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Berlin zeigt Gesicht: für die Ukraine

27. Februar 2022

"Stoppt den Krieg. Für Frieden in der Ukraine und ganz Europa" – Unter diesem Motto demonstrierten mindestens 100.000 Menschen gegen Russlands Überfall auf sein Nachbarland. Aus Berlin Marcel Fürstenau.

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Deutschland Demo gegen Invasion in der Ukraine in Berlin
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine findet eine der größten Friedensdemonstrationen Deutschlands statt Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Solche Luftaufnahmen gibt es sonst nur, wenn Ende September der Berlin-Marathon stattfindet oder die Straße des 17. Juni bei internationalen Fußball-Großereignissen zur Fan-Meile wird. Menschen über Menschen, so weit das Auge blicken kann. Dieses Mal ist der Anlass ein anderer: Russlands Überfall auf die Ukraine.

Mit 20.000 hatte ein Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften, Umweltgruppen und Friedensinitiativen gerechnet. Am Ende sind es mindestens fünfmal so viel. Die Polizei spricht von rund 100.000, die Veranstalter von einer halben Million. So oder so: eine machtvolle Demonstration für Frieden, kurz nach Kriegsbeginn am 24. Februar.

Ein Friedensengel in den Landesfarben der Ukraine

Wer sich an diesem Sonntag um die Mittagszeit bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein von wo auch immer in der deutschen Hauptstadt auf den Weg macht, spürt sofort: Hier solidarisiert sich eine ganze Stadt mit den Menschen in der Ukraine. Schon auf den Bahnsteigen in den Außenbezirken der Millionen-Metropole sind so viele Leute unterwegs, wie morgens im Berufsverkehr.

Deutschland Friedensdemo in Berlin
Das Entsetzen über den Krieg in der Ukraine beflügelt die Fantasie dieses Mannes vor dem Brandenburger TorBild: Marcel Fürstenau/DW

Schon eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Kundgebung geht es vor dem Wahrzeichen Berlins, dem Brandenburger Tor, nur schleppend voran. Direkt davor hat sich ein Friedensengel in den ukrainischen Farben Blau und Gelb postiert. Seine Botschaft steht auf einem Pappschild: "Putin to Den Haag". Dort, in den Niederlanden, hat der Internationale Strafgerichtshof seinen Sitz - zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen.

Putin soll vor den Strafgerichtshof in Den Haag

"Die, die dafür verantwortlich sind, gehören nach Den Haag", sagt auch Christa Mientus-Schirmer. Sie nennt keinen Namen, aber klar ist, wer vor allem gemeint ist: Russlands Präsident Wladimir Putin, den an diesem Tag, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, viele auf Plakaten bildlich und wörtlich mit Adolf Hitler gleichsetzen.

Deutschland Friedensdemo in Berlin
Die Berlinerin Christa Mientus-Schirmer hat in der DDR Diktatur und Unterdrückung erlebtBild: Marcel Fürstenau/DW

 "Ich bin furchtbar traurig, dass wir im 21. Jahrhundert wieder Krieg in Europa haben", sagt die 67-jährige Berlinerin, die im Osten der lange durch eine Mauer geteilten Stadt groß geworden ist. Und nun steht sie mit zwei Schirmen in den Landesfarben der Ukraine mit dem Rücken zur Straße des 17. Juni, deren Name an den gescheiterten Volksaufstand in der DDR-Diktatur 1953 erinnert.

Die lange Liste niedergeschlagener Freiheitsbewegungen

Christa Mientus-Schirmer ist wenige Jahre später auf die Welt gekommen, hat den mit sowjetischer Hilfe niedergeschlagenen Freiheitskampf also nicht selbst erlebt. "Aber die Angst, die russische Panzer damals verbreitet haben in Ostdeutschland, ist natürlich familiär weitegergetragen worden." Als Kind habe sie dann bei einem Urlaub mit ihren Eltern im Erzgebirge die Panzer in die damalige Tschechoslowakei fahren hören.

Hunderte Menschen protestieren vor russischer Botschaft in Berlin

Noch so ein Land im damaligen Ostblock, in dem die Hoffnung auf Demokratie im sogenannten Prager Frühling auf Befehl aus dem Kreml niedergewalzt wurde. Wie auch in Polen zu Beginn der 1980er Jahre, als die auf Reformen drängende Gewerkschaftsbewegung Solidarność mit sowjetischer Unterstützung unterdrückt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Christa Mientus-Schirmer schon eine junge Frau.

"Und immer war es da gleiche Muster", sagt sie: Ob damals die Sowjetunion oder heute Russland - jedes Mal sei angeblich um Hilfe gerufen worden. So wie Putin jetzt behauptet, von den sich selbst als "Volksrepubliken" bezeichnenden abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine um militärischen Beistand gebeten worden zu sein. 

