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Politik

Kampf gegen Verstümmelung

Suzanne Krause (hy)6. Februar 2009

In Frankreich kooperieren eine frühere "Klitoris-Beschneiderin" und die Anwältin eines ihrer Opfer. Ihr Ziel: Sie wollen diese "schädliche Tradition" ausrotten.

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Somalia Genitalverstümmelung Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa

Im Februar 1999, vor genau zehn Jahren, wurde Hawa Gréou, eine traditionelle "Beschneiderin" aus Mali, in Paris zu acht Jahren Haft verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, mindestens 48 Mädchen verstümmelt, ihnen die Klitoris beschnitten zu haben. Nach französischem Recht ist das ein Verbrechen.

Der Prozess sorgte für Schlagzeilen, nicht nur in Frankreich selbst, sondern weltweit, auch in Afrika. Erstmals hatte ein junges Mädchen afrikanischer Abstammung, das in seiner Kindheit verstümmelt wurde, selbst gegen die Beschneiderin geklagt. Deren Name: Hawa Gréou. Die Malierin ist heute über 60 Jahre alt. Sie hat ihre Haftstrafe abgesessen und nach ihrer Freilassung Kontakt zu der Anwältin aufgenommen, die sie hinter Gitter gebracht hatte - zu Linda Weil-Curiel. Diese kämpft seit mehr als 25 Jahren gegen die Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane.

Frauen im Senegal protestieren gegen die Klitoris-Beschneidung (Archivfoto dpa)
Frauen im Senegal protestieren gegen die Klitoris-Beschneidung (Archivfoto)Bild: picture-alliance / dpa

Einer ihrer normalen Arbeitsalltage: Im Büro der Pariser Anwältin sitzen die Afrikanerin - in traditioneller Kleidung, einem weißen Boubou mit pastellfarbenen Stickereien - und die Französin - in legerer Hose und Wolljacke - nebeneinander und schauen gemeinsam ein Video an. Eine Beschneiderin aus dem Senegal berichtet darin, warum sie das Messer ein für alle Mal aus der Hand gelegt, der Tradition der weiblichen Beschneidung abgeschworen hat.

Erinnerungen werden wach

Interessiert verfolgt Hawa Gréou den Bericht. Jahrzehntelang hat sie junge Mädchen beschnitten, getreu der Tradition der Ahnen. Eine Aufgabe, die vor ihr schon Mutter und Großmutter ausübten, denn Gréou stammt aus der Kaste der Schmiede. Die Schmiede genießen großes Ansehen in Afrika: sie hüten das Feuer, wahren die Traditionen und schlichten Streit im Dorf.

Hawa Gréou beherrscht die traditionelle Zeremonie. Sie ist stolz, dass keines der Mädchen, die sie beschnitten hat, an dem Eingriff gestorben ist, keines sei krank geworden. Bei ihren afrikanischen Landsleuten in Frankreich ist sie wegen ihrer Professionalität ein Star. Die Malierin beobachtet aber zunehmend, dass heutzutage immer mehr Frauen Beschneidungen ausführten, die nicht in die Bräuche eingeweiht wurden. Mit den entsprechenden Folgen: Hawa Gréou berichtet, wie sie ein Mädchen sah, das gerade beschnitten worden war. "Das Mädchen blutete und blutete, das Blut hörte gar nicht auf zu fließen". Sie habe das Mädchen dann später versorgt und es geheilt. Aber einige Wochen später sei es dennoch gestorben. Die Beschneiderin habe ihr Handwerk nicht verstanden. Dennoch habe sie noch weitere Mädchen beschnitten - auch die hätten alle sehr stark geblutet, so Hawa Gréou.

Flugblätter zur Hilfe

Hawa Gréou und Linda Weil-Curiel arbeiten heute Hand in Hand, um die schädliche Tradition zu beenden. So kam die Afrikanerin auf die Idee, ihr Porträt-Photo im Großformat zu kopieren. Unter jedem Bild steht: "Hawa Gréou sagt: Mädchen zu beschneiden ist nicht gut". Und darunter setzt sie ihre Telefonnummer. Die originellen Flugblätter verteilt Gréou jeden Freitag in der Moschee, bei Hochzeiten und überall, wo sie in Frankreich Landsleute trifft. Anwältin Linda Weil-Curiel ist hoch erfreut über die Arbeit der früheren Beschneiderin. Sie nennt ihre neue Mitstreiterin respektvoll "Mama Gréou". Die Malierin werde "nicht nur gehört, sondern man hört auch auf sie", so Weil-Curiel. Das sei sehr wichtig, um eine Botschaft zu verbreiten, die ihnen beiden heute "gemeinsam" sei.

