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GesellschaftDeutschland

Keine Putin-Tattoos in deutschem Hospiz

14. September 2022

Ein kurioses Video verbreitet sich auf Telegram und Twitter: Hospiz-Bewohner lassen sich angeblich Tattoos von Wladimir Putin stechen, um ihn als "lebende Voodoo-Puppen" mit in den Tod zu nehmen. Das Ganze ist ein Fake.

https://p.dw.com/p/4Gogz
Screenshots aus einem Fake-Video: Bunter Zusammenschnitt aus älteren Videos (Screenshot: DW, Quellen: Telegram und Twitter)
Screenshots aus einem Fake-Video: Bunter Zusammenschnitt aus älteren VideosBild: Quelle: Screenshots Twitter/Telegram

Ein älterer Mann mit Bart, Brille und Glatze sitzt in seinem Sessel und schaut sich Fotos an. Er wird im Video als "Horst Bauer" vorgestellt. Dann sticht er Tattoos in seinem bunt dekorierten Tattoostudio. Dazwischen Sequenzen von einem deutschen Hospiz und deren angeblichen Bewohnern, die sich - Achtung - gerade kostenlos Tattoos von Wladimir Putin, Sergei Lawrow und weiteren russischen Politikern stechen lassen. Wie bitte?

Ja, genau das wird in einem englischsprachigen Video behauptet, das aktuell auf Telegram (hier archiviert) und Twitter (hier archiviert) zirkuliert und bereits zehntausende Mal angesehen wurde. Der einminütige Clip ist im Stile eines DW-Videos designt und soll den Eindruck erwecken, es sei eine Produktion von Deutschlands Auslandssender. Tatsächlich ist das Video ein Fake - und zwar ein besonders absurder.

Behauptung: Hospiz-Bewohner würden sich angeblich Tattoos von russischen Politikern stechen, um "als lebende Voodoo-Puppen" die russischen Führer "Putin, Medwedew, Schoigu, Lawrow und Kadyrow mit in den Tod zu nehmen".

DW Faktencheck: Falsch.

Der Inhalt des Videos ist frei erfunden, es stammt nicht von der DW und es wurde aus mehreren älteren Videos zusammengestellt. So zeigt eine Sequenz (ab Sekunde 20) - wie wir per Bilderrückwärtssuche entdecken konnten - beispielsweise keinen Hospiz-Bewohner, sondern einen Rekordhalter aus dem Guinness-Buch der Rekorde: Jack Reynolds aus dem britischen Derbyshire ließ sich 2016 als 104-Jähriger ein Tattoo stechen und wurde damit die älteste bekannte tätowierte Person. 2020 verstarb Reynolds und kann somit kein Bewohner des im Video erwähnten deutschen Hospizes in Dülmen sein.

Hospiz in Dülmen schaltet Polizei ein

Dort erfuhr man erst durch eine DW-Anfrage von dem Video und zeigte sich entsetzt: "Eine gezielte Falschinformation", so Stephan Chilla, Vorstand der Heilig-Geist-Stiftung in Dülmen, Trägergesellschaft des Hospizes Anna Katharina. "Zu keiner Zeit haben sich Hospizbewohner bei uns Tattoos stechen lasen, das ist absurd." Das Video sei "eine bodenlose Frechheit und Respektlosigkeit sowohl unseren Bewohnern als auch unserem Personal gegenüber." Die Heilig-Geist-Stiftung stellte Strafantrag bei der Polizei gegen Unbekannt. Tatsächlich stammen die Videosequenzen, die das Hospiz Anna Katharina in Dülmen zeigen, aus einem Video von 2017, in dem die Einrichtung vorgestellt wird. Es handelt sich also mitnichten um einen aktuellen Dreh im Hospiz.

Und auch die Bilder vom angeblichen Tätowierer "Horst Bauer" sind nicht aktuell. Und sie zeigen auch nicht "Horst Bauer", sondern den bekannten Tätowierer Doc Price aus dem britischen Plymouth, den nach eigenen Angaben ältesten Tätowierer der Welt: Bei der Recherche nach den verwendeten Sequenzen stoßen wir nach längerem Suchen über Suchbegriffe wie "old tattoo artist" auf Youtube auf eine Dokumentation von Mai 2021, die Price in seinem Tattoostudio zeigt. Viele Abschnitte aus diesem Video erkennt man in dem Fake-DW-Video schnell wieder. Das auf Telegram und Twitter verbreitete Video ist also ein bunter Remix aus älteren Videos und keine der Behauptungen darin ist haltbar.