Deutschland Friedensdemo in Berlin
Zu dritt gegen Putin und für Europa: David Zühlke (l.), KayLynn Collins und Windhund FinleyBild: Marcel Fürstenau/DW

"Die Ukraine benötigt unsere Solidarität", sagt David Zühlke, der auf der anderen Seite des Brandenburger Tores mit seiner Frau KayLynn Collins und ihrem Windhund-Welpen Finley gegen Putin demonstrieren. Der Berliner mit deutschen und irischen Wurzeln trägt eine riesige Europa-Fahne, während der kleine Vierbeiner in die Farben der Ukraine gehüllt ist.

Ein sowjetischer Panzer im Herzen Berlins

Auf einem Protest-Plakat bringt er zum Ausdruck, was sein Herrchen und sein aus Texas in den USA stammendes Frauchen vom russischen Präsidenten halten: "I poop on Putin." David fühlt sich in erster Linie als Europäer: "Wir haben das Gefühl, dass Freiheit und Demokratie verteidigt werden müssen", sagt er. Und KayLynn ergänzt: "Wir sind alle Menschen und haben alle die gleichen Menschenrechte. Russland steht dafür, dass diese Rechte mit Füßen getreten werden."

Deutschland Friedensdemo in Berlin
Yulia Felker aus St.Petersburg und ihr Berliner Mann Bernd Völker vor einem sowjetischen PanzerBild: Marcel Fürstenau/DW

Als Russland noch die größte Republik der Sowjetunion war, kämpfte sie gemeinsam mit den USA, Großbritannien, Frankreich und vielen anderen Ländern gegen Nazi-Deutschland. Das stalinistische Riesenreich erlebte 1941 das, was 2022 der Ukraine passierte: Es wurde von einem anderen Land überfallen. Am Ende, 1945, besiegten die Alliierten Hitlers Drittes Reich und befreiten Deutschland von der Nazi-Diktatur. Daran erinnert das Sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni.

Direkt unter einem sowjetischen Panzer aus dem Zweiten Krieg stehen Yulia Felker und Bernd Völker. Sie halten kleine weiße Zettel über ihren Köpfen. "Es ist Dein Krieg, Putin, nicht der des russischen Volkes" steht in englischer Sprache drauf. Ihren Platz haben sie mit Bedacht gewählt. Sie stammt aus St. Petersburg in Russland, er aus Berlin. Seit 16 Jahren sind sie verheiratet.

Yulia schämt sich, eine Russin zu sein

"Ich habe mich am 24. Februar geschämt, dass ich Russin bin - zum ersten Mal in meinem Leben", sagt Yulia. Doch seit sich die westlichen Staaten gegenüber Putin einig zeigen und Deutschland nun sogar Waffen an die Ukraine liefert, ist sie zuversichtlich: Der Druck auf Putin steige. "Und ich hoffe, dass auch in Russland von innen ganz viel Unmut kommt - politisch und wirtschaftlich."

Deutschland Friedensdemo in Berlin
Blumen, Kerzen und Friedenswünsche vor dem Eingang der ukrainischen Botschaft in Berlin Bild: Marcel Fürstenau/DW

Sie habe Familie in Russland und Freunde in der Ukraine. "In unseren Kreisen sind alle dagegen." Yulia meint die Invasion und den Bruch des Völkerrechts. Ob das alle so sehen? Auch da ist sie optimistisch: "Ich glaube schon, dass der Großteil der Bevölkerung versteht, dass es Krieg ist."

Eine Schweigeminute der Hoffnung

Viele Reden werden auf der Friedenskundgebung in Berlin gehalten. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, ruft dazu auf, nicht in eine Spirale des Hasses zu geraten: "Wir verweigern uns der Verführung zum Hass. Wir verweigern uns der Spirale der Gewalt. Wir werden der kriegslüsternen Herrscherclique in Russland nicht das Geschenk machen, ihr Volk zu hassen. Wir werden das Spiel der Verfeindung nicht mitspielen."

Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus
"Wir verweigern uns der Spirale der Gewalt", sagt die EKD-Vorsitzende Annette Kurschus (Archivbild)Bild: David Inderlied/picture alliance/dpa

Damit die Reden und die Musik dazwischen gut gehört werden können, sind überall große Lautsprecher-Türme aufgebaut. Nur einmal wird es ganz still: als zu einer Schweigeminute aufgerufen wird. Sie symbolisiert in diesem Moment auch die große Hoffnung aller Menschen auf dieser Kundgebung in Berlin und in der fernen Ukraine: dass die Waffen in diesem von Putin zu verantwortenden Krieg so schnell wie möglich schweigen und wieder Frieden herrscht.  

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland