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Braucht Europa das Nord-Stream-Gas?

Andreas Rostek-Buetti
8. Februar 2019

Nord Stream 2 sei ein "rein unternehmerisches" Projekt, so hat Bundeskanzlerin Merkel es wieder und wieder betont. Ist es das? Braucht es die Pipeline für die sichere Energieversorgung Europas?

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Ostseepipeline Nord Stream 2
Rohre für Nord Stream 2 in MukranBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Nord Stream 2 ist keine politische Angelegenheit, das war jahrelang das Mantra der Bundesregierung, sondern allein ein wirtschaftliches Projekt. Das war von Anfang an falsch, das zeigt sich jetzt. Und auch, wenn es um den wirtschaftlichen Kern des Projekts geht, um das Gas und seinen Preis, landet man schnell beim Politischen - bei Fragen von Energiewende, Umweltschutz und Versorgungssicherheit.

Die Antwort auf die Frage, wie viel Erdgas in Zukunft nötig ist, um die Energieversorgung in Deutschland und Europa zu sichern, hängt nämlich eng von der Frage ab, wie viel Energie aus (potentiell gefährlichen) Atomkraftwerken sich Europa leisten will und kann und wie viel aus (sicherlich umweltschädlichen) Kohlekraftwerken. Und wie viel Energie sich in absehbarer Zukunft in unseren Breiten aus regenerierbaren Quellen gewinnen lässt.

Versuchen wir also Antworten auf die Frage zu finden, ob Nord Stream 2 tatsächlich für die sichere Energieversorgung wenn schon nicht Europas so doch Deutschlands unerlässlich ist. Dass es ein Riesengeschäft ist, machen die Investitionen der beteiligten Konzerne deutlich: Die europäischen Projektpartner Uniper und Wintershall (Deutschland), OMV (Österreich), Engie (Frankreich) und Shell (Großbritannien/Niederlande) stecken jeweils 950 Millionen Euro in das Projekt. Gebaut wird die Pipeline vom russischen Energiekonzern Gazprom. Eine Menge Geld für etwas, das nicht nötig ist?

Die Frage ist: Was ist nötig?

Derzeit sieht der Energiemix für Deutschland nach Angaben der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" in etwa so aus: Gut ein Drittel des Stroms entsteht in Kraftwerken, die mit Stein- und Braunkohle befeuert werden; noch knapp 12 Prozent kommen aus Atomkraftwerken,  gut ein Drittel ist Energie aus regenerierbaren Quellen wie Sonne und Wind. Und 12,8 Prozent werden durch Gasverbrennung erzeugt.

Norwegen Sleipner Gasplattform
Alternativen aus Norwegen: Erdgasförderung in der NordseeBild: Equinor/Øyvind Hagen

Diese Menge allein stellt kein Problem dar. Allerdings basieren die genannten Anteile auf den Zahlen für das Jahr 2018. Die in Deutschland eingeläutete Energiewende wird das Bild in Zukunft radikal ändern. Bis 2022 sollen alle Atommeiler abgeschaltet werden; bis 2038 will Deutschland auf die Stromerzeugung mit Kohle verzichten. Dafür braucht es Ersatz - das ist die Crux der Frage um die Versorgungssicherheit.

55 Milliarden Kubikmeter mehr

Derzeit verbraucht Deutschland 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. 40 Prozent davon kommen aus Russland. Fast genauso hoch ist der Anteil Norwegens als Lieferland. Ansteigend ist der Anteil von Flüssiggas (LNG) aus Afrika oder Nordamerika. Die Zahlen für EU-Europa insgesamt sehen ganz ähnlich aus. 

Infografik Gas Import nach EU DE

Mit der geplanten Nord Stream 2-Pipeline würden die Lieferkapazitäten für russisches Erdgas noch einmal um 55 Milliarden Kubikmeter steigen.

Allerdings, so argumentiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sinkt in absehbarer Zukunft der Bedarf nach Erdgas. In einer DIW-Studie aus dem vergangenen Jahr schreiben die Forscher, "dass keine Deckungslücke absehbar ist und es somit keinen energiewirtschaftlichen Bedarf für Nord Stream 2 gibt".

