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PolitikKuba

Abdala - Kubas neuer Wunder-Impfstoff

25. Juni 2021

92,28 Prozent Wirksamkeit bescheinigt der Pharmakonzern Biocubafarma dem auf Kuba entwickelten Vakzin. Hält der Corona-Impfstoff, was er verspricht?

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Kuba I Coronavirus I Impfstoff Abdala
Kubas Antwort auf die Corona-Pandemie: der einheimische Impfstoff AbdalaBild: Joaquin Hernandez/Xinhua/picture alliance

Abdala, natürlich geht es nicht ein wenig kleiner. Der Name des kubanischen Impfstoffes, der vielleicht bald weltweit in einem Atemzug mit BioNTech/Pfizer, Moderna oder auch AstraZeneca genannt werden könnte, kommt nicht von ungefähr.

Nein, so heißt auch das Drama der kubanischen Nationalikone José Martí, in dem der junge Held Abdala in den Krieg zieht, um sein Vaterland zu verteidigen. Abdala steht für Pathos, für kämpferischen Patriotismus, egal, wie stark der scheinbar übermächtige Gegner auch sein mag.

Aus Sicht vieler Kubaner ist es der perfekte Name für den ersten in Lateinamerika entwickelten Corona-Impfstoff. Und außerdem die perfekte Geschichte: das Elf-Millionen-Einwohner-Land zeigt der ganzen Welt mal wieder, welche überragenden Wissenschaftler es besitzt, die sich auch von einem tödlichen Virus und einer 60-jährigen Wirtschaftsblockade durch die USA nicht in die Knie zwingen lassen.

Wissenschaftler Guillén Nieto steigt zum Nationalhelden auf

Einer von ihnen ist Gerardo Enrique Guillén Nieto, der Direktor der biomedizinischen Forschung beim CIGB, dem Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología in Havanna, in dem Abdala entwickelt wurde. Wenn man so will, ist der 58-jährige der Ugur Sahin von Kuba, und wird auch genauso gefeiert.

Screenshot Televisión Cubana | Gerardo Enrique Guillén Nieto
"Wir haben Forscher aus allen Bereichen zusammengetrommelt, um den Corona-Impfstoff zu entwickeln" - Guillén NietoBild: Televisión Cubana.

Untermalt mit melodramatischer Musik, beginnt der Spot des kubanischen Fernsehens zum Vatertag am vergangenen Sonntag mit Guillén Nieto in seinem Arztbüro, während sein Sohn im Off davon erzählt, wie sich sein Vater unermüdlich für Familie und die Arbeit aufreibt. Von manchen Menschen, sagt der Sohn, "erwarte man eben mehr".

"Wir haben seit Beginn der Pandemie durchgearbeitet, jeden Samstag, jeden Sonntag, von früh morgens bis spät in die Nacht, ohne auch nur einen Moment auszuruhen", sagt der hoch Gelobte, "und wir sind sehr euphorisch, weil die Ergebnisse alle unserer Erwartungen übertroffen haben. Wir wussten, dass der Impfstoff sehr gut ist, aber mit solch einem Ergebnis habe noch nicht mal ich gerechnet."

Kuba geht vollständig eigenen Weg - wie immer

92,28 Prozent Wirksamkeit hat Abdala nach Angaben des staatlichen Pharmaunternehmens Biocubafarma, damit würde der Impfstoff in einer Liga mit den wirksamsten Corona-Vakzinen BioNTech/Pfizer und Moderna spielen. Als dieser Traumwert am Montag im Auditorium des CIGB den Wissenschaftlern und Mitarbeitern verkündet wird, brandet riesiger Applaus auf.

Seitdem wird Guillén Nieto mit Anfragen für Interviews überschüttet, die ganze Welt will wissen, wie die Erfolgsformel von Abdala lautet. Denn das kubanische Vakzin ist weder ein Vektorimpfstoff noch arbeitet es mit der mRNA-Technologie, sondern ist ein sogenanntes Protein-Vakzin, das an die Rezeptoren des viruseigenen Spike-Proteins andockt und damit eine Immunreaktion auslöst. Die kubanischen Wissenschaftler arbeiten dabei mit Hefezellen.

"Sanitäre Intervention" nennt die Regierung ihre Impfkampagne, die Mitte Mai mit Abdala und dem zweiten Impfstoff Soberana begonnen hat, noch vor Abschluss der klinischen Tests in der Phase 3. Es sind die ersten Impfungen überhaupt auf der Insel, denn Kuba verzichtet komplett auf Impfstoffe aus Russland oder China und war auch der Covax-Initiative nicht beigetreten. Größenwahn? Oder eben einfach die Überzeugung, es selbst dann doch am besten hinzubekommen?

