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"Deutschland nicht auf Naturkatastrophen vorbereitet"

Stefanie Claudia Müller Madrid
28. Juli 2021

Der spanische Physiker Antonio Turiel Martínez sieht Deutschland in einem Energie-Dilemma, dessen Auswirkungen durch die Flut spürbar wurden. Schnelle Lösungen gibt es seiner Ansicht nach nicht.

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Nach dem Unwetter in Rheinland-Pfalz
Bild: Thomas Frey/picture alliance/dpa

Die Flutwelle im Ahrtal und der Voreifel haben gezeigt, wie zerbrechlich ein wohlhabendes und stark vernetztes Industrieland wie Deutschland ist und wie wenig vorbereitet, wenn plötzlich der Strom ausfällt. Zum Vergleich lohnt sich ein Blick nach Spanien.

Das Land erlebt jedes Jahr Überschwemmungen und Waldbrände. Schon nach dem Bürgerkrieg wurde ein Vorläufer des heutigen CCS (Consorcio de Compensación de Seguros) lanciert, um Opfer zu entschädigen. Es ist eine Art Pflichtversicherung für Elementarschäden. Zudem hat Spanien eine mobile Militäreinheit, die UME, die in solchen Fällen mit anpackt und auch die nationalen Sicherheitsgesetze wurden gerade nochmal angepasst, damit unter diesen Umständen die Bevölkerung zur Hilfe verpflichtet werden kann.

Deutschland hingegen erlebte in den vergangenen Wochen, wie wenig die Menschen, die Städte und Dörfer auf Naturkatastrophen in dieser Größenordnung vorbereitet sind. Das Mitteilen von lebenswichtigen Informationen funktionierte ohne Strom nicht mehr. Menschen tranken Leitungswasser, das eigentlich hätte abgekocht werden müssen.

Es war ein Vorgeschmack auf das, was uns jetzt, wo unser ganzes Leben digitalisiert wird, erwartet, wenn wir Energie- und Ressourcen-Knappheit erleben, glaubt der Physiker und Mathematiker Antonio Turiel Martínez, der am Madrider CSIC Institut in Sachen Umweltfragen forscht. Den Brüsseler Green Deal und die eigene spanische Transformationspolitik hält er für Augenwischerei.

Antonio Turiel Martínez ist Physiker und forscht am Madrider CSIC Institut
Antonio Turiel Martínez ist Physiker und forscht am Madrider CSIC InstitutBild: privat

DW: Sie forschen seit Jahren in Sachen Klimawandel und Energiewende. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen mit der aktuellen Flutkatastrophe in Deutschland?

Antonio Turiel Martínez: Es ist wie eine Zäsur. Was Deutschland erlebt hat, hängt direkt mit dem Klimawandel zusammen, aber auch mit unserem auf Wachstum und damit auf Globalisierung basierenden System. Die Flutkatastrophe in Deutschland hat gezeigt, wie wichtig der lokale Zusammenhalt ist und wie dringend der radikale Systemumbau.

Die Katastrophen kommen immer näher, wiederholen sich in immer kürzeren Abständen und sie zeigen uns, dass wir trotz aller Digitalisierung und Technologie die Natur nicht im Griff haben. Wir erleben gleichzeitig eine nie dagewesene Knappheit von Gütern. Die Lieferketten funktionieren nicht mehr. Es sind kaum noch Rohstoffe auf unserem Planten vorhanden, was die Preise für viele Produkte steigen lässt.

Die Flut in Deutschland hat zudem gezeigt, dass unsere Alarmsysteme nur mit Strom funktionieren. Wir haben die einfachsten Dinge verlernt wie zum Beispiel, unsere eigene menschliche Energie und den gesunden Menschenverstand zu nutzen. 

Sie warnen seit Jahren vor grünen Augenwischern und technologischem Größenwahn. Meinen Sie, dass wir jetzt in Echtzeit erleben, wie das kapitalistische System zusammenbricht? 

Ja, aber die derzeitigen Lösungen, die Folgen zu mindern, sind nicht überzeugend, weil sie selbst wiederum zu viel Energie verbrauchen und damit einen zu großen Einfluss auf die Umwelt haben. Fossile Energien werden schon in wenigen Jahren nur noch in sehr reduziertem Masse zur Verfügung stehen. Die privatwirtschaftlichen Investitionen in die Förderung von Öl sind stark zurückgegangen und das hat nichts mit dem Green Deal zu tun.

Es lohnt sich mit der bestehenden Fördertechnik nicht, weiter nach Öl-Vorkommen zu suchen. Wir sitzen in einer Falle, weil erneuerbare Energien nicht ausreichen, um eine Industriestruktur wie die deutsche am Leben zu erhalten. Und grüner Wasserstoff kann Öl nicht ersetzen, weil seine Produktion nicht effizient ist. Es gehen dabei 50 Prozent der Energie verloren. Auch mit Nuklearenergie kriegen wir das Problem nicht in den Griff, denn auch diese benötigt Rohstoffe.

Welche Folgen hat das für ein starkes Industrieland wie Deutschland und für unseren Wohlstand? Die Weltbevölkerung wächst rasant weiter…

Energie wird teurer werden. Wir erleben das bereits. Damit wird auch alles andere teurer. Daran wird auch der grüne Wasserstoff nichts ändern. Es wird nicht möglich sein, genug Energie zu produzieren, um das aktuelle Industrienetz und unseren Konsum ohne fossile Energien aufrecht zu erhalten. Das Problem ist also nicht nur der Klimawandel.

Also wird die Industriegesellschaft aussterben? Wie werden wir in 20 Jahre leben? Werden wir wieder zu Fuß gehen?

Wir werden mit weniger leben müssen, weniger reisen und sehr sorgsam mit den Ressourcen umgehen müssen, die wir dann noch haben. Das liegt vor allem daran, weil unser Reichtum bisher auf dem Vorhandensein von fossilen Energien als Treibstoff basierte, der günstig Flugzeuge bewegte und Container-Schiffe, um uns Güter aus der ganzen Welt zum Billigpreis nach Hause zu liefern und den Massentourismus zu ermöglichen.

Es gibt keine Lösung in diesem Energie-Dilemma und ich bin bei weitem nicht der einzige Forscher, der so denkt. Wir haben den Höhepunkt unseres Wohlstandes erreicht und müssen jetzt zu einer Wirtschaft wie am Anfang des 20. Jahrhunderts zurückkehren. Hydraulik und mechanische Energie werden wieder in Mode kommen, genauso wie lokales Wirtschaften, auch bei der Stromerzeugung. Nachhaltigkeit wird unser Leben bestimmen.

Antonio Turiel Martínez ist Forscher am Institut für Meereswissenschaften des nationalen Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC) in Barcelona. Er untersucht seit vielen Jahren die Auswirkungen des Klimawandels auf das Meer. Bekannt wurde der 51jährige durch seinen  Blog "The Oil Crash".