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Begrabene Hoffnungen

Benjamin Bidder25. April 2007

Für viele Russen verkörperte Boris Jelzin, Mann des Volkes, den Traum einer glücklicheren Zukunft. Heute ist es um Bürgerrechte wie die Meinungsfreiheit schlecht bestellt, und die Klassengesellschaft hat sich verfestigt.

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Bild: DW

Der Mann, der da furchtlos auf dem Panzer stand, er verkörperte für die zehntausenden Menschen auf dem Platz und für Millionen Russen am Fernseher einen Traum. Boris Jelzin, hemdsärmeliger Politiker und später erster Präsident Russlands, kletterte im August 1991 mutig auf einen der aufgefahrenen Panzer im Zentrum Moskaus. Eine Geste, die den Putsch gegen Gorbatschow zum Scheitern verurteilte – eine Geste, die auch die Popularität Jelzins begründete. Der energische Jelzin verkörperte den Aufbruch nach dem Ende der Sowjetunion. Er galt vielen als die Personifikation von Demokratie und Marktwirtschaft, als Verheißung von Freiheit und Wohlstand für alle.

Zu Fuß und in der Schlange

"Das ist einer von uns, ein ganzer Kerl" – so und ähnlich beschrieben die Russen Jelzin damals ehrfürchtig. Jelzin, selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, zeigte Verbundenheit mit dem Volk, wo er nur konnte: Er ging zu Fuß zur Arbeit, stellte sich in den Schlangen vor den Geschäften hinten an, diskutierte in Hörsälen mit Studenten. Jelzin war es auch, der auf marktwirtschaftliche Reformen und eine demokratische Verfassung setzte.

Boris Jelzin ist tot – und Russlands Demokratie gibt heute ein trauriges Bild ab. Spätestens die harten Polizeiaktionen gegen Oppositionsdemos in den vergangenen Wochen haben die in der Verfassung von 1993 verankerte Meinungs- und Versammlungsfreiheit zur hohlen Phrase degradiert. Auch die wirtschaftlichen Hoffungen vieler Russen haben sich nicht erfüllt.

Schere mit 44 Milliardären

Weite Teile der ländlichen Bevölkerung sind verarmt und selbst im ewig boomenden Moskau öffnet sich die ohnehin enorme Schere zwischen Arm und Reich weiter. In den glamourösen Clubs und Restaurants feiert sich die Highsociety der Hauptstadt selbst, brechen die Preise für Luxusgüter und Hotels alle Rekorde. Nach Angaben des Magazins "Forbes" gibt es in Moskau 44 Milliardäre, und ihre Zahl wächst Jahr für Jahr.

Doch nebenan leben Menschen am Rande der Armut. Die Hälfte der Moskauer verdient weniger als umgerechnet 400 Euro im Monat, zehn Prozent müssen gar mit weniger als 100 Euro auskommen, darunter viele Rentner. Zwar sind deren Renten in den vergangenen Jahren dank der sprudelnden Staatseinnahmen aus den Rohstoffverkäufen auch gestiegen – doch durchschnittlich 80 Euro im Monat reichen noch immer kaum zum Überleben.

Gefestigte Klassengesellschaft

Reich wird dagegen nur, wer im Club der Einflussreichen ist, wer über gute Beziehungen verfügt, am besten zum Kreml selbst. Reich bleibt, wer sich fügt und nicht aufmuckt. Unter Wladimir Putin haben sich diese Art der Cliquen-Wirtschaft und die Klassengesellschaft in Russland noch weiter verfestigt.

Heute, 16 Jahre nach Jelzins umjubelter Rede auf dem Panzer, ist die Gesellschaft tief gespalten in Arm und Reich. Arm und Super-Reich. Von den Idealen, für die er einstmals eintrat, von Demokratie und ökonomischer Chancengleichheit aller, ist das Land nach seinem Tod vielleicht weiter entfernt, denn je.