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Schadet Klimaschutz dem Wirtschaftswachstum?

Robert Mudge
2. Juli 2021

Die Annahme ist weit verbreitet: Klimaschutzmaßnahmen sind kostspielig und bremsen die Wirtschaft aus. Auf der anderen Seite geht der wirtschaftliche Schaden durch den Klimawandel in die Billionen.

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Faktencheck Serie Klimamythen | Wirtschaft
Bild: Marc Löricke/DW

"It's the economy, stupid", zu Deutsch: "Es ist die Wirtschaft, Dummkopf." Dieser Spruch wurde von James Carville geprägt, einem Polit-Strategen des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton im erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf gegen George Bush Senior 1992. Heutzutage würde jeder Politikberater, der etwas auf sich hält, dafür sorgen, dass seine Kandidaten bei jeder Gelegenheit "It's the environment, stupid" - es geht um die Umwelt - als Wahlkampfslogan raushauen.

Doch schließt sich beides gegenseitig aus oder sind Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zwei Seiten derselben Medaille?

Die ersten umfassenden Regeln zum Umweltschutz stammen aus den 1970er Jahren. Seitdem tobt eine Debatte über ihre potenziell schädlichen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit: Einer gängigen Auffassung zufolge haben Länder, die sich weniger streng mit Umweltpolitik befassen, einen Produktions- und Handelsvorteil gegenüber jenen Nationen, die Maßnahmen zur Emissionsreduktion ergreifen. Die Sorge in diesen Ländern ist, dass ihre eigenen emissionsintensiven Industrien einen Wettbewerbsnachteil erleiden.

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Diese sogenannte "Pollution Haven"-Hypothese sagt voraus: Wenn konkurrierende Unternehmen sich nur hinsichtlich der Strenge der Umweltauflagen unterscheiden, verlieren diejenigen an Wettbewerbsfähigkeit, die an strengere Maßnahmen gebunden sind.

Im Gegensatz dazu kommt die sogenannte Porter-Hypothese zu dem Schluss, dass strengere Klimaschutzmaßnahmen zu mehr Anstrengungen führen müssten, neue umweltschonende Technologien zu entwickeln. Wenn diese Technologien zu Energieeinsparungen führen, können sie wiederum helfen, einen Teil der Klimaschutzkosten zu kompensieren.

Ist das BIP der einzig gültige Indikator?

Auf den ersten Blick ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messinstrument die offensichtliche Wahl, um eine Kosten-Nutzen-Analyse zu erstellen. Die Frage ist jedoch, inwieweit es Wachstum und Wohlstand widerspiegeln kann.

"Es ist der am weitesten entwickelte Indikator. Ich würde nicht sagen, dass man davon abgehen soll", sagt Wilfried Rickels, Direktor des Forschungszentrums "Global Commons und Klimapolitik" am Kieler Institut für Weltwirtschaft, der DW. Rickels schränkt aber ein, dass viele der Schäden, die mit dem Klimawandel verbunden sind, in der Kennzahl nicht erfasst werden. "Wir haben als Weltgesellschaft beispielsweise Kosten durch verlorene Biodiversität, die sich nicht unmittelbar im BIP niederschlagen."

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Eine Analyse der privaten, in den USA ansässigen Organisation "Nationales Büro für Wirtschaftsforschung" zeigt, dass ein durchschnittlicher globaler Temperaturanstieg von 0,04 Grad Celsius pro Jahr das globale BIP ohne Gegenmaßnahmen bis zum Jahr 2100 um 7,22 Prozent reduzieren könnte. Wenn sich die Länder jedoch an das Pariser Abkommen halten und den Temperaturanstieg auf 0,01 Grad Celsius pro Jahr begrenzen, reduziert sich der BIP-Verlust auf 1,07 Prozent.

"Darum hat man irgendwann im Paris Klimaabkommen gesagt: 'Wir setzen eine fixe Grenze.' Das kann man sich so vorstellen, wie wenn man auf einen Abhang zuläuft, der im Nebel liegt. Irgendwann müssen Sie sagen: 'Halt, ab jetzt gehe ich nicht mehr weiter!'", sagt Rickels.

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Laut der "Koalition für klimaresistente Investitionen", einem Zusammenschluss von Unternehmen, Regierungen und multilateralen Organisationen, könnten die finanziellen Verluste bis zum Jahr 2100 bis zu 69 Billionen US-Dollar (58 Billionen Euro) betragen, wenn nichts gegen die Auswirkungen des Klimawandels unternommen wird.

Können Wirtschaftswachstum und Klimaschutz Hand in Hand gehen?

Das hängt von der Perspektive ab. Vor zwanzig Jahren war es Konsens, dass es verrückt sei, in Solarenergie zu investieren - wegen der enormen Kosten. Doch im Nachhinein hat sich diese Investition bezahlt gemacht, nicht zuletzt weil durch die Entwicklung neuer und innovativer Technologien neue Arbeitsplätze entstanden sind und die Energiekosten gesenkt werden konnten, was wiederum der Wirtschaft zugutekommt.

