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Deutschland: Kostet ein Brot bald zehn Euro?

15. September 2022

Viel Geld für Gas und Strom auszugeben, das ist für Bäcker nichts Neues. Die aktuellen Energiepreise sind für viele in der Branche aber nicht mehr bezahlbar.

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Symbolbild Brot Brotregal Bäckerei
Hochpreisig: Brot dürfte bald teurer werdenBild: Mohssen Assanimoghaddam/dpa/picture alliance

Brot, Brötchen, Kuchen und Törtchen - "Wir sind eine klassische Handwerksbäckerei, in der vorne verkauft wird, was hinten aus dem Ofen kommt", so wirbt Tobias Plaz für seinen Betrieb im süddeutschen Eutingen, einem Dorf südwestlich von Stuttgart. Seit 1890 gibt es den Familienbetrieb, Plaz ist Bäckermeister in der vierten Generation. Im vergangenen Jahr erst hat er sein Ladengeschäft komplett umgebaut, durch eine Glasscheibe können die Kunden von der Theke aus zusehen, wie im hinteren Teil gebacken wird.

Doch gerade weiß Tobias Plaz nicht mehr, wie er sein Geschäft noch wirtschaftlich weiterführen soll. Ende August bekam er Post von seinem Gasversorger. Statt bislang knapp zehn Cent pro Kilowattstunde Gas soll er nun knapp 35 Cent bezahlen. "Diese Informationen wollen wir mit Euch teilen, damit Ihr Verständnis habt, wenn wir die Preise für unsere Backwaren anpassen müssen", schreibt der Bäcker auf Facebook und Instagram, wo er ein Foto von der Mitteilung seines Gasversorgers mit den neuen Abschlagszahlungen postete.

Bäcker protestieren in Hannover

Auch in andere Bäckereien in Deutschland flattern in diesen Tagen die neuen Abschlagsforderungen der Energieversorger ins Haus. Mit teilweise so hohen Forderungen, dass die Unternehmer fassungslos überlegen, wie sie die Kosten noch stemmen sollen. Eckehard Vatter, der in Niedersachsen eine Großbäckerei mit 35 Filialen betreibt und 430 Mitarbeiter beschäftigt, soll künftig mehr als 75.000 Euro pro Monat für Gas zahlen. Bisher waren es rund 5.800 Euro.

Männer und Frauen in Alltagskleidung laufen in einem Zug durch die Innenstadt von Hannover. Mehrere Demonstranten halten Schilder mit der Aufschrift "Rettet uns Bäcker" hoch.
Um 14 Uhr schlossen die Bäcker ihre Geschäfte, um 15 Uhr startete die Demonstration in HannoverBild: Michael Matthey/dpa/picture alliance

In Hannover gingen Vatter und viele seiner Kollegen jetzt auf die Straße. "Rettet uns Bäcker" stand auf Schildern und Bannern, die rund 1000 demonstrierende Bäcker und ihre Mitarbeiter in die Höhe hielten. In vielen Läden wird seit Tagen immer wieder im Dunkeln verkauft, um die Kunden aufmerksam zu machen. "Uns geht das Licht aus - Heute das Licht und morgen der Ofen?", lautet das Motto.

Ein Brötchen für fünf Euro

Ohne Energie können die Backöfen nicht laufen, aber wie sollen die Bäcker die hohen Kosten erwirtschaften? Den Preis für Brot und Brötchen entsprechend erhöhen? Ein Brötchen für fünf, ein Brot für zehn Euro? Das würden die Kunden nicht mittragen, sind sich die Bäcker sicher. Der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks warnt davor, dass viele Betriebe aufgeben müssen, wenn es keine staatlichen Finanzhilfen gibt.

Eine Bäckereifachverkäuferin steht in einer sparsam beleuchteten Bäckerei und ordnet Backwerk im Verkaufstresen an.
Verkaufen im Dunkeln - damit wollen die Bäcker auf die hohen Energiekosten aufmerksam machenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance/dpa

Die Entlastungspakete der Bundesregierung hatten bislang vor allem die Privathaushalte im Blick und weniger die Unternehmen. 95 Milliarden Euro sind veranschlagt, um die explodierten Energiepreise für die Bürger verkraftbar zu machen. Länger brauchte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP für die Erkenntnis, dass auch die Wirtschaft ohne Unterstützung nicht durch die Krise kommen dürfte. 

Wer soll die hohen Preise bezahlen?

"Jeden Tag erreichen uns Notrufe von Betrieben, die kurz davor sind, ihre Produktion einzustellen - auch weil sich diese enormen Energiepreissteigerungen nicht mehr durch Preiserhöhungen kompensieren und an die Kunden weitergeben lassen", warnt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Handwerks, im Interview der "Rheinischen Post". Die Dynamik bei Pleiten sei viel schlimmer als in den Hochphasen der Corona-Pandemie. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sieht sich ein Drittel der Industrieunternehmen in der Existenz bedroht.

