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PolitikEuropa

EU will sich von russischer Energie lösen

Barbara Wesel
8. März 2022

Die EU will sich aus der Abhängigkeit von russischen Energieimporten befreien. Die Kommission beschleunigt ihre Pläne für mehr erneuerbare Energie und andere Lieferländer. Mitgliedsstaaten warnen vor einem Embargo.

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Erdölraffinerie im brandenburgischen Schwedt
Erdölraffinerie im brandenburgischen SchwedtBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/picture alliance

Während die USA einen Importstopp für russisches Öl verhängen, macht die EU mittelfristige Pläne. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigt zwar: "Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland befreien". Aber klar ist, dass diese Maßnahmen nicht sofort wirken oder kurzfristig umsetzbar sind. Ein neuer Rahmenplan für die Zukunft der Energie in Europa war in Brüssel längst in Vorbereitung - jetzt kommt er wegen des Krieges in der Ukraine beschleunigt auf den Tisch. 

"REPower EU" (in etwa: Europas Energieversorgung auf neue Grundlagen stellen) lautet der Titel des Programms, über das die EU-Regierungschefs schon Ende dieser Woche bei ihrem Gipfeltreffen beraten sollen. "Deutlich vor 2030" soll die EU von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig werden und gemeinsam sichere, bezahlbare und nachhaltige Energieträger entwickeln, wird angekündigt. Gleichzeitig müssen Antworten auf die steigenden Energiepreise für Verbraucher gefunden und die Gasvorräte für den nächsten Winter wieder aufgefüllt werden.

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Wegen des Krieges gegen die Ukraine werden Rufe nach einem Energie-Importstopp gegen Russland lautBild: Marc Vorwerk/SULUPRESS.DE/picture alliance

All dies sollte sowieso in Angriff genommen werden, um das Klimaziel für 2050 zu erreichen. Jetzt muss es sehr viel schneller gehen - und darin liegt das größte Problem: Denn es ist klar, dass sofortige Energie-Sanktionen gegen Russland unter den Europäern derzeit als Mittel der allerletzten Wahl gelten. Zu sehr hängen europäische Volkswirtschaften von russischem Brennstoff ab: Der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkov etwa warnte davor, sein Land beziehe seine gesamte Energie aus Russland und könne sich einen Ausstieg nicht leisten.

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Windfarmen und Wasserstoff-Anlagen sollen sollen beim schnellen Energie-Wechsel in der EU helfen Bild: Erich Malter/Siemens AG

Und Bundeskanzler Olaf Scholz glaubt, auch das reichste EU-Mitgliedsland schaffe das nicht: Man könne die Versorgung derzeit nicht anders sichern, die Energie sei "bewusst" von den Russland-Sanktionen der EU ausgenommen worden, sagte er nach einer Videokonferenz mit US-Präsident Joe Biden. Außenminister Anthony Blinken dagegen erklärte: "Es gibt eine Notwenigkeit und eine Chance, dass europäische Länder sich von der Abhängigkeit von russischer Energie lösen."

Was steht im Plan?

Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans verbreitet Optimismus: Bis Ende des Jahres will er zwei Drittel der russischen Erdgasimporte durch andere Arten von Gas ersetzen. "Es wird verdammt hart, aber es ist machbar", beschwört er. Die Kommission schlägt zu dem Zweck ein Bündel von Maßnahmen vor.

Mehr saubere Energie: Die Landwirtschaft soll mehr Biogas erzeugen, der Import von Flüssiggas (LNG) drastisch erhöht und es sollen neue Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff errichtet werden. Außerdem müsse die EU "die Revolution für saubere Energie beschleunigen", sagt Timmermans. Dazu gehöre etwa, dass Genehmigungen für Windkraftanlagen schneller erteilt und Solarzellen sowie Wärmepumpen unbürokratisch gefördert werden sollten. Die lange beschworene Gebäudesanierung müsse vorankommen und auch das Verhalten der Verbraucher könne eine Rolle spielen: Wenn die Bürger ihre Heizungen um ein Grad niedriger einstellen würden, könnten pro Jahr zehn Milliarden Kubikmeter Gas gespart werden. "Wir müssen uns schnell von Russland frei machen und wir können das auch schnell schaffen", sagt der Kommissionsvize.

