warnte davor, eine Geschichte von Gewinnern und Verlierern zu schreiben und damit die Gräben zu vertiefen. "Solche Kategorien sind nicht eindeutig", so Meijer-van Mensch. Besser sei es, von "verwobener Geschichte" zu sprechen.

Sie versuche zum Beispiel, vereinheitlichende Definitionen von Juden zu umgehen, die in Deutschland oft in der "Opfer"-Schublade landen. Es gehe um die Pluralität der jüdischen Gemeinde, darum, dass ein "orthodoxer Rabbi und eine lesbische jüdische Aktivistin" durchaus Gesprächsthemen haben können.

"Gemeinsame Erlebnisse" sind besser als "Dialog"

Portrait Léontine Meijer-van Mensch (Foto: Yves Sucksdorff)
Léontine Meijer-van Mensch ist seit 2017 Programmdirektorin des Jüdischen Museums BerlinBild: Yves Sucksdorff

Neue Perspektiven für Museen erschließenm, möchte auch Lavinia Frey, Geschäftsführerin der Humboldt Forum Kultur GmbH. Der abgenutze Begriff des "Dialogs" sei dafür jedoch wenig hilfreich, sind sich Mishra, Meijer-van Mensch und Frey einig: Oft ginge er mit einer herablassenden Haltung einher, mit der die eine Seite versuche, der anderen ihre Meinung aufzudrücken.

Sie versuche vielmehr, grenzüberschreitende "gemeinsame Erlebnisse" herzustellen, sagte Frey und verwies auf die Ausstellung "Watch Out, Children" im Humboldt Box Ausstellungsgebäude, die am 7. Juli eröffnet. Die Schau soll zeigen, wie Eltern auf der ganzen Welt immer schon versucht haben, ihre Kinder zu schützen.

Das Jüdische Museum zeigt aktuell die Ausstellung "Cherchez la femme" mit Schlagzeilen und Bademode, Kopftüchern und Demonstrationen, Modenschauen und Papstaudienzen. Sie fragt: Wie viel Religiosität vertragen säkulare Gesellschaften?

Kulturinstitutionen im Rampenlicht

Kulturpolitischer Bundeskongress in Berlin
"Mit Kooperationen und Koproduktionen": Deutsche Kulturpolitik heuteBild: Martin Becker

Im deutschen Kulturaustausch bleibt allerdings der Dialog als zentrales Element erhalten, oft wiederholt vom Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert. Um neue Herausforderungen für Kulturvermittler ging es in einem Podiumsgespräch am Freitag mit Ebert, Ronald Grätz (Generalsekretär des ifa Instituts für Auslandsbeziehungen), Susanne Spröer (Leiterin von Kultur Online der Deutschen Welle) und Nana Adusei Poku (Professorin für visuelle Kulturen am Piet Zwart Institute der Willem de Kooning Akademie).

In Deutschland habe es kürzlich einen Paradigmenwechsel gegeben, meinte Grätz: Bei kulturellen Initiativen spiele nicht mehr der Staat die Hauptrolle, sondern die Zivilgesellschaft. Es sei zwar komplexer und aufwändiger, aber sein Institut arbeite nun mehr "mit Kooperationen und Koproduktionen", erklärt der Generalsekretär.

Manchmal ließen sich Krisen voraussagen, aber meistens kämen sie für Kulturschaffende doch überraschend, wie etwa die Wahl Trumps oder der Brexit, so Grätz. Damit müssten Kulturinstitute dann klar kommen.

In der Kritik: Fehlende Vielfalt in deutschen Kulturinstitutionen

Trumps Wahl sei ein "aufrüttelnder" Moment gewesen, so Adusei Poku, aber die Professorin sieht das eigentliche Problem bei den Instituten, die "viele Jahre ihre Arbeit nicht gemacht" hätten. Scharf kritisierte sie deutsche Kulturinstitute für ihren Umgang mit der Geschlechtervielfalt: "Wer ist in den Institutionen repräsentiert? Die Pluralität wird ständig marginalisiert."

Berechtigte Kritik, da waren sich die Podiumsgäste einig. Sie betonten aber auch, es werde daran gearbeitet, die Situation zu verbessern. "Pluralität wird nie gut genug repräsentiert sein", so Grätz, und räumte ein, eine totale Neufindung sei schwierig für internationale Institutionen. "Bis Ende des Jahres schaffen wir es nicht."