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PolitikAsien

"Taliban nicht prinzipiell gegen Mädchenbildung"

31. Januar 2022

Angeblich wollen die Taliban weiterführenden Schulbesuch von Mädchen ermöglichen. Unterricht im westlichen Sinne ist damit aber nicht gemeint.

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Afghanistan Mädchen und Frauen wollen unbedingt wieder zum Unterricht
Schulmädchen in Kabul Bild: ZOHRA BENSEMRA/REUTERS

Von kommendem März an sollen Mädchen und junge Frauen in Afghanistan wieder eine Schule besuchen können. So jedenfalls hat es Sabihullah Mudschahid, der Sprecher der Taliban-Regierung und stellvertretender Kultur- und Informationsminister, angekündigt. Bildung für Mädchen und Frauen sei eine "Kapazitätsfrage", sagte Mudschahid in einem Interview mit AP. "Wir versuchen, diese Probleme bis zum kommenden Jahr zu lösen, damit Schulen und Universitäten eröffnet werden können." Voraussetzung sei, dass die Unterrichtsräume für Jungen und Mädchen vollkommen voneinander abgetrennt seien. Das größte Problem bislang sei es, Wohnheime für Schulmädchen in ausreichender Zahl zu finden. Außerdem reiche es in dicht besiedelten Gebieten nicht aus, nur die Klassenräume zu trennen, dort müsse es für Jungen und Mädchen getrennte Schulgebäude geben. 

Grund für vorsichtigen Optimismus?

Sie schließe nicht aus, dass die Taliban dieses Ansinnen zumindest im Ansatz umsetzten, sagt Ellinor Zeino, bis zum Sommer Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul, das seinen Sitz nach der Machtübernahme der Taliban ins usbekischen Taschkent verlegt hat. Die Taliban-Führung habe von Anfang an erklärt, dass sie nicht prinzipiell gegen Bildung sei, auch nicht gegen Mädchenbildung, so Zeino im DW-Interview.

Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid
"Mädchenunterricht ist Kapazitätsfrage" - Taliban-Sprecher Sabiullah MudschahidBild: Xinhua /imago images

"Allerdings hat sie immer zwei Grundbedingungen gestellt: zum einen die Geschlechtertrennung in den Schulen wie im öffentlichen Leben generell. Und zum anderen beim Blick auf den Lehrstoff: Er muss den religiösen Vorstellungen der Taliban entsprechen." Die entsprechenden Ausführungen seien allerdings sehr vage gehalten. "Und das scheint mir auch der kritische Punkt zu sein: In Zukunft werden Mädchen wohl zur Schule gehen können, die Frage ist nur, was sie dort lernen."

Ebenfalls skeptisch in Bezug auf eine Öffnung der Bildungspolitik unter den Taliban ist Kambiz Ghawami, geschäftsführender Vorsitzender des Deutschen Komitees des World University Service, der sich für Bildung weltweit einsetzt. "Die Taliban haben ja bereits mehrfach verkündet, dass Bildung nicht notwendig sei", so Ghawami im DW-Gespräch. Dementsprechend desolat sei die Bildungssituation, insbesondere für Mädchen und junge Frauen. Er verweist auf den seit Monaten anhaltenden Ausfall der Gehaltzahlungen für Lehrerinnen und Lehrer. Die meisten hätten sich genötigt gesehen, den Schuldienst verlassen und auf andere Weise Geld zu verdienen. "Die Situation der Bildung ist desolat."

Zwänge durch humanitäre Notlage

Zur politischen Umwälzung kommt die Dürreperiode des vergangenen Sommers, die schlimmste seit mehreren Jahrzehnten. Dadurch droht eine Hungersnot, von der nach UN-Schätzungen bis zu 23 Millionen Menschen betroffen sein könnten. Die Notlage habe auch Auswirkungen auf das Bildungssystem, sagt Kambiz Ghawami. Laut einer vor wenigen Tagen veröffentlichten UN-Statistik gingen derzeit acht Millionen Kinder nicht in die Schule, und davon seien nicht nur die Mädchen betroffen, sondern auch die Jungen. Zur Linderung der Not plädiert UN-Generalsekretär Guterres für die Freigabe eingefrorener Guthaben der afghanischen Regierung durch die USA und für die Freigabe von Entwicklungshilfe in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar durch die Weltbank, die bislang von Gebern aus politischen und menschenrechtlichen Erwägungen blockiert sind.

Afghanistan Mädchen und Frauen wollen unbedingt wieder zum Unterricht
Schluss nach der 4. Klasse? Bild: ZOHRA BENSEMRA/REUTERS

Ghawami setzt wenig Hoffnung in eine theoretisch mögliche Verknüpfung von Hilfeleistungen der internationalen Gemeinschaft mit Menschenrechtsforderungen, etwa dem Recht auf Bildung. Dass sich auf diesem Weg ein verbrieftes Recht junger Afghaninnen auf Schulunterricht erreichen lasse, sei unwahrscheinlich, sagt Ghawami. Es könnte zwar sein, dass ein Teil der afghanischen Mädchen irgendwann wieder zur Schule gehen könnte. "Aber das ändert nichts an der Grundsituation in dem Land. Die Taliban werden das nach Möglichkeit zu verhindern suchen."

"Islamischen Kontext stärker berücksichtigen"

Ellinor Zeino plädiert für kleine Schritte, um eine Verbesserung der Bildungssituation für Mädchen zu erreichen. Sie verweist darauf, dass ein erheblicher Anteil der afghanischen Bevölkerung konservativ eingestellt sei und die Vorstellungen der Taliban teile. "Auch während der letzten 20 Jahre war es in den konservativen Provinzen gang und gäbe, dass Mädchen im Alter von zwölf bis 14 Jahren von der Schule genommen werden. Man will sie nicht mehr in die Öffentlichkeit lassen, weil man unter einem gewissen sozialen Druck steht."

Afghanistan Kabul | Wirtschaftskrise | Schlange für kostenloses Brot
Kostenlose Brotverteilung in Kabul - Nahrungsmittelversorgung hat PrioritätBild: Wakil Kohsar/AFP

Zum Schutz von Frauen- und Menschenrechten empfiehlt Zeino darum, islamische Gegenargumente zu suchen und den Taliban nicht das Interpretationsmonopol zu überlassen. "Diesen Ansatz hatten wir von der Adenauer-Stiftung auch vor Ort verfolgt. Menschen- und Frauenrechte lassen sich in Afghanistan nur dann schützen, wenn man in der Lage ist, sie islamisch zu legitimieren oder zu begründen. Auf dieser Grundlage ist dann zu untersuchen, inwiefern sich der islamische Interpretationsspielraum noch verbessern oder ausweiten lässt."

Dieser Ansatz sei während der vergangenen 20 Jahre kaum verfolgt worden. Umso mehr gelte es, aus dem Scheitern der vergangenen Mission die richtigen Schlüsse ziehen, indem man auf einer den Landesverhältnissen angepassten Grundlage diskutiert. "Denn anders erreicht man die Taliban nicht. Sie handeln aus einer Gesinnung heraus. Politisch oder wirtschaftlich lassen sie sich kaum unter Druck setzen. Darum braucht es andere Wege."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika