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Gestresste Eltern

Vera Kern2. August 2016

Zu wenig Zeit, zu viel Belastung: Berufstätige Eltern in Deutschland sind oft am Limit. Das zeigt eine jetzt veröffentlichte Studie. Schuld ist nicht nur eine falsche Familienpolitik, sondern auch ihr schlechtes Image.

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Gestresster Mann mit Kinderwagen (Foto: http://de.fotolia.com/id/15351868)
Bild: Ursula Deja/Fotolia

Mütter und Väter, die arbeiten, leiden unter chronischer Zeitknappheit. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich dieses zentrale Ergebnis der Studie, die im Auftrag des Bundesverbandes der Krankenkasse AOK erstellt wurde, bildlich vorzustellen: Da ist die Mutter, die ihren Tag zwischen Büro, Hausaufgabenhilfe und Wäsche waschen aufteilt, um dann abends nach ihrem Yogakurs noch schnell einen Kuchen fürs Schulfest zu backen. Oder da ist der Vater, der auf dem Weg zu seinem Meeting morgens eilig die Kinder in die Kita bringt, es abends dann aber wegen eines dringenden Projekts wieder nicht schafft, ihnen die Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. Das sind Szenen, wie sie viele berufstätige Eltern kennen.

Kinder, Job, Haushalt, Partnerschaft - junge Eltern müssen all das gleichzeitig stemmen. Der größte Stressfaktor dabei: Die fehlende Zeit. Für eine aktuelle AOK-Familienstudie wurden rund 1000 Mütter und Väter gefragt, wie belastet sie sich fühlen. Fast jedes zweite Elternteil, insgesamt 47 Prozent, gab an, er oder sie fühle sich durch mangelnde Zeit gestresst. Das sei sogar belastender als zum Beispiel Geldsorgen.

Alleinerziehende empfinden den größten Stress

Am stärksten betroffen sind laut der Umfrage die Mütter. Immer noch schultern sie den Löwenanteil der Doppelbelastung. Denn nach wie vor leben viele Familien in klassischen Rollen. 90 Prozent der Väter arbeiten Vollzeit, bei den Müttern ist nur etwa jede fünfte voll berufstätig. Über die Hälfte der Mütter arbeitet in Teilzeit - und ist ansonsten Familienmanagerin. Am größten ist die Zeitnot bei Alleinerziehenden. Hier multipliziert sich der Stress, denn auch die finanziellen Sorgen sind größer.

Schwangere Mutter mit kleinem Jungen auf dem Spielplatz (Foto: picture alliance/blickwinkel/fotototo)
Das Idealbild in Deutschland: Mama kümmert sich Tag und Nacht um das BabyBild: picture alliance/blickwinkel/fotototo

Woran liegt das? Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann, der die Studie geleitet hat, sieht einen Grund im veränderten Lebenswandel. Die heutigen Eltern kriegen meist zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr ihre Kinder. Soziologen bezeichnen diese Zeit als "Rush Hour des Lebens". Es ist die Phase, in der alles zusammen kommt: Berufseinstieg, Familiengründung, bei manchen auch schon pflegebedürftige Eltern.

Immer noch droht der Vorwurf "Rabenmutter"

Ein weiterer Grund für den gefühlten Dauerstress sind die Erwartungen von außen. "Wir kommen aus einer ganz starken Tradition der Mutterfixierung in den ersten sechs Jahren", sagt Hurrelmann. Immer noch erwarte die Gesellschaft in Deutschland, dass Eltern möglichst viel Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen. Noch immer gelte: Wenn Eltern sich nicht voll und ganz dem Nachwuchs widmen, leiden die Kinder später darunter. Die Sorge, am Ende doch als Rabenmutter oder Rabenvater abgestempelt zu werden, lastet also immer noch auf berufstätigen Eltern - ganz egal, wie modern sie sich wähnen. "Auch modernen Eltern sitzt diese gesellschaftliche Erwartung im Nacken", so der Gesundheitsforscher.

Die befragten Eltern halten diesen Stress für eine "unabdingbare Begleiterscheinung ihrer Grundsatzentscheidung" - zu arbeiten und Kinder zu haben. "Eltern nehmen sämtliche Belastungen auf ihre eigene Kappe", so Hurrelmann. In den Augen der Eltern liegt die Ursache für den Stress nicht an fehlenden Kita-Plätzen, starren Arbeitszeiten oder einer grundsätzlich gescheiterten Familienpolitik. Vielmehr betrachten sie es als ihre persönliche Entscheidung, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Auch wenn sie sich dann in ihrem Alltag zwischen Windeln wechseln, Wäsche waschen und beruflichem Weiterkommen zunehmend überfordert fühlen.

Aber natürlich könnte auch eine bessere Infrastruktur für Familien den Stress reduzieren. Konkret würde ein besseres Angebot an "außerfamiliären Erziehungsangeboten" helfen, so der Experte Hurrelmann. Denn obwohl es in Deutschland inzwischen einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gibt, fehlt es insbesondere in Großstädten an entsprechenden Einrichtungen. "Wenn die Sorge um einen Betreuungsplatz entfällt, wäre das die wichtigste Entlastung", sagt Hurrelmann. Aber auch die Arbeitgeber sind in der Pflicht: Eltern sollten zum Beispiel Dienstpläne mitbestimmen dürfen, flexible Arbeitszeiten und Home Office überall selbstverständlich sein.

Sind schwedische Eltern entspannter?

Ein Blick ins europäische Ausland macht deutlich, dass es auch anders gehen kann. Im Nachbarland Frankreich ist es selbstverständlich, dass Kinder von klein auf ganztags von anderen Menschen betreut werden. Dort erntet eher schräge Blicke, wer sein Kind daheim betreut. Franzosen werten es als wichtig für die Charakterbildung, dass Kinder schon früh soziales Miteinander erleben. In Schweden ist es absolut normal, dass Mütter und Väter arbeiten und trotzdem gute Eltern sind.

Deutschland Eltern Karriere Kind Symbolbild (Foto: picture-alliance/dpa/J. Woitas)
Selbst schuld? Eltern machen nicht die Familienpolitik verantwortlich für ihren StressBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Es geht also darum, in Deutschland ein neues Bild für die modernen Eltern zu finden. Eines, bei dem die Vollzeit arbeitende Mutter kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn sie ihr Kleinkind ganztags von einer Tagesmutter betreuen lässt. Oder der Vater keine schrägen Blicke fürchten muss, wenn er ein Jahr in Elternzeit geht - und danach in Teilzeit wieder einsteigt.

Bislang, so ein Ergebnis der Studie, suchen gestresste berufstätige Eltern die Lösung bei sich selbst. Indem sie zum Ausgleich Sport machen oder anderen Hobbys nachgehen. Vielleicht ist es an der Zeit, den Stress und die Dauerbelastung auch politisch anzugehen. Weil Familie eben nicht nur Privatvergnügen ist. Die Geburtenraten in Schweden und Frankreich jedenfalls sind deutlich höher als in Deutschland.