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Japan und der Gründerboom 1917

Martin Fritz
6. August 2017

Von Mitsubishi bis Toto: Über 1000 Unternehmen in Japan werden im Jahr 2017 100 Jahre alt. Das ist kein Zufall, sondern verrät viel über Japans Geschichte und seine wirtschaftliche Basis. Martin Fritz aus Tokio.

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Flagge Japan
Bild: AFP/Getty Images

Was haben die japanischen Unternehmen Nikon (Kameras), Subaru und Mitsubishi Motors (Autos), Meiji und Morinaga Milk (Nahrungsmittel), Toto (Toiletten), Mikasa (Sportartikel), Yokohama Rubber (Reifen) und Kikkoman (Sojasoße) gemeinsam? Sie gehören zu den 1118 Unternehmen, die laut Marktforscher Tokyo Shoko Research 1917 gegründet wurden und nun einhundert Jahre alt werden. 

Allerdings haben sich diese Unternehmen während dieser Zeit oft dramatisch gewandelt. Subaru begann im Mai 1917 als Nihon Hikoki and Nakajima Aircraft und stellte zuerst Flugzeuge her. Das erste "Subaru"-Auto wurde nach dem Krieg gebaut. Nikon entstand im Juli 1917 als Nippon Kogaku Kogyo durch den Zusammenschluss von drei Firmen und stellte anfangs Ferngläser, Mikroskope und Linsen her. Mit der Produktion eigener Kameras wurde ebenfalls erst nach dem Krieg begonnen. Yokohama Rubber startete im Oktober 1917 als Drahthersteller. Die erste Reifenfabrik entstand drei Jahre später. Auch der heutige Sportartikelproduzent Mikasa wurde im Mai 1917 für die Gummiherstellung gegründet.

Bikini Mode Beachvolleyball
Was für ein Volleyball! Dessen japanischer Hersteller Mikasa wurde vor 100 Jahren gegründetBild: Getty Images/B. Kara

Der Erste Weltkrieg und der Gründerboom

Der Gründerboom war eine Folge des Ersten Weltkriegs. Viele Jungunternehmen erhielten damals Aufträge vom Militär in Japan und im Ausland, weil der Krieg die weltweiten Lieferketten empfindlich gestört hatte. Russland zum Beispiel verlor nach Angaben des österreichischen Militärhistorikers Harald Pöcher seine Kontakte zum Deutschen Reich und zu Österreich-Ungarn und kaufte seine Kanonen, Haubitzen und Munition ab Frühjahr 1915 in Japan ein. Frankreich bestellte 1917 in Japan zwölf Zerstörer, die man wegen des Krieges nicht selbst bauen konnte. Die ausländische Nachfrage nach Militärgütern kurbelte japanische Exporte kräftig an.

Der Krieg kam für Japans Wirtschaft insofern zu einem günstigen Zeitpunkt, als dass gerade die zweite Stufe der Industrialisierung einsetzte. Beim ersten Gründerboom Mitte der 1880er Jahre waren vor allem Leichtindustrie, Banken, Transportwesen und viel Handwerk entstanden. Nun folgten die Schwerindustrie, darunter der Schiffsbau und die Reifenherstellung sowie die Produktion von Maschinen und Motoren. So ging im Oktober 1917 Japans erster Autohersteller Mitsubishi Motors an den Start.

Bildergalerie chinesisch-japanische Beziehungen Südmandschurische Eisenbahn
Zugverbindung zwischen Russland und dem Nordosten Chinas unter japanischer Kolonialherrschaft Anfang des 20. JahrhundertsBild: picture alliance / Mary Evans Picture Library

"Der Krieg beschleunigte die Industrialisierung, weil bisherige Importe plötzlich wegfielen und die Waren selbst hergestellt werden mussten", analysiert Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio. Zu diesem Zeitpunkt habe Japan schon eine ausreichende industrielle Basis vom Kapitalstock über qualifizierte Arbeitskräfte bis zu Technologien aufgebaut, um die neuen Chancen auf dem Weltmarkt zu nutzen.

Aufschwung nach Krieg

Die Großunternehmer brauchten nun ihre eigene Organisation und gründeten im März 1917 den "Japan-Industrie-Klub", in dem die Konzerne Mitsui und Mitsubishi das entscheidende Wort hatten. Mit der unverdächtigen Losung "Entwicklung der Wirtschaft" konnten sie Regierung, Militär und Parteien beeinflussen, schreibt der japanische Historiker Kiyoshi Inoue. Aber 1917 wurde auch das RIKEN-Institut für naturwissenschaftliche Forschung gegründet, das sich an der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften orientierte. Diese wurde 1911 gegründet und war die führende Forschungseinrichtung in Deutschland. In Japan entstand kurz nach der Gründung des RIKEN-Instituts ein Konglomerat mit Herstellern wie Ricoh als unternehmerischer Zweig.

Der "Große Kriegsaufschwung" erfasste auch die Landwirtschaft, die nach Angaben von Historiker Inoue ihre Produktion von 1914 bis 1919 im Wert verdreifachte. Das System der autarken Selbstversorgung brach zusammen, Großgrundbesitzer vergrößerten ihre Flächen und Nahrung wurde nun industriell hergestellt. Im September bzw. Dezember 1917 entstanden die Vorläufer von Großmolkereien  Morinaga Milk und Meiji Dairies. Ihr erstes Produkt war jeweils Kondensmilch. Auch dafür gab es Nachfrage von militärischer Seite. Heute ist Morinaga Japans führender Schokoladenproduzent und Meiji Holdings einer der größten Süßwarenhersteller der Welt. Im Dezember 1917 schlossen sich auch acht mehrere hundert Jahre alte Familienunternehmen für Sojasoße zum Vorgänger von Kikkoman zusammen, um ihr Handwerk fortan in industriellem Maßstab zu betreiben.

Schild Mitsubishi UFJ Financial Group Inc.
Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ kam aus der 1880 gegründeten Mitsubishi-Hausbank hervorBild: picture-alliance/dpa/K. Mayama

Ende des Booms

Allerdings war dieser Gründerboom schon bald vorbei. 1923 zerstörte ein schweres Erdbeben die Hauptstadt Tokio. Anfang der 1930er Jahre rutschte Japan mit der westlichen Welt in eine schwere Wirtschaftskrise. Dass viele der 1917 gegründeten Unternehmen diese Durststrecken einschließlich des Zweiten Weltkriegs überlebten, sei den stabilen Beschäftigungsverhältnissen in Japan zu verdanken, meint der Japan-Experte Waldenberger.

"Wegen des Systems der lebenslangen Beschäftigung werden die Leute in Japan bei Krisen nicht entlassen. Die Unternehmen versuchen, neue Geschäftsfelder zu erschließen", erläutert der deutsche Japan-Ökonom. Solche Restrukturierungen seien bis in die 90er Jahre hinein durch ein Hausbankensystem ermöglicht worden, das den Unternehmen auch in Krisenzeiten beiseite stand. Offenbar mit Erfolg. Nach einer Statistik der Bank of Korea sind 56 Prozent der weltweit über 3100 Firmen, die älter als 200 Jahre sind, in Japan zu Hause.