1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kunst in der Kolonialzeit

Sarah Hucal
6. August 2017

Als erstes deutsches Kunstmuseum befasst sich die Kunsthalle Bremen mit ihrer Kolonialgeschichte. Im DW-Interview erzählt Kuratorin Julia Binter, welche Wunden diese Zeit bis heute hinterlässt.

https://p.dw.com/p/2hcw1
Julia Binter, Anthropologin und Kuratorin der Ausstellung "Der Blinde Fleck" in der Kunsthalle Bremen, 2017
Bild: Christina Kuhaupt

Deutsche Welle: Warum ist heutzutage die Kunst aus Kolonialzeiten so wichtig?

Julia Binter: Koloniale Weltbilder und koloniale Bilder haben die Kolonialzeit lange überlebt. Auch heute sind wir umgeben von rassistischen und exotistischen Bildern, die die Art und Weise beeinflussen, wie wir auf Menschen, die wir als "fremd" wahrnehmen, zugehen.

Ziel der Ausstellung "Der blinde Fleck" ist es, die Kunstwerke der Moderne, die in der Kolonialzeit entstanden sind, auf ihre kolonialen Verflechtungen hin zu untersuchen.

Darüber hinaus war es uns ein Anliegen, jene Menschen in die Gestaltung der Ausstellung und des Rahmenprogramms einzubinden, die auch heute noch von Rassismus betroffen sind. Die Kunsthalle Bremen freut sich entsprechend, dass das Afrika-Netzwerk Bremen e.V. und die nigerianisch-deutsche Künstlerin, Ngozi Schommers, sich zu einer Kooperation bereit erklärt haben.

Kunsthalle Bremen-Ausstellung Der Blinde Fleck
Die nigerianisch-deutsche Künstlerin Ngozi Schommers wirkt bei der Ausstellung mit; das ist ihr SelbstporträtBild: Ngozi Schommers

Dass die Kunsthalle Bremen als erstes Museum Deutschlands seine koloniale Vergangenheit behandelt, ist schon etwas Besonderes. Warum erst jetzt? War es bisher ein Tabuthema?

In Deutschland haben sich im vergangenen Jahr das Historische Museum in Berlin und das Landesmuseum Hannover mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinandergesetzt. Die Kunsthalle Bremen ist jedoch das erste Kunstmuseum Deutschlands, das dies tut.

Kunstmuseen wurden und werden teilweise noch immer als weiße Institutionen angesehen, wo der Geschmack für europäische Kunst und Kultur verfeinert wird. Dabei haben meine Forschungen ergeben, dass sowohl das Mäzenatentum der Kunsthalle als auch die Sammlung selbst viele koloniale Bezüge aufweisen und ganz zentral mit dem vermeintlich "Fremden" zu tun haben.

Lesen Sie auch: Kolumne: Kampf gegen koloniale Straßennamen in Berlin 

Warum bietet sich gerade Bremen an, wenn es darum geht, eine solche Sammlung von einem postkolonialen Blickwinkel zu betrachten?

Zu Beginn des deutschen Kolonialismus war Bremen bereits seit Jahrhunderten über die Niederlande und Großbritannien in koloniale Handelssysteme eingebunden. Während des deutschen Kolonialismus stieg die Hansestadt zu einem führenden Handelsplatz für Kolonialwaren und die Auswanderung von Menschen nach Übersee auf.

Der Norddeutsche Lloyd, 1857 in Bremen gegründet, war beispielsweise um die Jahrhundertwende die zweitgrößte Reederei der Welt. All diese kolonialen Bezüge haben auch ihren Niederschlag in der Kunsthalle Bremen gefunden. Es waren international aktive Kaufleute, die 1823 den Kunstverein in Bremen gegründet und um 1900 der Kunsthalle durch ihre Stiftungen eine hochkarätige Sammlung ermöglicht haben.

Lesen Sie auch: Rassismus in der Literatur: Warum der Robinson-Crusoe-Tag nicht nur Anlass zum Feiern ist

So wie ich das verstehe konzentriert sich die Ausstellung auf die Rolle des "Fremden" und versucht genau dieses Konstrukt anzufechten. Inwiefern spiegeln die Exponate das wider?

Künstlerinnen und Künstler der europäischen Moderne haben sich intensiv mit Kunst und Menschen auseinandergesetzt, die sie als "fremd" wahrnahmen. Dazu zählen u.a. Emil Nolde, Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Behn, die mit entsprechenden Werken in der Bremer Sammlung vertreten sind.

Sie haben stereotype Vorstellungen, die in der Kolonialzeit von Medien und der Wissenschaft verbreitet wurden, oft auch ganz bewusst in ihre Arbeiten einfließen lassen. Diese europäischen Perspektiven werden in der Ausstellung mit historischen und zeitgenössischen Positionen der Kunst aus verschiedenen globalen Kontexten in Dialog gesetzt.

Kunsthalle Bremen-Ausstellung Der Blinde Fleck
Der schottische Künstler Hew Locke prangert den Kolonialismus mit Werken wie "Cui Bono" (2017) an Bild: Hew Locke/Hales Gallery/VG Bild-Kunst

Darunter sind Werke wie Amrita Sher-Gils "Selbstporträt als Tahitianerin", in dem die ungarisch-indische Künstlerin bereits im Jahr 1934 den erotisierenden und exotisierenden Blick weißer Künstler wie Paul Gauguin auf Women of Colour kritisch hinterfragte.

Glauben Sie, dass "Der Blinde Fleck" den Anstoß für andere Ausstellungshäuser zum Thema Kolonialismus bietet? Wenn ja, warum ist es bedeutsam?

Ich hoffe es. Die Forschung zur Kolonialgeschichte Deutschlands ist bereits weit gediehen. Nun ist es an der Zeit, diese auch in der Gesellschaft zur Diskussion zu stellen und zu fragen, was wir daraus lernen können. Viele der Vorurteile, die wir gegenüber Menschen, die wir als "fremd" wahrnehmen, wie zum Beispiel geflüchteten Menschen, hegen, sind bereits in der Kolonialzeit entstanden. Gleichzeitig hat sich an den globalen ökonomischen und politischen Verhältnissen wenig geändert.

Erst wenn man die eigene Geschichte mit allen ihren Schattenseiten verstehen lernt, kann man die Gegenwart und Zukunft positiv gestalten. In einer globalisierten Gesellschaft ist das unerlässlich.

Julia Binter studierte Kultur- und Sozialanthropologie, sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien und Paris. An der Oxford University schreibt sie zurzeit ihre Doktorarbeit über Welthandel, kulturellen Austausch und imperialen Kontakt in Westafrika. Sie ist Fellow und Gastkuratorin an der Kunsthalle Bremen. Die Ausstellung "Der Blinde Fleck" wird bis zum 19.11.2017 zu sehen sein.

Das Interview führte Sarah Hucal.