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Das Bargeld - eine deutsche Leidenschaft

Kevin Tschierse
13. November 2019

Ob auf dem Wochenmarkt, an der Ladenkasse oder sogar beim Autokauf für mehrere tausend Euro - viele Bundesbürger zahlen mit Scheinen und Münzen. Warum hängen die Deutschen so an ihrem Bargeld?

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Bild: DW

Ob Taxis, Restaurants oder Bars: In Deutschland kann man vielerorts nur bar bezahlen. Und das wird auch akzeptiert, denn die Deutschen tragen meistens genügend Bargeld mit sich herum - zum Verdruss der Ausländer und Touristen, die meist aus Ländern kommen, in denen bargeldlose Systeme schon seit längerem existieren und genutzt werden. Die deutsche Bargeldkultur geht aber nicht nur von den Verkäufern und Dienstleistern aus, sondern ist auch Teil der deutschen Mentalität. Aber warum hängen die Deutschen eigentlich so an ihrem Bargeld?

Angst vor Kontrollverlust

"Ein wesentlicher Faktor ist Kontrolle", meint der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler, der sich seit Jahren mit der Bargeldpassion und ihren Ursachen im deutschsprachigen Raum beschäftigt. "Wir wollen nicht bevormundet werden. Wir wollen Autonomie, wir wollen die Freiheit und Praktikabilität, die Bargeld bietet." 

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Der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler weiß, warum die Deutschen lieber bar zahlen: aus Angst vor KontrolleBild: DW

Die Deutschen fürchteten vor allem einen Kontrollverlust, würde das Bargeld durch bargeldlose Bezahlmethoden ersetzt werden. Diese Befürchtung drückt sich nach Ansicht des Wirtschaftspsychologen in zweierlei Gesichtspunkten aus: Zum einen könne Kontrollverlust bedeuten, dass die Bürger vom Staat oder den Banken kontrolliert werden können. Davor fürchteten sich die Deutschen, so Kirchler: "Diese Kontrollangst ist ein maßgeblicher Motor gegen die Abschaffung von Bargeld." Der zweite Punkt sei, dass Bargeld einen Wert in der Hand darstelle. Man habe seine Ausgaben und Einnahmen konkret vor Augen und hat damit die Kontrolle darüber.

Wurzeln in der Geschichte 

Woher die Angst vor Kontrolle kommt und warum sie in Deutschland stärker ausgeprägt ist als in anderen Ländern, darüber ist man sich nicht einig. Erich Kirchler erklärt sich die Befürchtungen der Deutschen vor der Abschaffung von Bargeld aus der wechselhaften deutschen Geschichte und dem daraus resultierenden Geschichtsbewusstsein: "Wir haben ein relativ hohes Vertrauen in unsere Autoritäten. Aber gleichzeitig wissen wir, wie schnell sich die Situation ändern könnte. Das ist vermutlich nicht nur - und hier bin ich sehr spekulativ - in der Geschichte erfahren, sondern auch erlernt und im Bewusstsein."

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Straßenmusiker Francis Petrini merkt deutlich, dass die Menschen immer weniger Bargeld dabei habenBild: DW

Wenige Länder sind dem bargeldlosen Bezahlen so skeptisch gegenüber eingestellt wie Deutschland. Einer Studie der Europäischen Zentralbank von 2017 zufolge tragen die Deutschen rund 100 Euro in ihren Geldbeuteln mit sich. Damit sind sie Spitzenreiter in Europa. Sie zahlen 80 Prozent ihrer Einkäufe mit Bargeld - dabei werden sie allerdings noch von den Italienern (86 Prozent) und Spaniern (87 Prozent) abgehängt. In Skandinavien hingegen ist Bargeld schon zur Rarität geworden.

Umsatzplus dank Kartenzahlung

Auch in Großbritannien wird "getapt", wo man nur hinschaut, ob mit dem Handy oder mit der Karte. Selbst Straßenmusiker, in Großbritannien "buskers" genannt, steigen mittlerweile auf bargeldlose Bezahlungsmethoden um. Francis Petrini tritt seit zwei Jahren in den Straßen Londons auf und will sein tragbares Kartenlesegerät nicht missen. Er bekomme damit eher Spenden und verkaufe seine CDs leichter. "Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass viele Leute kaum noch Bargeld dabei haben", sagt er. "Deshalb habe ich mich dazu entschieden, einen tragbaren Kartenleser zu meinen Auftritten mitzunehmen. Mein Einkommen hat sich seitdem tatsächlich stark verbessert.”

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Mit diesem Schild bringt Francis Petrini bei seinen Auftritten die Zuschauer dazu, bargeldlos per "tap“ zu spendenBild: DW

Aber auch in Großbritannien gibt es Kritiker des schnellen Wechsels von Bargeld zu bargeldlosen Zahlungsmethoden. Der in London lebende Anthropologe und Autor Brett Scott kennt sich mit Geldsystemen und digitalen Bezahlsystemen aus. Zurzeit schreibt er an einem Buch über die bargeldlose Gesellschaft. Er sieht die Entwicklung in Großbritannien eher kritisch: "Die Verwendung des Begriffs 'bargeldlos' ist wie Whiskey als bierlosen Alkohol zu beschreiben. Es bezieht sich nicht wirklich auf das, was verwendet wird. Es sind digitale Bank-Zahlungssysteme. Deshalb vermeide ich es, von einer bargeldlosen Gesellschaft zu reden." Er nennt sie die "bankvolle Gesellschaft", denn die bargeldlose Gesellschaft sei eine Gesellschaft, in der man völlig vom Bankensektor abhängig ist.

Alles Sparfüchse? Die Deutschen und das Geld

Für Brett Scott, der als Südafrikaner auch eine Außenperspektive auf Großbritannien hat, ist es ein gesellschaftliches Phänomen, dass viele Briten die Einführung von bargeldlosen Zahlungsmethoden unhinterfragt begrüßen. "Eine der Beobachtungen über das Leben in Großbritannien, die ich gemacht habe, ist, dass das Land eine geringe Immunität gegen den starken Einfluss von Großunternehmen  hat. In anderen Ländern widersetzen sich die Leute großen Ketten. Sie widersetzen sich großen Institutionen, die alles infiltrieren. Im Vereinigten Königreich hingegen akzeptiert man es einfach."

Ob gut oder schlecht, riskant oder unbedenklich - in Deutschland jedenfalls sind Straßenkünstler mit tragbaren Kartenlesegeräten noch die große Ausnahme. Der Wandel hin zur bargeldlosen Gesellschaft passiert aber auch hierzulande, wenn auch nur langsam.