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Das wilde Jahr des Robert Habeck

10. Oktober 2022

So turbulent hatte sich Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen sein erstes Jahr im Amt nicht vorgestellt. Von Jens Thurau, Berlin.

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Wirtschaftsminister Robert Habeck
Robert Habeck, im September 2022 in BerlinBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Doha, Katar, Anfang März 

Robert Habeck ist im März 2022 nach Katar geflogen, später werden Journalisten diese Reise eine "Gas-Bettel-Tour" nennen. Schon vorher hat der Wirtschaftsminister von den Grünen in diversen Ländern sondiert, ob und in welchem Umfang Gaslieferungen von dort nach Deutschland möglich sind. In Kanada etwa oder in Norwegen. Habeck ist jetzt etwas mehr als drei Monate im Amt, er hat sich das alles anders vorgestellt. Er wollte den Klimaschutz vorantreiben und die Nachhaltigkeit. Jetzt muss er neues Gas besorgen, hier im Emirat, das wegen seiner Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Noch fließt Gas aus Russland über die Nordseepipeline "Nord Stream 1", aber schon hier in Doha gibt sich Habeck keinerlei Illusionen hin, dass das noch lange der Fall sein könnte. Damit soll er Recht behalten, im Herbst werden beide Gasleitungen, Nord Stream 1 und 2, von Unbekannten offenbar weitgehend zerstört werden, viele Beobachter vermuten Russland hinter den Detonationen, die zu mehreren Lecks führten.  

Habeck verbeugt sich beim Händedruck mit dem Handelsminister in Katar
Ein Bild, das viel Kritik auslöst: Habeck und Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, Minister für Handel und Industrie von Katar (März 2022)Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Hier, in Doha, im Frühling, steckt Habeck aber voller Schaffenskraft. Er setzt klare Prioritäten. Dass es für einen Grünen-Politiker äußerst widersprüchlich ist, um Lieferungen von fossilen Energieträgern zu bitten, ficht ihn nicht an. Der Krieg gegen die Ukraine, erst wenige Tage zuvor begonnen, hat alles verändert. Habeck hat eine große Wirtschaftsdelegation mit an den Golf genommen, und die meisten Wirtschaftsvertreter sind voll des Lobes für den Kommunikationsstil des früheren Co-Chefs der Grünen. Die Chefin etwa des Industriekonzerns Thyssen Krupp, Martina Merz, ist im Gespräch mit der DW voll des Lobes: "Herr Habeck macht hier einen guten Job für Deutschland. Er sieht sich, so meine Einschätzung, in den Gesprächen als jemand, der Verbindungen herstellen will." Später aber wird sich herausstellen, dass die Kataris dann doch lieber Flüssiggas an andere Länder liefern, die ihnen langfristige Verträge bieten. Die deutsche Regierung aber will trotz des Krieges schnell raus aus den fossilen Energieträgern. Ein Gegensatz, der prägend werden wird für diese ersten Monate des Robert Habeck im Amt.  

Aber in Katar setzt er noch ganz auf seine Stärken: Die offene Ansprache, die auch Zweifel zulässt. Wie kein anderer Politiker der Ampel-Koalition artikuliert er seine Sorgen nach dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine offen und verständlich. "Ich meine, der Typ hat Atomwaffen", sagt er im Gespräch mit der DW. Der Typ, das ist Russlands Präsident Putin.

