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Wannsee-Konferenz: Erinnern hört nie auf

Elizabeth Grenier
20. Januar 2022

1942 planten die Nazis bei der Wannsee-Konferenz den Holocaust. 80 Jahre später zieht die Leiterin der Gedenkstätte Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

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Das Haus der Wannsee Konferenz liegt in einem Park
Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in BerlinBild: DW/E. Grenier

Am 20. Januar 1942 trafen sich fünfzehn hochrangige nationalsozialistische Führungskräfte in einer Villa im Berliner Vorort Wannsee. Während ihrer 90-minütigen Zusammenkunft, die als Wannseekonferenz bekannt wurde, besprachen sie die Umsetzung der "Endlösung der Judenfrage", der offizielle Codename für die systematische Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkriegs. Heute dient die Villa als Gedenkstätte. Die Dauerausstellung in dem Bildungszentrum behandelt nicht nur die Beschlüsse der berüchtigten Wannsee-Konferenz, sondern geht weit über die Ereignisse des 20. Januar 1942 hinaus

Erinnerungsarbeit neu angehen

 "Es geht um weit mehr als diese fünfzehn Herren, auch wenn es sehr attraktiv ist, sich auf sie zu fokussieren, weil man sich dadurch ein bisschen aus der Verantwortung ziehen kann", sagt die Politikwissenschaftlerin Deborah Hartmann, die die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz seit Dezember 2020 leitet.

Deborah Hartmann in den Räumen des Hauses der Wannsee-Konferenz
Deborah Hartmann an ihrer Wirkungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz Bild: Elizabeth Grenier/DW

Die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden wird dort ebenso behandelt wie die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen. Die 38-jährige Hartmann sieht es auch als ihre Verantwortung an, den zögerlichen Umgang Deutschlands mit dem Holocaust in der Nachkriegszeit aufzuarbeiten.

So hatte der Historiker und Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf bereits 1965 vorgeschlagen, die Wannsee-Villa in eine Holocaust-Gedenk- und Forschungsstätte umzuwandeln. Doch die Politik entschied sich damals dagegen; das Haus wurde als Schullandheim genutzt. Nachdem Wulf Morddrohungen erhalten hatte und er davon überzeugt war, dass die Bundesregierung wohl niemals konsequent Nazi-Kriegsverbrecher verfolgen und verurteilen würde, beging er 1974 Selbstmord.

Joseph Wulf am Schreibtisch in seiner Wohnung in Berlin
Joseph Wulf sprach sich für eine offene Auseinandersetzung mit dem Holocaust ausBild: Ursula Böhme/GHWK

In den 1980er-Jahren flammte die Debatte um die Villa erneut auf, doch erst am 20. Januar 1992, dem 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz, wurden die Holocaust-Gedenkstätte und das Museum eröffnet.

Gefährliche Kontinuitäten über die Nazi-Zeit hinaus

Joseph Wulf habe mit seiner Forschungsarbeit aufzeigen wollen, welche Kontinuitäten es in der Nachkriegszeit in Machtstrukturen und Führungspositionen in der westdeutschen Politik gab, erklärt Hartmann. "Dieser Kampf, den einige unternommen haben, hier etwas einzurichten, das die Gesellschaft tatsächlich aufklärt oder sie mit dem konfrontiert, was wirklich passiert ist, und die jahrzehntelange Ignoranz und das Verschweigen als Antwort, ist das, was mich vielleicht sogar am meisten bewegt."

"Kontinuität" ist ein Begriff, den Hartmann oft verwendet, wenn sie über ihre eigene Arbeit spricht: Denn sie sieht die Erinnerungsarbeit an den Holocaust nicht nur in der Vergangenheit verankert, sondern als einen fortlaufenden Prozess, bei dem es darum geht, die Zusammenhänge zwischen der Geschichte und dem Heute aufzuzeigen.

Vergangenheitsbewältigung geht nur durch Ehrlichkeit

Als Hartmann 2018 auf eine dieser Kontinuitäten hinwies, löste sie einen kleinen diplomatischen Zwischenfall aus. Bevor sie Direktorin des Hauses der Wannseekonferenz wurde, war sie Leiterin des German Desk der International School for Holocaust Studies von Yad Vashem in Jerusalem. Die in Wien geborene Wissenschaftlerin begleitete offizielle Delegationen deutschsprachiger Länder bei ihrem Besuch der bedeutenden israelischen Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und diese auch wissenschaftlich dokumentiert. 

