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Die Frau, die die Autobauer in die Zukunft führt

Dirk Kaufmann
29. November 2019

Die Ära der Autos mit Verbrennungsmotor geht zu Ende, die Autohersteller müssen ihren Platz in einer sich wandelnden Verkehrswelt finden. In dieser schwierigen Lage übernimmt eine Frau den Auto-Dachverband.

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Deutschland | Hildegard Müller wird Chef-Autolobbyistin
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Drei Monate lang hat die deutsche Autobranche nach einem neuen Präsidenten oder einer Präsidentin für ihren Lobbyverband VDA gesucht. Nun ist man fündig geworden. Am Freitag teilte der Verband mit, die frühere CDU-Politikerin und Ex-Strommanagerin Hildegard Müller werde neue Chefin des VDA.   

Die 52 Jahre alte studierte Betriebswirtschaftlerin war bis Oktober Netzchefin des Energiekonzerns Innogy. Von 1998 bis 2002 führte sie die Junge Union. 2005 wurde sie Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Dort galt sie als "rechte Hand" der Kanzlerin und war unter anderem für die Bund-Länder-Beziehungen zuständig.

Autos werden ihre Welt sein: Zumindest weitgehend - wenn Frau Müller im Januar VDA-Präsidentin wird (Archivbild 2013)
Autos werden ihre Welt sein: Zumindest weitgehend - wenn Frau Müller im Januar VDA-Präsidentin wird (Archivbild 2013)Bild: picture-alliance/dpa

Noch nicht ausgestanden: Dieselgate

Beim VDA wartet auf Hildegard Müller sehr viel Arbeit. Die Branche, die sie ab 2020 gegenüber der Öffentlichkeit - und viel wichtiger noch - gegenüber der Politik vertreten wird, steckt in einer Krise und steht vor großen Umbrüchen, die ihr bisheriges Geschäftsmodell grundlegend in Frage stellen.

Den Beginn der aktuellen Glaubwürdigkeits- und Sinnkrise von Deutschlands mächtigstem Industriezweig lässt sich ziemlich genau belegen: Es ist der September 2015, als US-amerikanische Behörden ihre Beobachtungen öffentlich machten, dass Autos der Marke Volkswagen die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte bei Abgasemissionen nicht einhalten können.

Den Autobauer hat sein betrügerisches Verhalten bislang bereits geschätzte 30 Milliarden Euro gekostet. Auch fast alle anderen großen deutschen Automobilhersteller haben mittlerweile eigene, allerdings weniger spektakuläre und weniger teure Abgastricks zugeben müssen.

Obwohl der Absatz erstaunlicherweise nur wenig gelitten hat, ist der Vertrauensverlust doch gewaltig, der Imageschaden beträchtlich. Dieses vergiftete Klima erschwert die Lobbyarbeit für den VDA in Berlin, aber auch in Brüssel. Die neue Verbandsleitung wird es schwer haben, ihren über Jahrzehnte erlangten Einfluss auf die Gesetzgeber nicht einzubüßen.

Deutschland Stau auf der Autobahn
Den Stau auflösen. Das wäre doch schon was. Bild: Imago/imagebroker/H. Meyer zur Capellen

E-Autos: Billiger und sehr viel einfacher

Ein weiteres Ergebnis des Abgasbetruges ist die Entscheidung, sich unabhängiger von der Verbrennung fossiler Energieträger zu machen. Bei einem immer weiter zunehmenden Umweltbewusstsein weiter Bevölkerungskreise kommt alternativen Antriebsmethoden eine wachsende Bedeutung zu.

Auch wegen gesetzlicher Anforderungen, den Anteil emissionsfreier Autos in der Angebotspalette zu steigern, versuchen alle Anbieter, die Zahl ihrer Elektrofahrzeuge in relativ kurzer Zeit zu steigern. Volkswagen etwa will in den kommenden Jahren 70 mit Strom betriebene Modelle anbieten.

Allen Beteiligten ist aber bereits klar: Die Produktion von Elektroautos ist wesentlich einfacher und billiger als der Bau herkömmlicher Autos. Vor allem braucht man dazu erheblich weniger Personal.

Deutschland Stuttgart vollautonomes Parkhaus | Kooperation Bosch & Mercedes-Benz
Autos ohne Fahrer - wenn die zum Regelfall im Verkehr werden, wird's eng für Mercedes, VW, BMW und Co

Arbeiter werden geschult oder entlassen

Der bisherige VDA-Präsident Bernhard Mattes nannte einer Zeitung folgende Einschätzung: "Wir gehen davon aus, dass etwa 70.000 Stellen wegfallen". Außerdem müssten die Mitarbeiter für den Bau der neuen E-Autos schon jetzt qualifiziert werden, und "nicht erst, wenn die E-Mobilität einen hohen Anteil erreicht". Andere, wie das Center of Automotive Research kommen zu der Einschätzung, bei Herstellern und Zulieferern könnten bis 2030 rund 234.000 Stellen wegfallen.

Die Autohersteller und ihre Zulieferer sind bei Zahlen zum Stellenabbau zurückhaltend. Doch ist auch ihnen klar, dass beim Umbau auf die Produktion von E-Autos viele Jobs wegfallen werden. Mercedes, BMW und Audi haben bereits mitgeteilt, in den kommenden Jahren tausende Stellen einsparen zu wollen. 

Noch ist Widerstand bei den Betroffenen nicht zu beobachten. Aktionen wie in Schweinfurt in der vergangenen Woche, sind noch die Ausnahme. Dort hatten am Mittwoch 3000 bis 3500 Mitarbeiter von Autozulieferern unter dem Motto "Sicherheit in unsicheren Zeiten" für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert.