Jens Thurau und Robert Habeck
"Der Typ hat Atomwaffen!" Habeck und DW-Reporter Jens Thurau auf dem Rückflug aus KatarBild: Jens Thurau/DW

Israel und Jordanien, Anfang Juni 

Diesmal ist Habeck weniger als Gas-Werber für Deutschland unterwegs, eher als Vizekanzler. Er besucht die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und in Jordanien ein großes Flüchtlingslager. Seine Stimmung ist erkennbar ernster als noch im März, Mitarbeiter seines Ministeriums berichten auf der Reise von einer enormen Arbeitsbelastung rund um das Thema Energieversorgung. Später, Ende September, wird Habeck bei einem Kongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie über seine Mitarbeiter sagen: "Die Leute, irgendwann müssen die auch schlafen und essen. Die Leute werden krank. Die haben Burnout, die kriegen Tinnitus. Die können nicht mehr." Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt sagt ein führender Grünen-Politiker, der nicht namentlich genannt werden möchte, der DW: "Robert muss mal ausschlafen." Nicht nur die Mitarbeiter können nicht mehr, der Minister selbst ist jetzt auch erkennbar gestresst. 

Habeck in der Bundespresskonferenz
Der Stress ist ihm immer öfter anzusehen: Habeck im September in BerlinBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Gasumlage, Ende Juli 

Zu einem kleinen Desaster wird dann die Idee Habecks, mit einer Umlage für alle Gaskunden in Deutschland die Unternehmen zu stützen, die jetzt teuer auf dem Weltmarkt nach Alternativen zum russischen Gas suchen. Erst kursieren unterschiedliche und verwirrende Angaben über die Höhe der Umlage, Habeck selbst spricht von bis zu 5 Cent pro Kilowattstunde, was einen Durchschnittshaushalt mit drei bis vier Personen schon um bis zu 2000 Euro im Jahr hätte belasten können. Aber schließlich werden es 2,4 Cent, und dann wird die Gasumlage ganz kassiert. Die Regierung entschließt sich nämlich stattdessen, sagenhafte 200 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um die Gaspreise zu deckeln und die Unternehmen zu unterstützen.
Und Habeck, der lange in fast allen Umfragen beliebtester Politiker in Deutschland war, rutscht im "Politbarometer" der "Forschungsgruppe Wahlen" im Oktober auf den vierten Platz ab, hinter seinen beiden Parteikollegen Cem Özdemir, dem Landwirtschaftsminister, und Außenministerin Annalena Baerbock. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) liegt noch vor Habeck. 

Gestapelte Gasrohre
Nicht verbaute Rohre für die Pipeline Nord Stream 2 auf RügenBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Atomkraft und Kohleausstieg, September und Oktober 

Viel Kritik, jetzt auch aus der Wirtschaft, muss Habeck dann einstecken, als er nur zwei der drei noch laufenden Atomkraftwerke wegen der Energiekrise bis Ende März 2023 weiter am Netz halten will. Eigentlich hätten alle drei zum Jahresende endgültig abgeschaltet werden sollen. Und, ebenfalls schon im Herbst, bringt das Thema Lützerath viele Grünen-Wähler und Anhänger endgültig gegen den Minister auf. Der kleine Ort im rheinischen Braunkohlerevier soll jetzt endgültig weggebaggert werden, auch wenn er längst zum neuen großen Symbol der Klimabewegung geworden ist. Habeck hat zwar mit dem Energiekonzern REW vereinbart, im Gegenzug den Ausstieg aus der Kohleförderung in Nordrhein-Westfalen von 2038 auf 2030 vorzuziehen, aber Lützerath hilft das nicht mehr. Und so passiert etwas, was noch Anfang des Jahres nahezu unvorstellbar war. Habecks Wahlkreisbüro in Flensburg wird jetzt aus Protest von Klimaschützern mit gelben Holzkreuzen verrammelt. Die waren immer schon das Symbol für Atomkraft -und Kohlegegner.  

Demonstranten mit Schildern, unter anderem "Lützerat bleibt" und "Keine Kohle für die Kohle"
Proteste gegen den Braunkohletagebau in Lützerath. Habeck stimmt dem Wegbaggern des Dorfes trotzdem zuBild: BERND LAUTER/AFP

Zehn Monate nach seinem Amtsantritt ist der Spagat zwischen pragmatischer Regierungspolitik in Kriegszeiten und den Inhalten der Grünen für Robert Habeck kaum noch zu schaffen.