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Christian Streich, der etwas andere Trainer

26. November 2021

300 Bundesliga-Spiele als Trainer, alle beim SC Freiburg - nur wenige sind gleichzeitig so erfolgreich und vereinstreu wie Christian Streich. Nicht nur deshalb gehört er zu den beliebtesten Fußball-Trainern Deutschlands.

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Christian Streich im Porträt vor der Trainerbank
Trainer Christian Streich, das Gesicht des SC FreiburgBild: Darius Simka/regios 24/imago images

Christian Streich ist einfach anders. Der 56-Jährige wirkt wie einer, der aus der Zeit gefallen ist. 300 Spiele als Trainer bei ein und demselben Verein, dem SC Freiburg; inzwischen zehn Jahre lang auf dem Chefposten; ein Vertreter des Fußballs, der sich auch zu politischen Themen äußert; einer, der in der Öffentlichkeit immer noch in seinem südbadischen Dialekt redet - all das gibt es doch eigentlich gar nicht mehr in diesem durch und durch kommerzialisierten, kurzatmigen Zirkus Bundesliga. "Wenn du 300 Spiele bei zehn Vereinen hattest, warst du an vielen Orten, hast vielleicht ein paar Sprachen gelernt", sagt Streich. "Bei mir ist es andersherum. Ich war nur an einem Ort, in einem Verein, aber einem guten, einem tollen Verein. Ich bin dankbar. Das ist keine kleine Zahl."

Streich lässt mit seinem Jubiläum Trainerlegende Udo Lattek hinter sich, der es mit dem FC Bayern auf 299 Bundesliga-Spiele brachte. Nur fünf Trainer schafften mit einem Verein mehr Partien in der deutschen Eliteklasse als Streich: Otto Rehhagel (493 mit Werder Bremen), Thomas Schaaf (479 mit Werder), Winfried Schäfer (371 mit dem Karlsruher SC), Hennes Weisweiler (340 mit Borussia Mönchengladbach) und Volker Finke (ebenfalls 340 mit Freiburg).

Mit Löw beim SC Freiburg gespielt

Streich erscheint wie die Mensch gewordene Marke SC Freiburg: bodenständig, doch auch weltoffen und tolerant; empathisch und respektvoll, gleichzeitig aber auch kauzig und frech; fußballverrückt, doch auch über den Tellerrand blickend. All das hat sich auch sein Arbeitgeber, der Bundesligist aus dem Südwesten Deutschlands, auf die Fahnen geschrieben.

Christian Streich feuert auf dem Zaun stehend die Fans mit dem Megaphon an
Streich hat keine Berührungsängste zu den Fans des SC FreiburgBild: Sportfoto Rudel/imago images

Streich wuchs im 2500-Seelen-Dorf Eimeldingen nahe der Schweizer Grenze auf. Sein Vater hatte dort eine Metzgerei, in der Streich als Schüler oft aushalf. Seit 44 Jahren dreht sich sein Leben aber vor allem um Fußball. Als Zweitliga-Profi - "durchschnittlich begabt", wie er selbst sagt - spielte er mit dem späteren Bundestrainer Joachim Löw zusammen beim SC Freiburg, mit dem FC Homburg schaffte er es 1989 sogar für eine Saison in die Bundesliga. Mit 29 Jahren wechselte Streich auf die Trainerbank, zunächst bei den Junioren des SC Freiburg. Jahrelang leitete er auch das Nachwuchszentrum des Klubs, der für seine überdurchschnittliche Jugendarbeit bekannt ist.

In Europa League und 2. Liga

Zweimal sagte Streich dem FC Freiburg ab, ehe er schließlich doch am 2. Januar 2012 den glücklosen Marcus Sorg ablöste und vom Co- zum Cheftrainer wurde. "Mich kennen viele Menschen in Freiburg. Sie wissen, wo ich wohne und welche Kneipen ich besuche", erzählte Streich später. "Ich hatte Sorge, diese Menschen enttäuschen zu können." Das Gegenteil war der Fall. Streich führte den Verein vom letzten auf den zwölften Tabellenrang und in der folgenden Saison sogar auf den fünften Platz, was den Freiburgern ein Europa-League-Ticket bescherte.

2015 konnte Streich den Abstieg des Klubs in die zweite Liga nicht verhindern, behielt aber seinen Posten und führte die Mannschaft am Ende der Saison direkt wieder zurück in die Bundesliga. Obwohl die Freiburger daran gewöhnt sind, dass andere Vereine ihnen regelmäßig die Talente wegkaufen, schafft es ihr eigenwilliger Trainer immer wieder aufs Neue, überraschend starke Teams ohne große Namen zu formen. Sein Credo: Wer erfolgreich sein will, muss hart dafür arbeiten. Aktuell belegt Streichs Mannschaft hinter dem FC Bayern und Borussia Dortmund den dritten Tabellenplatz.

Humorvoll, offen, meinungsfreudig

In der Beliebtheitsskala der deutschen Trainer steht Streich ohnehin weit oben. Zum einen sorgt er mit seinem Humor immer wieder für Lacher und nimmt sich dabei auch selbst nicht zu ernst. So antwortete der Trainer einmal auf die Frage, wie sexy der SC Freiburg sei: "Ganz unsexy sind wir nicht. Also ich bin jetzt relativ unsexy." Doch Streich zeigt auch seine Emotionen - nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits davon: Nachdem er im vergangenen Februar seinen Vertrag in Freiburg verlängert hatte, kamen ihm in der Pressekonferenz beinahe die Tränen.

Christian Streich umarmt Verteidiger Manuel Gulde (r.)
Nur zusammen erfolgreich - Streich freut sich mit seinen Spielern (hier Verteidiger Manuel Gulde)Bild: picture alliance/dpa

Zu vielen aktuellen politischen Fragen hat Streich, der in Freiburg Geschichte, Germanistik und Sport auf Lehramt studierte, eine klare Meinung und scheut sich nicht davor, sie öffentlich zu äußern. Immer wieder findet er deutliche Worte, etwa gegen Corona-Leugner, gegen Fremdenhass oder Parteien wie die AFD: "Geht wählen! Damit wir gegen diese unsägliche, fremdenfeindliche und gästefeindliche Politik von einigen Parteien Stimmen sammeln können."

"Immer wieder spannend"

Sein Privatleben hält Streich, so gut es geht, aus der Öffentlichkeit heraus. Mit seiner Lebensgefährtin hat er einen Sohn und eine Tochter. In der Freizeit ist er nach eigenen Angaben ein leidenschaftlicher Leser, kocht und hört gerne Musik. 

Dass Streich nach 300 Bundesligaspielen und zehn Jahren als Chefcoach des SC Freiburg die Freude am Fußball verlieren könnte, ist nicht zu erwarten. "Andere werden sich denken, der hockt jeden Samstag seit 44 Jahren auf dem Kickplatz, der ist nicht ganz normal. Das ist doch langweilig", sagte Streich vor seinem Jubiläumsspiel. "Aber wenn es einen so interessiert und man so darin lebt und arbeitet wie ich, ist es nicht langweilig, sondern immer wieder auch spannend."

Der Artikel wurde nach der 1:2-Niederlage der Freiburger beim VfL Bochum am 27. November aktualisiert.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter