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Politik

Arabische Welt: Das Elend der Medien

Kersten Knipp | Emad Hassan
25. Oktober 2018

In vielen arabischen Ländern haben Journalisten einen schweren Stand. Ihre Arbeit wird systematisch behindert. Das hat enorme Auswirkungen: Viele der Bürger sind kaum in der Lage, sich politisch zu artikulieren.

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Protest nach Verschwinden von Jamal Khashoggi
Bild: AFP/Getty Images/O. Kose

In seiner letzten, posthum veröffentlichten Kolumne stellte der mutmaßlich in der saudischen Botschaft in Ankara ermordete Journalist Jamal Khashoggi eine deprimierende Diagnose: Die meisten der in den arabischen Ländern lebenden Menschen seien über das politische Geschehen weltweit überhaupt nicht oder nur sehr schlecht informiert.

Es könne auch kaum anders sein, so Khashoggi: Sie hätten überhaupt keine Möglichkeiten, sich angemessen oder umfassend zu informieren. In den allermeisten Ländern der arabischen Welt stünden die Medien unter Druck und könnten nicht frei berichten. "Das öffentliche Bewusstsein wird durch den offiziellen Diskurs des Staates  beherrscht", so Khashoggi in dem in der "Washington Post" veröffentlichten Essay. "Diesem Diskurs schenken viele Menschen zwar keinen Glauben, doch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung fällt ihm weiterhin zum Opfer." Das, so Khashoggi weiter, habe dramatische Konsequenzen: "Die Menschen sind unfähig, sich angemessen auszudrücken. Noch viel weniger sind sie zu einer öffentlichen Diskussion in der  Lage."

Herrscher beanspruchen Meinungsmonopol

Die Statistik gibt Khashoggi Recht. In der von "Reporter ohne Grenzen" veröffentlichten, 180 Staaten umfassenden "Rangliste der Pressefreiheit 2018" finden sich sämtliche arabische Länder auf den hinteren Plätzen. Die - relativ - größte Pressefreiheit herrscht demnach in Tunesien, (Rang 97), dicht gefolgt vom Libanon (Rang 100). Ganz weit unten finden sich Irak und Ägypten (Rang 160 und 161), gefolgt von Saudi-Arabien auf Rang 169. Noch weniger frei sind die Medien im kriegsgeplagten Syrien (Platz 177).

Ägypten Präsident Abdel Fattah al-Sisi
Distanziertes Verhältnis zur Meinungsfreiheit: der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-SisiBild: picture-alliance/Zumapress/President Office

Gerade in autoritär bis diktatorisch regierten Ländern wie Ägypten und Saudi-Arabien herrsche weitgehend ein Meinungsmonopol, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen", im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Dieses Monopol haben natürlich die  jeweiligen Herrscher - in Ägypten Präsident al-Sisi, in Saudi Arabien das Königshaus. Beide Regime haben vor allem ein Ziel: Sie wollen einen politischen Diskurs nicht zulassen und die Gesellschaft möglichst unpolitisch halten."

Brutales Vorgehen gegen Journalisten

Dafür gehen sie mit aller Härte vor. In Ägypten etwa saß der als Freelancer arbeitende Fotograf Mahmoud Abu Zeid alias "Shawkan" fünf Jahre in Untersuchungshaft. Sein Vergehen: Er hatte im August 2013 über die Zusammenstöße zwischen den Muslimbrüdern und ägyptischen Sicherheitskräften berichtet, bei denen rund 1000 Demonstranten ums Leben kamen. Shawkan wurde verhaftet - und das, obwohl er über das Geschehen nur berichtete und nicht daran teilnahm. Über fünf Jahre befand er sich in verschiedenen ägyptischen Gefängnissen, immer wieder war er physischer Gewalt ausgesetzt. "Fünf Polizisten schlugen mich immer wieder mit einem Gürtel und ihren Fäusten", hatte er noch während der Haft "Amnesty International" gegenüber die Zustände in einem Gefängnis beschrieben. "Als ich zu Boden ging, hörten sie nicht auf."

Derzeit befinden sich in Ägypten 27 Journalisten in Haft, ebenso auch vier Medienmitarbeiter und fünf Blogger und Bürgerjournalisten. Teils werden unklare Beschuldigungen wie "Diffamierung" und Veröffentlichung "falscher" Informationen gegen sie erhoben. In Saudi-Arabien befinden sich laut "Reporter ohne Grenzen" derzeit vier Journalisten und neun Blogger in Haft.

