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Politik

Feindeslisten - Im Visier der Rechtsextremen

Ruth Krause
4. November 2019

Nicht nur Cem Özedemir und Claudia Roth - in Deutschland stehen Tausende Menschen auf sogenannten Feindes- oder Todeslisten von Rechtsextremen. Doch nicht immer werden die Betroffenen von den Behörden informiert.

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Archivbild | Kiel | Sichergestellte Waffen und ein Schild der kriminellen Neonazi-Gruppe «Combat 18»
Sichergestellte Waffen und ein Schild der kriminellen Neonazi-Gruppe "Combat 18"Bild: picture-alliance/dpa/H. Pfeiffer

Die Drohungen gegen die Grünenpolitiker Cem Özdemir und Claudia Roth sind nur das jüngste Beispiel. Die Zeitungen der Funke-Mediengruppe hatten berichtet, eine Gruppe namens "Atomwaffen Division Deutschland" habe den beiden Politikern in einer E-Mail mit dem Tod gedroht. Einem Sprecher des Bundesinnenministeriums zufolge stammt die rechtsextreme Gruppe ursprünglich aus den USA und wird dort für fünf Morde verantwortlich gemacht. In Deutschland fiel sie den Behörden erstmals im Juni 2018 auf.

Doch so schlimm es klingt, an Morddrohungen haben sich manche Personen des öffentlichen Lebens in Deutschland schon gewöhnt. Ruben Neugebauer gehört dazu. Er arbeitet für die Organisation "Sea-Watch", die Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet und nach Europa bringt. Damit macht er sich nicht nur Freunde.

"Wir bekommen seit Jahren Morddrohungen, auch konkrete Morddrohungen, das ist etwas, womit wir leben", sagte er im August der DW. Dass sein Name auf rechtsextremen Feindeslisten auftaucht, wundert ihn daher nicht.

Sichtlich schockiert war damals aber Mark Heinrich*. Er steht auf derselben Feindesliste wie Ruben Neugebauer. Das erfuhr er aber nicht etwa von der Polizei, sondern von der Deutschen Welle. Er war vollkommen vor den Kopf gestoßen. "Spontan denke ich jetzt schon: Muss ich das Pfefferspray einpacken oder mich anderweitig schützen?" 

Mark Heinrich ist Lehrer, bisher hatte er wenig mit Rechtsextremen zu tun. Aber auf seinem Blog bezog er klar Stellung gegen die rechtspopulistische AfD und bekam daraufhin Hassnachrichten. Dies könnte der Grund sein, warum er nun als Feind gelistet wird, vermutet Heinrich. Seinen echten Namen möchte er nicht veröffentlichen – aus Angst, noch mehr zur Zielscheibe zu werden.

Ruben Neugebauer, Seawatch
Ruben Neugebauer von Sea-Watch bekommt seit langem MorddrohungenBild: seawatch.org

Ziel: Angst und Schrecken

Der Politologe Hajo Funke forscht seit vielen Jahren zu Rechtsextremismus. Die Verfasser solcher Listen verfolgen laut Funke gleich mehrere Ziele. "Was sie damit natürlich betreiben, ist Angst und Schrecken zu verbreiten, zumindest der Absicht nach", so Funke. Die Listen könnten dazu dienen, in einen "konkreten gefährdeten Bereich" vorzustoßen, wie im Fall Walter Lübcke.

Der CDU-Landtagsabgeordnete und Regierungspräsident vom Bezirk Kassel stand auf einer solchen Feindesliste und wurde im Juni von einem vermutlich rechtsextremen Täter erschossen. Laut Funke könnten die Listen aber auch eine Vorbereitung für den sogenannten "Tag X" sein - "den Tag, an dem Rechtsextreme hoffen, die Macht zu übernehmen. Dann sollen die Listen dazu dienen, Personen ausfindig zu machen und festzusetzen".

Die Liste, auf der Mark Heinrich und Ruben Neugebauer stehen, trägt den Titel "Wirkriegeneuchalle" und enthält Daten von rund 200 Menschen. Der Verfasser ist unbekannt, im Internet war sie nur für einige Stunden zugänglich.

Deutschland Trauerfeier für getöteten Regierungspräsidenten Lübcke
Auch CDU-Politiker Walter Lübcke stand auf einer Feindesliste. Er wurde am 2. Juni 2019 erschossen Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Der DW liegt die Liste vor: Es handelt sich um keine reine Namensliste, neben Adressen stehen dort auch Kommentare und Beleidigungen: "antikapitalistischer Muselkopf", "Linker Vollspast", "Demonstrantenfotze". Die aufgeführten Personen sind zum Großteil Aktivisten, Journalisten, linke und grüne Politiker.

Es gibt viele solcher Listen: So hackte zum Beispiel die rechtsextreme Gruppe 'Nordkreuz' die Website eines linken Punkrock-Versandhandels und setzte die so erhaltenen 25.000 Adressen auf eine Liste. Schon seit Längerem ist auch eine Website online, die es vor allem auf Menschen jüdischen Glaubens abgesehen hat: Auf der Plattform 'judas.watch' werden nicht nur vermeintliche 'Feinde' aufgezählt und in Kategorien A (besonders verhasst) bis D eingeteilt, sondern jüdische Menschen zusätzlich mit einem Davidsstern gekennzeichnet.

Länder gehen unterschiedlich vor

Bisher ist es den Landeskriminalämtern überlassen, ob sie Betroffene kontaktieren oder nicht. Eine deutschlandweite, einheitliche Regelung gibt es nicht. 

Nach dem Fund einer Feindesliste einer mutmaßlich rechtsextremen Gruppierung in Hamburg im August wollte das Hamburger Landeskriminalamt von sich aus keine Betroffenen informieren. Das dortige Landeskriminalamt richtete allerdings ein Kontakttelefon für Menschen ein, die nachfragen wollen, ob sie auf der Liste stehen. Eine flächendeckende Kontaktaufnahme durch die Behörden würde nur dafür sorgen, dass die Strategie der Verfasser aufgehe, erklärte damals Innensenator Andy Grote (SPD). Diese wollten "verunsichern und Angst schüren". In Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern schrieben die Behören dagegen von sich aus alle verzeichneten Menschen an.
 

Screenshot Judas Watch | Popular Topics
Die antisemitische Website "judas.watch"

Wie gefährlich sind die Listen?

Der Politologe Hajo Funke meint, das Risiko sei von Liste zu Liste, von Person zu Person verschieden. Bei einer Liste mit 25.000 Menschen, deren Daten bei einem Hack einer linken Website gezogen wurden, seien nicht alle gefährdet.

Doch bei kleinen Listen, wie "Wirkriegeneuchalle", bei denen gezielt Adressen gesucht und online gestellt würden, sei die Gefährdung für die Betroffenen größer. "Sie sind jetzt zusätzlich gefährdet, vermutlich unmittelbar gefährdet", sagt Funke.

Für die Menschen, die auf den Listen stehen, sind Angst, Enttäuschung und Empörung groß. Ruben Neugebauer sagte im August: "Wir sind hier von den Behörden im Stich gelassen worden. Das Innenministerium hat die Gefahr, die von solchen Listen ausgeht, überhaupt nicht erkannt." Er vernetzt sich inzwischen - genauso wie Mark Heinrich - mit anderen Betroffenen, die ebenfalls auf der Liste stehen. Die gegenseitige Unterstützung ist für sie die größte Hilfe.

"Kein totaler Schutz"