Auf einem Plakat steht in schwarzer Schrift auf gelbem Hintergrund: "Uns geht das Licht aus. Alarmstufe Brot. Unsere Politiker führen das Bäckerhandwerk in die größte Krise aller Zeiten!" Im Hintergrund sind Demonstranten zu sehen.
Hilfen für Bäckereien? Waren von der Politik eigentlich nicht angedachtBild: Ulrich Stamm/Geisler-Fotopress/picture alliance

Beispiele für die Krise gibt es jeden Tag mehr. Der Toilettenpapierhersteller Hakle hat Insolvenz angemeldet und begründet die Zahlungsunfähigkeit damit, dass der Kostenanstieg nicht über die Preise im Einzelhandel aufzufangen sei. Der Stahlkonzern Arcelor Mittal hat zwei Produktionsanlagen in Norddeutschland gestoppt und seine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt: Die staatliche Arbeitslosenversicherung springt ein und zahlt die Löhne.

Deutschland droht eine Rezession

Stellt ein Unternehmen seine Produktion ein, dann hat das oft weitreichende Folgen für andere Wirtschaftszweige und Verbraucher. Nachdem die Stickstoffwerke Piesteritz in Sachsen-Anhalt ihre Ammoniak-Anlagen nicht mehr wirtschaftlich betreiben können und sie deshalb heruntergefahren haben, liefert die Firma kein Adblue mehr. Das ist die Harnstofflösung, die in modernen Dieselfahrzeugen - also auch in Lieferwagen - für die Abgasreinigung sorgt. 

Wirtschaftswissenschaftler und auch die Wirtschaft selbst rechnen damit, dass Deutschland auf dem Weg in eine Rezession ist- vergleichbar mit dem Einbruch in der Corona-Pandemie. Auf dem Deutschen Arbeitgebertag versprach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck finanzielle Unterstützung, musste allerdings einräumen, dass es über den konkreten Umfang innerhalb der Regierung noch keine Einigung gibt.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz,  spricht auf dem Deutschen Arbeitgebertag in Berlin. Er trägt einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd ohne Krawatte und hält ein Mikrofon in der rechten Hand. Die linke Hand hat er mit angewinkeltem Arm erhoben, die Handfläche ist nach vorne gerichtet.
Wie teuer die Finanzhilfen für den Steuerzahler werden, kann Wirtschaftsminister Robert Habeck noch nicht beziffernBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Fest steht, dass nicht nur große Industriebetriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, profitieren sollen, sondern auch der Mittelstand und dort vor allem energieintensive Betriebe. Also auch Bäckereien. Die Regierung wolle das Programm in den nächsten Wochen beschließen, so Habeck in Berlin. Es solle aber möglichst rückwirkend etwa ab September greifen. "Wir müssen jetzt alle finanzielle Kraft aufbringen, die nötig ist, um die gute Substanz unserer Wirtschaft und Arbeitsplätze in diesem Land zu sichern", sagte Habeck nach einem Treffen mit 40 mittelständischen Wirtschaftsverbänden. "Dass das den Mittelstand erheblich entlasten wird, ist zu erwarten, dass es ihm alle Kosten abnehmen wird, nicht." Wie teuer das Programm für den Steuerzahler wird, könne derzeit noch nicht beziffert werden.

Keine Subventionen auf Dauer

Die Finanzhilfen sollen für eine begrenzte Zeit gezahlt werden, bis Anstrengungen auf nationaler und europäischer Ebene zur Dämpfung der hohen Strom- und Gaspreise wirken würden, kündigt Habeck an. Doch wird das ausreichen? Steffen Müller, Professor am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) gibt zu bedenken, dass steigende Energiepreise, aber auch steigende Kreditzinsen kein vorübergehendes Phänomen sind, sondern mittel- und langfristig bleiben würden.

Auf dem Foto ist der Ausschnitt eines Formulars zu sehen, mit dem beim Amtsgericht ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt wird
Kann ein Unternehmen seine Rechnungen nicht mehr bezahlen, dann muss es das öffentlich bekannt gebenBild: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa/picture alliance

"Hilfsprogramme, die lediglich eine bestimmte Krisenzeit überbrücken können, verschieben in dieser Situation die Probleme in erster Linie zu Lasten des Steuerzahlers um ein paar Monate in die Zukunft", schreibt Müller auf Anfrage der DW: "Maßnahmen, die eine Zeitlang die Energiepreise senken, sind ebenfalls nicht sinnvoll, da sie Anreize zum Energiesparen nehmen. Genau das können wir uns nicht erlauben."

Die Krise beschleunigt den Strukturwandel

Sinnvoller seien zinsgünstige Kredite, argumentiert Müller, die mit der Maßgabe vergeben werden sollten, auf energiesparende Produktionsverfahren umzurüsten. "Der Kern des Arguments ist, dass die Energiepreise auch nach diesem Winter nicht wieder zurück auf das Niveau der letzten Jahre fallen werden. Es ändert sich also strukturell etwas."

Normalerweise sei es Aufgabe der Unternehmen, sich darauf einzustellen, schreibt der Wissenschaftler. In einem "krisenhaft stark beschleunigten Strukturwandel hin zu einer grüneren Industrie" könne der Staat aber helfen und die Unternehmen begleiten.

Mitarbeit: Klaus Ulrich

Dieser Artikel wurde erstmals am 8. September 2022 veröffentlicht und am 15. September 2022 aktualisiert