VW und die Batterien

Volkswagen setzt bei der E-Mobilität in großem Maß auf Batterien als Stromspeicher im Auto. Das ist nicht unumstritten, weil weitere alternative Antriebsarten - wie etwa die Brennstoffzelle - für die Niedersachsen gar nicht mehr erforschenswert zu sein scheinen. Außerdem könnte die Batteriezellenproduktion in Deutschland die Bedürfnisse dieses einen Autobauers kaum befriedigen.

Auch die von Wirtschaftsminister Peter Altmaier in Aussicht gestellten Investitionen für Forschung und Ausbau einer deutschen Batteriezellenproduktion würden daran nicht sofort etwas ändern.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet versteht man umso besser die Begeisterung, die sich mit der Meldung breitmachte, der US-E-Autobauer Tesla wolle ein Werk in Brandenburg errichten. Obwohl auch hier gälte: Das Knowhow zur Herstellung von Batterien und die Wertschöpfung bei Bau und Verkauf von Tesla dort hergestellter Batterien und Autos "Made in Germany" käme Deutschland nur indirekt zugute.

Linienbetrieb autonom fahrender Busse in Monheim
Busse ohne Auspuff und ohne Fahrer. Die Mobilitäts-Evolution nimmt langsam Fahrt aufBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Wenn nicht mehr jeder ein eigenes Auto braucht ...

Noch eine andere Zukunftsvision bedroht die Existenz der deutschen Autoindustrie als Volumenhersteller: Die digitale Zukunft des Verkehrs. Schon heute führt die schiere Masse an Autos in Deutschland zur Perversion des Begriffes "Individualverkehr". Zu viele Autos verstopfen Straßen und Autobahnen und machen das Leben in den Städten immer lauter, schmutziger und gesundheitsgefährdender. Statt mit dem Auto zu fahren wird immer mehr im Auto sitzend gestanden.

Sollte sich das autonome Fahren in der mittleren Zukunft durchsetzen, wird das die Zahl von Autoverkäufen drastisch reduzieren: Warum solle sich jemand ein Auto kaufen, dass er gar nicht mehr selbst fahren muss - oder darf oder kann. Wird er oder sie sich dann nicht lieber in ein Taxi setzen, sich ein autonomes Auto mit anderen teilen?

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, versprechen die deutschen Hersteller schon seit Jahren, sich von reinen Autobauern zu "Mobilitätsdienstleistern" zu wandeln. Zu merken ist davon noch nichts. Das wäre tatsächlich eine besondere Herausforderung für den Branchenverband, der sich dabei auch gleich selbst neu erfinden müsste.

Der VDA und sein Hochamt

"Sich neu erfinden" gilt auch für den VDA. Schon die bisherige Verbandsspitze hat dies erkannt. Sichtbares Indiz dafür ist die alle zwei Jahre stattfindende Messe IAA. Sie fand jahrzehntelang in Frankfurt statt, wo die Industrie ihr hochglanzpoliertes PS-Hochamt vor den Augen von Hunderttausenden feierte.

Das ist nun vorbei: Der VDA hat die Ausrichtung der Messe ausgeschrieben und den potentiellen Ausrichtern bislang unerhörte Vorgaben gemacht: Der Verband fordert für die neue Messe Teststrecken und Parcours. Besucher sollen dort automatisiert fahrende Autos mit alternativen Antrieben oder neue Mobilitätsangebote erleben können. Auch Verkaufsausstellungen mit Show-Elementen sollen ermöglicht werden.

"Die IAA wird keine reine Autoshow mehr sein, sondern eine Mobilitätsplattform. Sie wird auch raus aus den Messehallen und in die Städte gehen", hat der scheidende VDA-Präsident Bernhard Mattes erklärt.

Der Zuschlag soll im ersten Quartal kommenden Jahres erteilt werden, teilte der VDA noch mit. Also wird es Hildegard Müller sein, die den neuen Ausrichter der IAA bekannt gibt. Das könnte Stuttgart sein, oder Köln, Hamburg, Berlin - offenbar gibt es viele interessierte Bewerber.

Besonders gefragt: Integrationsfähigkeit

Die Aufgaben, denen sich Hildegard Müller als neue Präsidentin des VDA gegenübersieht, sind vielfältig und sehr anspruchsvoll. Laut Verbandsangaben sind rund 800.000 Menschen in Deutschland direkt oder indirekt an Herstellung und Verkauf von Autos beteiligt. Diese Anzahl von Arbeitsplätzen allein verleiht dem Lobbyverband VDA eine große Bedeutung. Die wichtige Rolle, die die Autoindustrie beim Export deutsche Güter spielt, tut dabei ein Übriges.

In ihrer bisherigen Laufbahn hat sich Hildegard Müller den Ruf als ein sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft gut vernetzte Strippenzieherin erworben. Das wird sie in Zukunft auch brauchen können - eher dringender noch als bisher.

Dass Müller auch weit entfernte Extreme miteinander vereinen kann, hat sie im Privatleben bewiesen. Die ehemalige Bundesvorsitzende der Parteijugend der CDU wurde nämlich 1967 in Rheine geboren. Das liegt im nördlichen Münsterland, einer Gegend, in der die Menschen eher als zurückhaltend und verschlossen gelten.

Hildegard Müller ist aber dafür bekannt, gern und engagiert Karneval zu feiern. Und wer Karneval im Münsterland zu feiern versteht, muss schon von Natur aus mit einem ausgeprägten integrativen Talent gesegnet sein.