Das hat viel mit der Entwicklung alternativer Energiequellen zu tun. Denn allgemein wird davon ausgegangen, dass es rasch weitere Fortschritte bei der Energiegewinnung aus alternativen Quellen und bei der Speicherung geben wird. Die Frage ist, wie lange und in welchem Umfang Erdgas gebraucht wird, um als "Brückentechnologie" zu wirken. Die Antwort des DIW: Wenn die Klimaziele, die die Bundesregierung sich gesteckt hat, gelten sollen, "sänke der Erdgasbedarf von 2008 bis 2050 um fast 73 beziehungsweise um 90 Prozent". (Die Unterschiede ergeben sich aus den Annahmen von zwei unterschiedlichen Szenarien.)    

Der Bedarf sinkt - um 73 Prozent?

Man versteht: Um diesen sinkenden Bedarf zu decken, braucht es keine weitere Aufstockung der Gaslieferungen aus Russland. Ein Gegenargument zielt unter anderem darauf, dass mit dem Gas aus der Nord-Stream-Pipeline auch Länder im Norden und Süden Europas - und womöglich sogar, via Deutschland - im Osten versorgt werden sollen. Die aber sind möglicherweise gar nicht interessiert an diesen Lieferungen, wie die jüngsten Diskussionen auf EU-Ebene nahelegen.

Katar Liquid Natural Gas
Alternativen aus Katar: Lager für Flüssiggas Bild: imago/Photoshot/Construction Photography

Ein weiteres Gegenargument, das den Kritikern der Pipeline vorgehalten wird, zielt aufs Geld. Die Energiewende in Deutschland sei allzu teuer erkauft, so diese Position. Allein den Boom der Solartechnologie habe der Stromverbraucher alles in allem mit immerhin 70 Milliarden Euro finanziert. Ganz zu schweigen von der Abkehr von Energie aus Kohle, die mit weiteren 80 Milliarden zu Buche schlagen soll. Es gibt Studien, nach denen die Energiewende Deutschland bis 2025 summa summarum bis zu 520 Milliarden Euro kosten könnte.

Dagegen sei Erdgas aus der russischen Pipeline doch eine kostengünstige Alternative. Dagegen setzte unlängst das "Handelsblatt" die Einsicht: Deutschland habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf diesem Gebiet auch technologisch gezeigt, dass vieles machbar sei, was lange Zeit undenkbar schien. "Die Energiewende in Deutschland mag teuer erkauft sein, doch eine Industrienation wie Deutschland muss aber auch eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz übernehmen", hieß es in einem Kommentar des Blattes.

Verladung der Rohre für Nord Stream 2 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern)
Viel höhere Kosten? Verladung der Rohre für Nord Stream 2 in Lubmin Bild: picture alliance/dpa/S. Sauer

Wie hoch sind die Kosten?

Ohnehin scheint die Frage durchaus offen, ob der Bau des Gazprom-Projekts Nord Stream 2 tatsächlich eine kostengünstige Alternative in Sachen Energiewende ist. Offiziell soll die Pipeline fünf Milliarden Euro kosten. Tatsächlich, so Berechnungen der russischen Sberbank aus dem letzten Jahr, werde mit 17 Milliarden Euro gerechnet. So seien etwa Infrastrukturmaßnahmen oder auch die Anlieferung Tausender von Röhren nicht berechnet worden.

Die ersten 20 Jahre werde Nord Stream 2 also keinen Gewinn machen, so die Prognose der staatseigenen Bank (die bald wieder zurückgezogen wurde, wie Medien berichteten). So spielt auch von dieser Seite möglicherweise wieder die Politik hinein in ein Vorhaben, das Bundeskanzlerin Merkel so lange als "rein unternehmerisches" bezeichnet hat. Der Bauherren der Pipeline vom Energiekonzern Gazprom führen zwar ein lukratives Unternehmen, das gilt aber auch als eine Art Werkbank des Kremls. Offenbar sind in die Verlust- und Gewinnrechnung für das Projekt  - im Blick auf die Ukraine und Polen - nicht allein unternehmerische Erwägungen eingeflossen.