1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Afrikas vergessener Giftmüll

Rafael Heiling3. Dezember 2004

Nicht nur in Bhopal kämpfen Menschen mit Chemie-Altlasten. In vielen Ländern Afrikas gammeln Pflanzenschutzmittel in maroden Behältern vor sich hin. Die Pestizide waren einst Entwicklungshilfe. Heute sind sie Sondermüll.

https://p.dw.com/p/5vS1
Der giftige Inhalt undichter Kanister verseucht die UmweltBild: AP

Die UNO-Landwirtschafts-Organisation FAO geht davon aus, dass weltweit 100.000 Tonnen Pestizide ungeschützt herumliegen – davon allein 48.000 Tonnen in Afrika, aber auch 19.500 in der Ukraine und 15.000 in Polen. Die Mittel gegen Insekten, Unkraut und Pilze sind nicht selten hochgiftig. Doch die Behälter sind teilweise mehr als 20 Jahre alt, liegen wild durcheinander und häufig genug in der Nähe von Wohngebieten. Sie rosten vor sich hin, bekommen Löcher und ihr Inhalt verseucht die Umwelt.

Gefährliche Ware, abgelegt und vergessen

Gerade in Afrika sorgt das extreme Klima dafür, dass die Fässer mit der Zeit lecken. Die Umweltorganisation Greenpeace hat die Lagerung "erbärmlich" bis "abenteuerlich" genannt. "Teilweise lagern die Chemikalien in irgendwelchen Lagerhallen an Flughäfen, teils wurden sie auch schon weiterverteilt", sagt Dr. Nina Reineke, Chemikalien-Expertin beim Word Wide Fund for Nature (WWF) in Deutschland. "Manche lagern einfach unter freiem Himmel, teilweise sickern die Pestizide ins Erdreich."

Giftmüll aus Mali
Auch in Mali leiden die Menschen an den Folgen des Giftmülls

Von da gelangen die Stoffe ins Wasser. "Wenn es hohe Dosen sind, können Tiere sterben", sagt Reineke. "Die Viehherden, die eigentlich als Lebensgrundlage dienen sollen, werden dann dezimiert." Auch den Menschen würden Krankheiten drohen: "Nervenschäden, typischerweise Erbrechen, Übelkeit, Schwindel, Orientierungslosigkeit. Bei ständigen kleinen Dosen kann es zu Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit und zu Embryoschädigungen kommen."

Entsorgung ist nicht das einzige Problem

Die "Pest von gestern" loszuwerden, ist nicht einfach. "Jemand muss dahin kommen, den Giftmüll finden und sachgerecht entsorgen", erklärt Reineke. "Man kann ja nicht einfach ein Fass mitnehmen." Sehr oft seien die Beschriftungen auch unleserlich, so dass die Entsorger gar nicht wüssten, was sie vor sich hätten.

Hinzu kommt, dass die Uralt-Chemikalien - deren Patente längst abgelaufen sind - offenbar als so genannte Generika nachgebaut werden. Doch diese Nachahmungen seien "wenig wirksam und gefährlich", erklärt Dr. Chris Waller, Co-ordinating Chairman bei Croplife, einem globalen Zusammenschluss von Pflanzenschutz-Herstellern. Viele Farmer würden diese Produkte dann doch nicht einsetzen, "und das vergrößert das Müllproblem noch".

Verbrennen oder verschiffen

Die Altchemikalien, darunter hochwirksame Vernichtungsmittel wie wie DDT oder Lindan, würden in Sondermüll-Verbrennungsanlagen vernichtet, entweder in Europa oder in neuen Anlagen vor Ort. Nach Reinekes Worten wären 175 bis 200 Millionen Dollar nötig, um Afrika vom giftigen Erbe zu befreien. Aber die wenigsten Staaten hätten genug Geld.

Die Industriestaaten wollen wohl helfen, "es gibt seit Jahren große Projekte", wie die WWF-Expertin sagt. Und mit Konventionen werde versucht, die harten chemischen Keulen zu verbieten – erst im Mai 2004 sei die Konvention von Stockholm in Kraft getreten, die zwölf Mittel (das "Dirty Dozen") verbannen soll. Dazu gehören DDT, PCB, Dioxine und Furane. 60 Staaten haben unterschrieben, auch viele afrikanische wie Äthiopien, Ghana und Benin. Allerdings komme die Hilfe schleppend in Schwung.

Hilfsprojekt läuft nur langsam an

Mit neuen Brunnen erhält die ländliche Bevölkerung in Malawi Zugang zu sauberem Wasser
Viele Afrikaner müssen verseuchtes Wasser trinken - das führt zu NervenschädenBild: Zimmermann

Der WWF habe zum Beispiel das "Africa Stockpiles Programme" angestoßen, bei dem Giftmüll-Lagerorte registriert werden und dann abgearbeitet werden sollen. Zu den Geldgebern gehören auch große Chemieunternehmen. Riesenfortschritte von heute auf morgen seien aber nicht zu erwarten, betont Reineke. "Das Vorhaben ist auf 15 Jahre angelegt. Da muss man sich mühsam vorarbeiten."

Eigentlich sollte es im Herbst 2004 schon losgehen. "Aber da arbeiten kleine und große Organisationen zusammen, da gibt es auch verschiedene Kulturen der Zusammenarbeit", so Reinecke. Sprich: Noch ist zumindest bei diesem Programm kaum etwas passiert.

Immerhin haben Chemiefirmen die gefährlichen Alt-Pestizide vereinzelt zurückgeholt. Das Geld sei von Staaten aus der Organisation für Wirtschaft und Zusammenarbeit (OECD) und den Firmen selbst gekommen. Seit 1994 seien 4000 Tonnen an unbrauchbaren Schädlingsvernichtern entsorgt worden, betont Waller. Doch das ist kaum ein Zehntel des jetzigen Bestandes.