Die Meinungsfreiheit bedrohe nicht nur den politischen Diskurs in der arabischen Welt, sagt Christian Mihr. "Sie führt auch zu mehr Korruption. Vergleicht man die 'Rangliste der Pressefreiheit' von 'Reporter ohne Grenzen' mit dem 'Korruptions-Wahrnehmungs-Index' von 'Transparency International', bemerkt man eine deutliche Korrelation. Wo Meinungsfreiheit beschnitten werde, blühe Korruption. Wo sie wachse, gehe die Korruption hingegen zurück. 

USA Fahnen vor dem UN-Gebäude
Kann der Westen international noch liberale Impulse setzen? UN-Gebäude in New YorkBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Mitverantwortung des Westens?

Jamal Khashoggi machte in seinem letzten Essay für die düstere Lage der Menschenrechte und Medienfreiheit im Nahen Osten indirekt auch die westlichen Staaten verantwortlich. Sie reagierten auf Menschenrechtsverletzungen nicht mehr so scharf wie zu früheren Zeiten. Diese Umstand ermutige die autoritären Herrscher der Region, mit ihrem harten Vorgehen gegen die Medien fortzufahren.

Ähnlich sieht es der ägyptische Publizist Fahmi Huwaidi. Viele westliche Publizisten widmeten sich derzeit dem Verfall demokratischer Werte in Europa und den USA. Das färbe auch auf den Nahen Osten ab, so Huwaidi im DW-Interview. "Wären die Institutionen im Westen weiterhin stark, würde dies auch diejenigen in der arabischen Welt stärken."

Umso dramatischer sei es, dass die politischen Freiheiten im Westen in der Defensive seien, nicht zuletzt auch angesichts des dschihadistischen Terrors. "International herrscht eine politische Atmosphäre, die der Gegenrevolution der arabischen Regime sehr entgegenkommt. Deren Führer haben das natürlich sehr schnell begriffen und nutzen dies für ihre Zwecke aus", so Huwaidi.

Journalisten lebten in der arabischen Welt fast vollkommen ohne Schutz, so Huwaidi. "Es bleibt nur, für Medienfreiheit in der Region zu kämpfen. Das ist aber ein Kampf, für den die Beteiligten einen sehr hohen Preis zahlen. All, die dies tun, müssen sich dessen absolut bewusst sein."

Saudi Arabien, Riad: Imran Khan auf der Investment Konferenz
Business as usual? Szene von der derzeit in Riad laufenden InvestorenkonferenzBild: picture-alliance/dpa/A. Nabil

Der Fall Kashoggi: ein Neuanfang?

Die Aufstände des Jahres 2011 hätten einen massiven Rückschlag erlitten, ist in der dem katarischen Sender Al-Jazeera  verbundenen Zeitung "Al araby al-jadeed" zu lesen. Dennoch könnten die Regime der Region den Aufbruch in Richtung Freiheit nicht grundsätzlich zurückhalten. "Einige Regierungen in der arabischen Welt scheinen die Lektion nicht gelernt zu haben. Sie meinen, einige eher formale Reformen oder auch die bislang gepflegte Einschüchterungspolitik reichten aus, um die Bürger weiterhin still zu halten. Sie scheinen weiterhin überzeugt, mit Geld und Korruption eine Art virtueller Stabilität erkaufen und auf diese Weise alle Hoffnung auf ernsthaften Wandel zerstören zu können." Es sei aber alles andere als ausgemacht, dass diese Rechnung aufgehe.

Womöglich könne der Fall Khashoggi in diese Richtung wirken, sagt Christian Mihr von "Reporter ohne Grenzen". "Ich habe den Eindruck, dass in der arabischen Welt eine große Erschütterung über die Brutalität des Mordes an Khashoggi herrscht. Saudi-Arabien ist schon bisher mit den Menschenrechten nicht zimperlich umgegangen. Aber die Brutalität dieses Falles ist etwas Besonderes." Er wolle nicht allzu optimistisch klingen, so Mihr. "Aber ich habe den Eindruck, der Fall löst eine größere Erschütterung als sonst."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika