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Die Finanzbeamtin

22. Juni 2010

Wer geht schon gerne ins Finanzamt? Wer denkt schon gerne an die Steuern? Birgit Winterscheidt macht das seit über drei Jahrzehnten jeden Tag: Sie ist Finanzbeamtin in Mülheim a. d. Ruhr.

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Birgit Winterscheidt (Foto: DW)
Birgit Winterscheidt

Es ist ein milder Novembertag. Birgit Winterscheidt sitzt auf der Bank in ihrem hübschen Garten mit dem kleinen Teich, neben sich ihren Lebensgefährten Walter Pusch. Die Sonne scheint auf ihre Gesichter. Sie strahlt und küsst ihn. Birgit Winterscheidt ist 51 Jahre alt, Walter Pusch 58. Die beiden kannten sich bereits 32 Jahre, bis sie vor zwei Jahren schließlich zueinander fanden. Warum es so lange dauerte, bis es schließlich gefunkt hat? "Wir waren vorher schon befreundet“, erklärt Birgit Winterscheidt, "aber sowohl er als auch ich waren verheiratet - bis vor zwei Jahren seine Frau starb. Ich lebte damals schon lange getrennt.“

Erst Kollege, dann Freund, dann Lebenspartner

Birgit Winterscheidt mit ihrem Lebensgefährten
Birgit Winterscheidt mit ihrem LebensgefährtenBild: DW

Birgit Winterscheidt und Walter Pusch kennen sich von der Arbeit. Seit über drei Jahrzehnten sind sie Kollegen, arbeiten im selben Finanzamt in der 160.000-Einwohner-Stadt Mülheim an der Ruhr. Ihre Büros liegen sich fast direkt gegenüber; nahezu alles machen die beiden gemeinsam: Vormittags gehen sie zusammen zum Frühstück in die Kantine, tagsüber drei, vier Mal zum Rauchen in die Raucherecke außerhalb des Gebäudes. Mittags gehen sie an der Ruhr spazieren - die fließt direkt neben dem Finanzamt vorbei. "Wir machen auch Fahrradtouren zusammen oder gehen Wandern", lächelt Birgit Winterscheidt.

Die Finanzbeamtin im gehobenen Dienst überprüft die Steuererklärungen von Menschen mit hohem Einkommen. Außerdem ist sie für Insolvenzfälle zuständig. "Das heißt, ich bin jetzt nicht mehr mit dem Publikum konfrontiert, sondern eher nur mit Akten.“

Ein Leben im Finanzamt

Ihr ganzes Arbeitsleben hat Birgit Winterscheidt im Finanzamt verbracht, seit sie mit 15 Jahren hier ihre Ausbildung begonnen hat. Sie hat sich hoch gearbeitet, hat sich erst für den mittleren und dann für den gehobenen Dienst weiterqualifiziert. Mit ihrer Arbeit ist sie zufrieden - aber ihr Kindheitstraum war die Arbeit als Finanzbeamtin nicht.

Birgit Winterscheid hat einen ausgesprochenen Sinn für Kunst. Sie malt, stickt, liebt die Innengestaltung. Ihr Haus in Oberhausen hat sie in eine kleine Idylle verwandelt. Ästhetik hat für sie einen hohen Rang - zum Beispiel beim Autokauf: "Ich verstehe nichts von Technik“, sagt Birgit Winterscheidt, "deshalb habe ich mich einfach für ein schönes Auto entschieden.“

Allerdings war nicht immer alles schön im Leben der Ästhetin. Zum Beispiel vor 16 Jahren. Diese Zeit beschreibt sie als die härteste ihres Lebens. Ihr damaliger Mann hatte sie verlassen. Birgit Winterscheidt musste ihre damals drei- und fünfjährigen Söhne alleine erziehen. Damals hat sie Teilzeit gearbeitet und die Kinder in den Kindergarten geschickt. Der Gang zum Sozialamt, zu Hause zu bleiben, beruflich nichts machen - das kam für sie nicht in Frage.

"Ich bin noch nie so verwöhnt worden"

Birgit Winterscheidt und ihre Söhne (Foto: DW)
Birgit Winterscheidt und ihre SöhneBild: DW

Ihre zwei Söhne sind inzwischen junge Männer. Der 21 Jahre alte Nicholas studiert Wirtschaftswissenschaften. Er verschanzt sich gerne hinter Zeitungen auf dem Sofa. Der 19-jährige Christoph ist kontaktfreudiger. Er unterhält sich gerne mit seiner Mutter und ihrem Lebenspartner, gerne über Autorennen in der Formel 1. Die interessieren ihn besonders. Für Ihre Söhne wünscht sich Birgt Winterscheidt vor allem einen vernünftigen Beruf.

In der Novembersonne blickt Birgit Winterscheidt verliebt auf ihren Partner. Noch nie in ihrem Leben sei sie so verwöhnt worden, noch nie hätten sie sich gestritten, strahlt sie. Birgit Winterscheids Erklärung: Mit dem Alter gehe man anders miteinander um. Vielleicht auch ein Ergebnis der Harmonie: Acht Kilo hat die Finanzbeamtin zugenommen, seitdem sie mit ihrem Kollegen zusammen lebt.

Autorin: Tian Miao
Redaktion: Matthias von Hein