Noch kein Gesetz in Mali

Gréous Botschaft, Mädchen nicht mehr zu beschneiden, dringt bis in die Dörfer Afrikas. In Mali verfolgten viele das Gerichtsverfahren gegen die berühmte Beschneiderin vor zehn Jahren in Paris mit großer Aufmerksamkeit. Ihre Verurteilung bewegte manchen zum Umdenken in Mali, einem Land, das als eine der Hochburgen beim Thema Klitoris-Verstümmelung gilt.

Arbeiter waschen ihre Wäsche am Fluss Niger, im Westen von Mali
In den traditionellen Gesellschaften in Mali findet das Umdenken nur langsam stattBild: DW / Debrabandère

Seit fast zehn Jahren hat die Regierung einen Gesetzentwurf in der Schublade, um die Beschneidung zu verbieten. In den Nachbarstaaten rundum wurden solche Gesetze mit Erfolg schon eingeführt. Im Senegal beispielsweise haben innerhalb von zehn Jahren etwa ein Drittel der Stämme, die Mädchen verstümmeln, diese Praxis aufgegeben. Auch in Mali schwören mehr und mehr Dörfer in großen Zeremonien der schädlichen Tradition ab.

Vor kurzem startete das Kinderhilfswerk UNICEF eine neue Aufklärungskampagne: Bis Mitte Februar touren Theater-Gruppen durch Mali und machen mobil gegen die genitale Verstümmelung. Einer der prominentesten Vorkämpfer ist der malische Starmusiker Tiken Jah Fakoly. In seinem Videoclip "Non à l'excision" werden ein Mutter und ein Vater gezeigt, wie sie im letzten Moment ihre Tochter vor der traditionellen Beschneidung bewahren. Er singt von "150 Millionen Opfern in der Welt, drei Millionen Frauen und Mädchen pro Jahr. Wir sprechen hier von weiblicher Genital-Verstümmelung". Förmlich heraus schreit er: "Nein zur Beschneidung! Rührt die Mädchen und Frauen nicht mehr an. Sie haben schon genug gelitten".

Umdenken setzte im Gefängnis ein

Bei Hawa Gréou kam das Umdenken im Gefängnis. Dort wurde ihr nach und nach klar, dass sich ihre Verurteilung nicht gegen afrikanische Traditionen im allgemeinen richtete, sondern.dass Klitoris-Verstümmelung in Frankreich bestraft wird und das, um die Gesundheit von Mädchen und Frauen zu schützen.

Obwohl strenggläubige Muslimin gesteht die Malierin inzwischen ein, dass nicht jeder Tod Allahs Wille sei. Da "schiebt man ihm aber viel in die Schuhe". Klar: Er entscheide über Leben und Tod. Aber man müsse heutzutage auch klar sagen, wenn ein Mädchen an einer Beschneidung gestorben sei. Bislang sei das ein Tabu gewesen.

Prozess mit Folgen

Sarkozy (links) verleiht Waris Dirie (rechts) einen Orden für ihren Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung
Sie ist eine der prominenten Kämpferinnen gegen Genitalverstümmelung, Warie Dirie. Frankreichs Präsident Sarkozy zeichnete sie für ihre Bemühungen im Juli 2007 ausBild: AP

Nicht nur für Hawa Gréou persönlich war der Prozess vor zehn Jahren wichtig, sondern auch für Anwältin Linda Weil-Curiel. Er sei einer der wichtigsten Verfahren im Kampf gegen Klitoris-Verstümmelung gewesen. "Er erlaubte den Mädchen, die verstümmelt wurden oder denen die Beschneidung droht, sich mit der Frage auseinander zu setzen und ihre Eltern auf das Thema anzusprechen, das bislang tabu war. Sie haben verstanden, wie gefährdet sie sind. Sie haben aber auch verstanden, dass man in Frankreich versucht, sie zu beschützen".

Das erstaunlichste Ergebnis aber bleibt die Freundschaft, die die französische damalige Anklägerin und die afrikanische damalige Angeklagte heute miteinander verbindet. "Inch' Allah", kommentiert Hawa Gréou.