Während einer Führung unter Teilnahme von Sebastian Kurz kritisierte sie den damaligen österreichischen Bundeskanzler dafür, dass er sich einerseits für das Gedenken an die Shoah und die Bekämpfung des Antisemitismus einsetze, während er andererseits mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) koaliere, der Politiker angehörten, die "offen antisemitisch" seien. Ihre Äußerungen lösten eine derartige Unruhe aus, dass Yad Vashem sich genötigt sah, eine Entschuldigung beim österreichischen Botschafter in Israel einzureichen.

Doch Hartmann steht noch immer dazu: Aufrichtigkeit gehöre für sie zu ihrer Arbeit dazu, auch wenn sie dabei ihren Job riskiert habe, sagt sie. "Ich würde es heute, glaube ich, nicht anders machen, weil wir uns selbst gegenüber ehrlich sein müssen."

Täterort wird Gedenkstätte für die Opfer

Deborah Hartmanns Urgroßeltern wurden während des Holocausts aus Wien deportiert und ermordet, doch ihre eigene jüdische Identität sollte ihrer Meinung nach nicht im Vordergrund stehen, wenn es um ihre Rolle als Leiterin der Gedenkstätte geht. "Warum werde ich jetzt darauf angesprochen, dass ich Jüdin bin?", fragt sie im DW-Interview. "Ich verstehe natürlich, dass das von Interesse ist, aber was bedeutet es eigentlich, danach gefragt zu werden? Liegt es daran, dass es immer noch so außergewöhnlich ist? Oder daran, dass es immer noch keine Normalität zwischen Deutschen und Juden geben kann?"

Luftaufnahmen vom Großen Wannsee in Berlin
Der Wannsee in Berlin: In idyllischer Umgebung wurde die "Endlösung der Judenfrage" beschlossenBild: Friedrich Bungert/Geisler-Fotopr/picture alliance

Hartmann gesteht ein, dass die eigene Biografie im Hintergrund immer mitschwinge, aber es gelinge ihr, sich für ihre Arbeit von ihrer Herkunft zu distanzieren. "Aber natürlich ist es mir darüber hinaus wichtig, dass die jüdische Perspektive und die jüdische Erfahrung aus Vergangenheit und Gegenwart sichtbar gemacht werden."

Auch wenn in der Villa der Wannseekonferenz die Täter untergebracht waren, ließen sich ihre Taten nur verstehen, wenn man die Betroffenen-Perspektive im Auge behielte. "Es gibt keine Täter ohne Opfer und natürlich auch keine Opfer ohne Täter", sagt sie.

Zusammenhang von Impfverschwörungstheorien und Antisemitismus

Neben der Dauerausstellung bietet das Haus der Wannsee-Konferenz auch Workshops für bestimmte Berufsgruppen wie Polizisten oder Krankenhauspersonal an, die sich mit der Frage auseinandersetzen: "Was hat meine Berufsgruppe damals gemacht, wie hat sie sich verhalten?", erklärt Hartmann. Untersucht werde auch, welche Praktiken aus der NS-Zeit noch heute, zum Beispiel in der Verwaltung beim Anfertigen von Protokollen, verwendet werden.

Die aktuellen Ereignisse rund um die "Querdenker"-Bewegung zeigten auch, dass Ideen von damals durchaus heute noch Menschen beeinflussen könnten: So hinterließen letztes Jahr einige Anhänger Flugblätter im Museum und schrieben einen Kommentar in das Gästebuch der Gedenkstätte, in dem sie die aktuellen Einschränkungen während der Corona-Pandemie mit den antijüdischen Gesetzen der Nazis verglichen. "Die Querdenker-Bewegung basiert auf Verschwörungstheorien, da gibt es eine sehr enge Verbindung zu Antisemitismus und antisemitischem Denken", sagt Hartmann.

Mit allen Parteien reden

Eine Gedenkstätte habe die Aufgabe, solche Parallelen deutlich zu machen und "auch etwas dagegen zu tun". Doch wie soll das möglich sein? Wie kann das Haus der Wannsee-Konferenz Verschwörungstheoretikern und Parteien wie der Alternative für Deutschland (AfD) mit rassistischen und rechtsextremen Positionen etwas entgegensetzen? 

Das sei nicht leicht, räumt Hartmann ein, doch "wir müssen versuchen, die Menschen zu erreichen, die bereit sind, mit uns zu reden", sagt sie. "Das funktioniert vielleicht nicht über historische Bildung, aber auch hier können wir die Kontinuitäten in den Überzeugungen aufzeigen, indem wir deutlich machen: Verschwörungstheorien sind ein ganz wichtiger Teil des Antisemitismus." Auch wenn solche Bemühungen, wie sie realistisch hinzufügt, "nur einen Versuch" darstellten, so sei dieser Versuch dennoch lohnenswert. 

Dieser Artikel wurde von Sabine Oelze aus dem Englischen adaptiert.