Bessere Konnektivität der Netze: Zu den Plänen gehört, die Verbindungen zwischen den EU-Mitgliedsländern zu verbessern und die Stromnetze zu synchronisieren. Bisher scheiterten Pläne zur Gasdurchleitung etwa an verschiedenen Rohrsystemen und komplexen technischen Problemen, weil die Netze nicht aufeinander abgestimmt oder nur für bestimmte Arten von Erdgas tauglich sind.

Versorgungssicherheit: Eine EU-Notfallplanung soll Versorgungssicherheit gewährleisten. Länder etwa, die keine eigenen Gasspeicher haben, sollen von zentralen Speichern versorgt werden, wenn es zu internationalen Engpässen kommt. Neue EU-Regeln werden vorgeschlagen, die für einen fairen Ausgleich von Ressourcen und Preisausgleich sowie die Möglichkeit des zentralen Einkaufs sorgen.

Preissprünge auffangen: Gleichzeitig betont die Kommission, dass die Verbraucher vor extremen Preissprüngen bei der Energieversorgung geschützt werden müssten. Das gelte sowohl für schutzbedürftige Bürger als auch für kleine Unternehmen. Sie gibt damit den Mitgliedsländern die Möglichkeit zur Preisregulierung und regt an, dass die Staaten etwa Steuern auf Marktlagengewinne der Energieunternehmen erheben könnten, um sie an die Verbraucher umzuverteilen. Insgesamt fliegen die üblichen Marktregeln in der EU bei der Energieversorgung zunächst aus dem Fenster. 

Vorbereitung auf den Winter: Alle Experten sind sich einig, dass die EU derzeit mit ihren Vorräten beim Energiebedarf durch den Sommer kommt. Das Problem liegt bei der Vorbereitung auf den nächsten Winter, wenn der Verbrauch wieder drastisch ansteigt. Die Kommission schlägt eine Regel vor, dass die Gasspeicher in Europa im Sommer bis auf 90 Prozent ihrer Kapazität gefüllt werden müssten. Anlagen zur Gasspeicherung sollen zur "kritischen Infrastruktur" erklärt werden und Solidaritätsmechanismen helfen, bis ein neues Gesetzespaket für klare Regeln sorgen werde.

Es bleiben viele technische und politische Probleme

Experten sehen Gefahren für extreme Marktrisiken, wenn etwa im Sommer die Gasspeicher gefüllt werden müssen. "700 Terawatt Gas für die EU würden derzeit 70 Milliarden Euro kosten, verglichen mit 12 Milliarden im Vorjahr" hat das Forschungsinstitut Bruegel jetzt errechnet. Und ohne russisches Gas werde das sowieso nicht möglich sein. Auch bei der geplanten Erhöhung von Flüssiggas-Importen sehen die Forscher Probleme: Spanien etwa habe ziemlich viele der dafür nötigen LNG-Terminals, eine früher geplante Pipeline nach Frankreich aber sei noch nicht gebaut worden. Die Situation in den Mitgliedsländern ist extrem unterschiedlich, weil die Energieversorgung in nationaler Hand liegt.

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Nord Stream 2 gilt inzwischen als energiepolitischer Fehlschlag der letzten BundesregierungBild: Hannibal Hanschke/REUTERS

Und schon zu Beginn des vergangenen Winters waren Pläne zum gemeinsamem Ankauf von Energie schnell wieder in den Schubladen verschwunden, denn die Mitgliedsländer haben verschiedene Vertragspartner, teilweise langfristige Lieferverträge und hätten bisher individuell an den Märkten nach den jeweils günstigsten Bedingungen gesucht. Allein eine stärkere Koordination in diesem Bereich dürfte extrem schwierig werden.

Die EU bezieht insgesamt 60 Prozent ihrer Energieträger aus Russland und ist damit auf gefährliche Weise von diesen Importen abhängig. "Ich habe schon lange davor gewarnt", sagt Vizepräsident Frans Timmermans, aber leider könne er nicht die Geschichte zurückdrehen und jetzt müsse die EU die Karten spielen, die sie in der Hand hält. Deutschland gehörte hier über Jahre zu den großen Bremsern. Jetzt wird die Bundesregierung bei der Suche nach neuen Lösungen helfen müssen.