Täuschend echt - mit kleinen Fehlern

Faktencheck Screenshot Video Dülmen DE
Wir haben das Original-Video-Template der DW über das Fake-Video gelegt und so werden leichte Abweichungen deutlich. Neben der Position vor allem bei der Schriftart der Ortsmarken.

Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Darstellung des Videos gibt es einige Auffälligkeiten. Zwar ähnelt das Fake-Video stark den echten DW-Videos, doch im Detail erkennt man Fehler beim Kopieren des DW-Video-Templates: Der vierzeilige Text und der sprachliche Stil stimmen nicht mit dem Styleguide der DW überein. Die Platzierung des Texts und des DW-Logos im Video weichen ebenfalls leicht ab, beide sind etwas zu weit links positioniert. Die Ortsmarke "Germany, Dülmen", die zu Beginn des Videos zu sehen ist, enthält eine falsche Schriftart und auch das Design weicht ab.

Auffällig sind auch sehr viele Grammatik- und Rechtschreibfehler. Zum Beispiel wird in dem englischsprachigen Videotext das deutsche Wort "Hospiz" statt des englischen Wortes "hospice" verwendet. Es sind also Details, die das Video auch formal als Fake entlarven. Auf den ersten Eindruck hielten allerdings viele Social-Media-Nutzer das Video für echt und kontaktierten die DW mit Fragen zu dem Video.

"Spoofing" als neue Form der Desinformation

Ein Fake-DW-Video berichtet über einen erfundenen Kriminalfall. Ein Screenshot zeigt den angeblichen Täter im Video (Screenshot: Twitter)
Ein anderes Fake-DW-Video berichtet über einen erfundenen Kriminalfall

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Fake-DW-Video im Internet kursiert: Im Juni hatte ein japanischsprachiger Twitter-Account, der schwerpunktmäßig den Krieg in der Ukraine kommentiert, ein angebliches DW-Video geteilt (hier archiviert), das über einen kriminellen Flüchtling aus der Ukraine berichtet. Unser Faktencheck zeigt: Die Story ist ausgedacht, das Video ist ein Fake sowie ein Fall von "Spoofing", also eine Vortäuschung einer anderen Identität. Dieses Mal scheint der Fake deutlich erfolgreicher zu sein: Allein ein Telegram-Post mit dem Hospiz-Video erreichte mehr als 25.000 Nutzer, dazu kamen viele weitere Retweets und Shares. Ähnliches passierte unter anderem auch der britischen BBC mit einem Fake-Video zum Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Kramatorsk. Und eine Reihe von prorussischen Fake-Webseiten, die deutschen Nachrichtenportalen ähnelten, sorgten kürzlich in Deutschland für Aufsehen. 

Experten sehen klare Anhaltspunkte dafür, dass die Spuren der Fake-Produktionen nach Russland führen. Josephine Lukito, Professorin an der School of Journalism and Media an der University of Texas in Austin, sieht "professionelle Strukturen" hinter den Fake-Videos. Viele der prorussischen Desinformationen könnten der Internet Research Agency (IRA) zugeordnet werden, einer russischen Trollfabrik, die seit 2012 aktiv ist. "Das langfristige Ziel dieser von Russland ausgehenden Desinformation ist es, Misstrauen ins Mediensystem zu säen", so Lukito. Dabei werde gezielt auch die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenmedien für die eigenen Zwecke ausgenutzt. Dies sei ein noch relativ neues Phänomen der Desinformation, bei dem angeblich seriöse Nachrichten unter falscher Flagge veröffentlicht werden. Experten warnen angesichts der sich verschärfenden Energiekrise vor einer intensivierten russischen Desinformations-Kampagne im Herbst. Es könnte also nicht das letzte Fake-Video sein, das durch das Netz geistert...

Wie man Russlands Propaganda durchschaut