Kubas Impfstoff Abdala
Die Phase 3 begann offiziell vor drei Monaten: Schon im März wurden 48.000 Freiwillige mit Abdala geimpftBild: KATELL ABIVEN/AFP via Getty Images

"Wir wissen, dass wir uns am Ende immer auf uns selbst verlassen müssen, auf unsere eigenen Kräfte und Fähigkeiten", spielt Guillén Nieto auf die politische Isolierung durch das US-Embargo an, "und das Ergebnis ist ein Gesundheitssystem, das nicht nur kostenlos ist, sondern auch zentral gesteuert, und das es perfektioniert hat, schnell auf Katastrophen zu reagieren, sei es mit klinischen Studien, mit Impfkampagnen oder eben der Herstellung eines Impfstoffes."

Impfungen gegen die steigende Zahl der Corona-Neuinfektionen

2,2 Millionen Kubaner hätten bereits ihre erste Impfung erhalten, 1,7 Millionen ihre zweite und 900.000 die dritte Dosis, so der Biomediziner stolz. Abdala wird in drei Schritten verimpft, der Abstand zwischen den Impfungen beträgt jeweils zwei Wochen. Bis August sollen nach den ehrgeizigen Plänen der Regierung 70 Prozent der rund elf Millionen Kubaner ihre Spritzen bekommen haben.

Kubaner wird mit Abdala gegen Corona geimpft
Die Impfkampagne rollt seit über einem Monat an - Startschuss war Mitte Mai wie hier in HavannaBild: Ramon Espinosa/AP/picture alliance

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn auch auf der Zuckerinsel steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen wieder kontinuierlich an: Mehr als 2000 sind es täglich, fast 1200 Menschen sind im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung auf Kuba gestorben. Gerardo Enrique Guillén Nieto setzt auf die Impfkampagne und baut auf ein entscheidendes Plus gegenüber allen anderen Ländern der Welt beim Kampf gegen das Virus.

"Hier gibt es ein beispielloses Vertrauen der Bevölkerung in das kubanische Gesundheitssystem. Wir haben zum Beispiel nie Probleme, Freiwillige zu finden, wenn es um klinische Studien geht. In Kuba wollen die Menschen geimpft werden und das massiv. Niemand käme hier auf die Idee, sich nicht impfen zu lassen, weil alle wissen, wie wichtig die Impfungen sind."

"Impfstoffe könnten weniger wirken"

Ein unabhängiges Expertengremium in Havanna wird das Vakzin jetzt genau unter die Lupe nehmen, eine offizielle Notfallzulassung wird in den nächsten zwei Wochen erwartet. Danach könnte Kuba auch eine Zulassung für Abdala bei der WHO beantragen, für den internationalen Gebrauch. Bolivien, Jamaika, Venezuela, Argentinien und Mexiko haben schon den Finger gehoben.

Gesundheitsorganisation teilt Optimismus

Doch ist Abdala wirklich der Wunder-Impfstoff, wie die Zahlen es versprechen? Vielleicht ist José Moya der Mann, der dies am besten einschätzen kann. Der peruanische Arzt begann vor 30 Jahren als Epidemiologe in seiner peruanischen Heimat Ayacucho und war danach für Ärzte ohne Grenzen in Guatemala, Mosambik und Nigeria.

Kuba Carlos Moya
"Die 92 Prozent bedeuten Vertrauen. Vertrauen in die Forschung, in die Regierung und für die Bevölkerung" - Carlos MoyaBild: Carlos Moya

Seit zwei Jahren ist Moya Repräsentant der PAHO (Pan American Health Organisation) in Kuba, einer regionalen Organisation der Weltgesundheitsorganisation mit 27 Landesbüros. Er sagt: "Das Forschungsinstitut CIGB hat 30 Jahre Erfahrung in der Impfstoffforschung. Ich vertraue den Ergebnissen, die veröffentlicht wurden. Das sind seriöse Studien, mit Beteiligung von Forschern und Institutionen, die sich der Wissenschaft verpflichtet fühlen."

Bester Beweis dafür sei die Tatsache, dass 80 Prozent aller Impfstoffe auf Kuba im eigenen Land produziert werden. So überrascht war Moya dann doch nicht von der hohen Wirksamkeit von Abdala, es sei einfach die logische Konsequenz, wenn ein Gesundheitssystem wie das von Kuba jahrzehntelang sehr gute Arbeit abliefere. "Schon die Ergebnisse, die von den Wissenschaftlern im Vorfeld veröffentlicht wurden, zeigten eine gute Antwort in Bezug auf die Produktion von Antikörpern."

Mit wissenschaftlichen Einschätzungen zum neuen Impfstoff wollte sich Miguel Díaz-Canel indes nicht aufhalten, der kubanische Präsident wählte da doch lieber gesalbte Worte und blies zur politischen Attacke. Der Bezug zu Martís Heldenepos Abdala durfte dabei, selbstverständlich, nicht fehlen: "Dieser Erfolg ist nur zu vergleichen mit der Größe unserer Opfer. Er ist ein Beispiel für den Stolz, mit dem ein Land seine Pharmaindustrie behandelt, die seit 1962 mit dem Wirtschaftsembargo der USA lebt."