"Jetzt ist es eine Technologie, die auch in Ländern eingesetzt wird, die nicht unbedingt Klimapolitik betreiben, weil sie die billigste Energiequelle ist", sagt Professor Karsten Neuhoff, der die Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) leitet, der DW.

Das gleiche Denken könnte in punkto Energieeffizienz angewendet werden. "Heutzutage möchte jeder in einem gut gedämmten Gebäude leben, während vor zwei Jahrzehnten jeder sagte, es sei verrückt, das zu haben. Auch hier handelt es sich also um eine Veränderung, die Anstrengungen erfordert, aber letztendlich wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt", so Neuhoff.

Ein elitärer Gedanke?

Kritiker weisen darauf hin, dass dies zwar für reiche Industrieländer gelten mag, aber für ärmere Länder, die sich sehr oft zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum entscheiden müssen, sieht es ganz anders aus.

"Gerade Länder, die noch sehr arm sind, also ein sehr geringes Pro-Kopf-Einkommen haben, denken nicht so weit in die Zukunft", sagt der Kieler Forscher Rickels. "Die haben noch den primären Anreiz jetzt zu wachsen, und weniger Interesse an langfristigen klimapolitischen Maßnahmen."

Umweltschutz trägt selbst zum Wirtschaftswachstum bei

Es bleiben Befürchtungen, dass - zumindest kurzfristig - Arbeitsplätze in verschiedenen Wirtschaftssektoren verloren gehen und nur wenige neue geschaffen werden. Ein OECD-Bericht stellt jedoch fest, dass es wichtig ist, zwischen den verschiedenen Sektoren zu unterscheiden. Die meisten Arbeitsplätze werden in den nächsten zwei Jahrzehnten im Baugewerbe, in der erneuerbaren Energieerzeugung und im Dienstleistungssektor geschaffen. Mit Arbeitsplatzverlusten ist im verarbeitenden Gewerbe, in der Landwirtschaft, der Lebensmittelproduktion und der Energieerzeugung auf Basis fossiler Brennstoffe zu rechnen.

Die übergeordnete Frage ist, wie ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichem Wachstum und der Reduzierung von CO2-Emissionen und letztlich dem Erreichen von Klimaneutralität erreicht werden kann. Auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos wies Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, auf diesen Widerspruch hin. "Es ist schwierig zu sehen, ob das derzeitige BIP-basierte Modell des Wirtschaftswachstums mit einer schnellen Reduzierung der Emissionen einhergehen kann", sagte er.

Infografik Karte Import Export CO2 DE

Das Konzept der Klimaneutralität, also CO2-Emissionen auf ein Minimum zu reduzieren und die verbleibenden Emissionen durch Klimaschutzmaßnahmen auszugleichen, findet mehr Akzeptanz weil das Verständnis wächst, dass es erstrebenswert ist, Energie ohne fossile Brennstoffe zu erzeugen. Derzeit gibt es fünf kohlenstoffintensive Sektoren - Verkehr, Heizung, Bergbau, Landwirtschaft und Industrie - in denen eine Umstellung auf Klimaneutralität wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll wäre.

Für den Wechsel brauche es einen enormen Aufwand, sagt Professor Neuhoff vom DIW Berlin. "Es erfordert eine Akzeptanz von Windkrafträdern oder Solarzellen. All das ist ein Aufwand für eine Gesellschaft, aber letztlich hat es keine großen wirtschaftlichen Kosten, wenn es gut gemacht wird."

Windkraftanlage bei Sonnenaufgang im Nebel
Fotos mit Windrädern können ästhetisch sein - doch nicht überall werden die Anlagen von der Bevölkerung akzeptiertBild: picture-alliance/chromorange/S. Finger

Ein wichtiger Indikator dafür, wie gut die Umweltpolitik eines Landes funktioniert, ist der Environmental Performance Index (EPI), ein datengestütztes Instrument, das den Zustand der Nachhaltigkeit bewertet. Die Ergebnisse für 2020 zeigen, dass ein positives Abschneiden eng mit dem wirtschaftlichen Wohlstand (Pro-Kopf-BIP) verbunden ist. Länder, in denen die Wirtschaft floriert, wie Norwegen, Großbritannien oder die Schweiz können in eine Klimaschutzpolitik investieren, die für sie zu einer Win-Win-Situation für Wirtschaft und Umwelt führt.

Maßnahmen gegen den Klimawandel werden letztlich das Wirtschaftswachstum ankurbeln, da auch neue Technologien ins Spiel kommen, die neue Arbeitsfelder schaffen. Die derzeit verfügbaren Daten legen nahe, dass Länder nicht die Nachhaltigkeit für ihre wirtschaftliche Sicherheit opfern müssen oder umgekehrt.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der die DW Mythen zum Klimawandel einem Faktencheck unterzieht.

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Adaptiert aus dem Englischen von Uta Steinwehr

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