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Coronavac "sicherster Impfstoff"

23. Oktober 2020

In Brasilien werden mehrere aussichtsreiche Corona-Impfstoffe getestet. Im Wettrennen gegen die Zeit liegt derzeit der Kandidat der chinesischen Firma Sinovac vorn - und sorgt doch für Streit in der Regierung.

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Brasilien - Corona-Impfstoff wird in Brasilien getestet
Bild: Allan Carvalho/NurPhoto/picture-alliance

Weltweit forscht die Pharmaindustrie mit Hochdruck an Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden inzwischen 42 Impfstoffkandidaten an Menschen getestet.

In Brasilien laufen wegen der vielen Infizierten besonders viele große Testreihen, denn die entscheidende Phase der klinischen Tests erfordert ein hohes Ausbruchsgeschehen. In dem südamerikanischen Land mit mehr als 200 Millionen Einwohnern testen unter anderem das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca, der US-Konzern Pfizer und das chinesische Unternehmen Sinovac Biotech in Zusammenarbeit mit dem Staat ihre Vakzine. Sinovac liegt in dem Wettrennen gegen die Zeit derzeit vorne, wie das renommierte staatliche Institut Butantan in São Paulo mitteilte, das die Studie mit dem Sinovac-Impfstoff "Coronavac" koordiniert.

Brasilien - Corona-Impfstoff wird in Brasilien getestet
Eine von Tausenden Testpersonen lässt sich in Brasilien mit Coronavac impfen Bild: Andre Lucas/dpa/picture-alliance

Der Direktor des Forschungszentrums, Dimas Tadeu Covas, und der Gouverneur des Bundeststaats São Paulo, João Doria, erklärten Anfang der Woche gemeinsam, der Impfstoff sei in der finalen dritten Testphase der bislang sicherste "in Brasilien und auf der ganzen Welt". Erste Ergebnisse der klinischen Studie, an der mehr als 9000 Freiwillige zwischen 18 und 59 Jahren teilnahmen, zeigten, dass es nur bei 35 Prozent leichte Nebenwirkungen gebe. Die Studienteilnehmer sind Freiwillige aus dem Gesundheitssektor, die dem Coronavirus verstärkt ausgesetzt sind und sich noch nicht infiziert haben. 

Todesfall bei Konkurrent AstraZeneca

Konkret verspürten nach Angaben des Butantan-Instituts 19 Prozent der Testpersonen nach der ersten Injektion mit dem Coronavac-Impfstoff einen lokalen Schmerz und 15 Prozent Kopfschmerzen. Nach der zweiten Impfung waren die häufigsten Nebenwirkungen wiederum ein lokaler Schmerz (19 Prozent) und Kopfschmerz (zehn Prozent) sowie bei vier Prozent Müdigkeit und bei 0,1 Prozent leichtes Fieber. Schwere unerwünschte Reaktionen traten dem Butantan-Institut zufolge im Rahmen der zweistufigen Impfung nicht auf. 

Unterdessen wurde am Mittwoch ein Todesfall bei der ebenfalls sehr aussichtsreichen und in der finalen Phase befindlichen Impfstoff-Studie von AstraZeneca bekannt. Die brasilianische Zeitung "O Globo" berichtete unter Berufung auf ungenannte Quellen, der betreffende Proband habe allerdings nicht den Impfstoff, sondern ein Placebo bekommen. Der Verstorbene, ein 28-jähriger Arzt, habe sich mit dem Coronavirus angesteckt und sei an den Folgen der Infektion gestorben. Der Pharmakonzern, der mit der Universität Oxford zusammenarbeitet, will die Tests fortsetzen.

Impfstoffe gegen Corona

Angesichts der jüngsten Entwicklungen scheint es derzeit so, als habe Coronavac die besseren Chancen, bei der Massenimpfung der brasilianischen Bevölkerung berücksichtigt zu werden, die nach Plänen von Gesundheitsminister Eduardo Pazuello bereits im Januar beginnen könnte. Der mittlerweile selbst mit dem Coronavirus infizierte Minister sowie São Paulos Gouverneur Doria verkündeten denn auch sogleich nach Bekanntwerden der vielversprechenden Coronavac-Testergebnisse, einen Vertrag mit Sinovac Biotech über die Bereitstellung von 46 Millionen Dosen des Impfstoffs geschlossen zu haben.

Bolsonaro stellt sich quer

Doch die Rechnung haben sie ohne Präsident Jair Bolsonaro gemacht - der stoppte den Deal umgehend mit der Begründung, dass Coronavac noch nicht so weit sei und erst eine Zulassung der brasilianischen Gesundheitsbehörde Anvisa brauche. Ob der Impfstoff nicht nur sicher ist, sondern auch wirksam gegen das Coronavirus, ist tatsächlich noch nicht klar. Butantan-Direktor Dimas Covas bestätigte laut Medien, dass die Tests noch nicht komplett abgeschlossen seien und die Analyse auf Wirksamkeit noch ausstehe. Seit diesem Monat werde Coronavac auch an älteren und vorerkrankten Studienteilnehmern sowie Schwangeren getestet. Zuverlässige Ergebnisse zur Wirksamkeit des Vakzins soll es dann im November oder Dezember geben.

Aber Bolsonaros Vorbehalte gegen Coronavac hängen wohl auch mit dem Misstrauen des Rechtspopulisten gegenüber Peking zusammen. Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump beklagte er mehrfach, China kaufe sein Land - oder etwa, es sei an der Coronavirus-Pandemie Schuld. Zudem häufen sich die Vorwürfe, der brasilianische Präsident lege Steine in den Weg, weil sein einstiger Unterstützer João Doria - und mittlerweile sein größter Kontrahent und Kritiker - sich mit der Beschaffung des Impfstoffs politisch profilieren könnte. Auf Twitter schrieb Bolsonaro zum "chinesischen Impfstoff von João Doria", er lasse nicht zu, dass die Brasilianer "zu Versuchskaninchen gemacht werden".

Sollte Coronavac tatsächlich als erster Impfstoff in Brasilien zugelassen werden, wird sich Bolsonaro jedoch kaum weiterhin zieren können. Zwar ging die Zahl der täglichen Neuinfektionen zuletzt deutlich zurück - doch Brasilien hat mit rund 5,3 Millionen immer noch die drittmeisten Infizierten weltweit nach den USA und Indien. Mit mehr als 155.000 Corona-Toten ist es zudem das Land, in dem nach den USA bisher die meisten Menschen im Zusammenhang mit COVID-19 starben.

Hilfsorganisationen kritisieren Impfstoff-Deals

Dass bislang weltweit noch kein Corona-Impfstoffkandidat die finale Wirksamkeitsstudie erfolgreich abgeschlossen hat, hat viele Staaten übrigens nicht davon abgehalten, sich Impftstoffdosen zumindest im Falle einer Zulassung vorab zu sichern. Länder oder Staatengruppen wie die USA, die EU, Australien, China - und auch Brasilien selbst - haben längst Verträge mit den Herstellern der aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten abgeschlossen. Hilfsorganisationen wie Oxfam kritisieren das Vorgehen und fordern einen "Volksimpfstoff", der für jeden verfügbar und erschwinglich sei, egal wo man lebe oder wie viel Geld man habe.

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis