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Abgaswerte: Bund sieht Schuld bei Autobauern

22. September 2015

Der Bund gibt den Autobauern die Schuld daran, dass er die EU-Vorgaben für Luftbelastung nicht überall einhalten kann. Dabei ist schon länger bekannt, dass im Labor gemessene Abgaswerte nicht der Realität entsprechen.

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Deutschland Volkswagen Abgasuntersuchung
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Die Bundesregierung hat laut einem Zeitungsbericht bei der EU-Kommission intern den "viel zu hohen" Ausstoß von schädlichem Stickoxid bei neuen Diesel-Autos beklagt. Die realen durchschnittlichen Stickoxid-Emissionen von neuen Euro-6-Diesel-Pkw, die derzeit auf den Markt kämen, seien erheblich höher als der einzuhaltende Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer, zitieren die Zeitungen der Funke-Mediengruppe in ihren Dienstagausgaben aus einer Stellungnahme der Bundesregierung an die EU-Kommission.

Messungen an neuen Fahrzeugen hätten ergeben, dass die Emissionen vielmehr im Bereich von 500 mg Stickoxid pro Kilometer lägen, heißt es demnach in dem Papier. Das wäre mehr als sechsmal so viel, wie die neue Schadstoffnorm für Diesel-Pkw ab September vorschreibt. Diese Abweichungen bei Diesel-Pkw seien nach Darstellung der Regierung der Hauptgrund, warum Deutschland die EU-Vorgaben für die Luftbelastung mit Stickstoffdioxid in einer Reihe von Städten und Ballungsräumen auch in den nächsten Jahren nicht einhalten werde.

EU-Kommission plädierte schon im Juni für Diesel-Fahrverbot in Städten

Mit der Kritik wehrt sich die Bundesregierung den Funke-Medien zufolge gegen Vorwürfe der EU-Kommission, nicht genügend zur Einhaltung der Grenzwerte zu tun. In einem Mahnschreiben hatte die Kommission im Juni gewarnt, in 29 Städten und Regionen - darunter Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Teile des Ruhrgebiets - würden die EU-Vorgaben für Stickstoffdioxid keinesfalls vor 2020 eingehalten. Als Konsequenz plädierte die Kommission für ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in einigen Stadt-Regionen und empfahl auch eine höhere Besteuerung der Selbstzünder.

Plaketten, die auf den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen hinweisen, Foto: dpa
In Deutschland weisen Plaketten darauf hin, wieviel Schadstoff ein Auto ausstößtBild: picture-alliance/dpa

Das Mahnschreiben ist den Angaben zufolge Teil eines Vertragsverletzungsverfahrens, das zu einer Klage der Kommission gegen Deutschland führen könne. Die Bundesregierung weise den Vorwurf unzureichender Maßnahmen in ihrer Antwort nun zurück, schrieben die Funke-Medien. Sie mache klar, dass die Hoffnungen bislang auf einer "schnellen und breiten Marktdurchdringung" von Euro-6-Diesel-Pkw gelegen haben. Dass deren Emissionen nun erheblich höher seien als der einzuhaltende Grenzwert, wiege deshalb schwer.

"Messung realer Emissionen

Wichtig ist vor allem die schnelle und breite Marktdurchdringung von solchen Pkw der Abgasstufe Euro 6, die auch im Realbetrieb niedrige Stickoxid-Emissionen aufweisen. Hierzu müssen auf EU-Ebene schnellstmöglich die notwendigen Regelungen beschlossen werden", zitierte das Magazin Focus Michael Schroeren vom Umweltministerium.

Dabei sollen die Abgase in sogenannten Realbetriebs-Messungen (RDE, Real Drive Emission) vorgenommen werden. Ab 2017 sollen die Luftschadstoffemissionen von Pkw nicht mehr im Labor auf einem Rollenprüfstand, sondern auf der Straße im realen Verkehr überprüft werden. Bisher zeigten Stichproben, dass die realen Emissionen zum Teil erheblich über den Laborwerten liegen.

Vorwurf der Manipulation

Der Stickoxid-Ausstoß von Diesel-Autos steht derzeit wegen manipulierter Abgaswerte bei Volkswagen-Modellen in den USA im Fokus. Laut US-Umweltschutzbehörde EPA entwickelte Volkswagen eine Software, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt. Stickoxide können zu Atemwegserkrankungen führen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagte der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe), VW-Chef Martin Winterkorn habe ihm versichert, dass es in Deutschland keine Manipulationen an VW-Diesel-Fahrzeugen gebe.

Manipulation auch außerhalb der USA vermutet

Noch betrifft die Affäre um Manipulationen an VW-Dieselautos nur die USA - nach Einschätzung des Auto Club Europa (ACE) könnte sich dies aber ändern. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Hersteller auch hierzulande spezielle Software nur für die Abgastests einsetzen, um die Klimabilanz zu beschönigen", sagte ACE-Sprecher Klaus-Michael Schaal. "Das ist systematische Verbrauchertäuschung, die weit verbreitet ist und schon lange praktiziert wird."

Der ACE bezieht sich mit seinen Vorwürfen auf eigene Studien. Nach dem ADAC ist die Organisation nach eigenen Angaben mit rund 600.000 Mitgliedern der zweitgrößte Automobilclub in Deutschland. Nach Darstellung des Sprechers ist das komplette Prüfsystem für Verbrauchs- und Abgaswerte bei Autos problematisch. Schließlich könnten die Hersteller für die Messwert-Tests unter Laborbedingungen etwa Reifen mit extrem niedrigem Rollwiderstand nutzen oder den Luftdruck so weit erhöhen, wie man dies in der Realität nie tun würde. Solche Tricks seien zwar nicht illegal - aber sie fielen letztlich in einen Graubereich und seien realitätsfern.

"Für Kunden ist das eine Mogelpackung, schließlich ärgern die sich dann beispielsweise über einen Verbrauch von sechs Litern pro 100 Kilometer anstatt wie vom Hersteller angegeben nur 4,5 Litern." Er appellierte an die Hersteller, solche Tricks endlich aufzugeben. Die automatischen Softwareprogramme wiederum seien "ganz klar Täuschung", sagte Schaal. Hierbei erkennt der Bordcomputer, wenn der Motor nur unter Laborbedingungen läuft. Dann schaltet er in einen Spritspar-Modus für möglichst niedrige Abgaswerte um.

iw/bea (afp, dpa, Focus)