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Flensburg und die Corona-Mutation

18. Februar 2021

In Flensburg steigen die COVID-19-Infektionen. Jede zweite Ansteckung geht offenbar auf die britische Mutation zurück. Die Beschränkungen werden drastisch verschärft. Jens Thurau stammt aus Flensburg.

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Blick vom Wasser auf Hafen und Stadt mit einem hoch aufragenden Kirchturm
Bild: DW/B. Weidt

Es klingt dramatisch, was Klaus Deitmaring, Geschäftsführer des Malteser St. Franziskus-Hospitals in Flensburg, dem Norddeutschen Rundfunk jetzt sagte. Das Franziskus-Krankenhaus ist eines von zwei großen Kliniken in Flensburg. Deitmaring berichtet von einigen Patienten mittleren Alters ohne Vorerkrankung, die nach einer COVID-19-Infektion mit unerwartet schweren Verläufen zu kämpfen haben. Bei ihnen sei die zunächst in Großbritannien bemerkte Mutations-Variante B.1.1.7 festgestellt worden, die als weitaus ansteckender gilt als das bisherige Virus.

Dritte Corona-Welle in wenigen Wochen?

Deitmaring sagt: "Wir haben die Sorge, dass sich daraus eine dritte Welle ableiten wird, die uns als Franziskus-Hospital schnell erreicht. Auch unsere Kapazitäten sind begrenzt und wir kommen dem dann nicht mehr nach." In drei bis vier Wochen, so Deitmaring weiter, könnte die Stadt von der neuen Welle voll erfasst werden. Könnte.

Ein Sprecher der Stadt ergänzt, die in kürzester Zeit aufgetretenen vielen Infektionen seien nicht auf einen erkennbaren lokalen Ausbruch etwa in einem Altenheim in Flensburg zurückzuführen, sondern würden "quasi überall" auftreten, in allen Stadtteilen.

Flensburg, 85 000 Einwohner, liegt direkt an der deutsch-dänische Grenze im Bundesland Schleswig-Holstein.
Flensburg, nördlichste Stadt Deutschlands, liegt zwischen Nord- und Ostsee nahe der dänischen Grenze

Ab Samstag nochmal drastischere Beschränkungen

Flensburg ist meine Heimatstadt. Meine Schwester und mein Schwager leben dort. Seit Beginn der Pandemie lagen die Flensburger Infektionszahlen immer weit unter denen im übrigen Deutschland. Bis vor wenigen Wochen. Der gegenwärtige Lockdown legt die Stadt an der Förde mit ihren 85.000 Einwohnern weitgehend lahm. Meine Schwester Kirsten Sump und mein Schwager Joachim sagen am Telefon: "Die Menschen hier sind eigentlich alle sehr diszipliniert, tragen Masken, achten auf den Abstand." Dennoch erleben sie jetzt den sprunghaften Anstieg der Ansteckungen.

Ab Samstag gelten für Flensburg deshalb noch schärfere Regeln: Keine Treffen mehr außerhalb der Familie, Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. "Wir dürfen uns heute und auch noch Morgen mit einer anderen Person treffen, aber da hat man ja schon jetzt kein gutes Gefühl mehr. Ab Samstag geht das dann auch nicht mehr", sagt meine Schwester.

Bislang kam die Stadt gut durch die Pandemie

Auch während der Pandemie, vor allem im Sommer vergangenen Jahres, war ich oft in Flensburg. Teilweise war die Grenze zu Dänemark, wenige Kilometer nördlich der Stadt, mehr oder weniger geschlossen. Die Flensburger hatten im Sommer das Gefühl, dass auch das zu den eher geringen Ansteckungszahlen beitrug. Westlich die Nordsee, östlich die Ostsee, kaum größere Städte in der Nähe: Die Flensburger kamen alles in allem ganz gut klar mit dem Coronavirus. Bis jetzt.

Das Robert-Koch-Institut in Berlin meldet am Donnerstag für Flensburg einen Inzidenzwert von 185. Gemeint sind damit die Ansteckungen innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohnern. Für ganz Deutschland liegt dieser Wert bei 57,1. Auch im Bundesland Schleswig-Holstein insgesamt wird dieser niedrige Wert erreicht, eben nur nicht in Flensburg. Meine Heimatstadt: ein Hotspot in Norddeutschland.

Flensburg - Vorbote künftiger schlechter Nachrichten?

Die Experten des Robert-Koch-Instituts gehen davon aus, dass rund die Hälfte der neuen Ansteckungen in Flensburg wohl auf die Mutation zurückzuführen seien, auch wenn noch nicht alle Untersuchungen abgeschlossen sind.

Porträt von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einer FFP-Gesichtsmaske
Gesundheitsminister Jens Spahn: Der Anteil der Mutationen an allen neuen Ansteckungen liegt bei 22 ProzentBild: Fabrizio Bensch/AP/picture alliance

Am Mittwoch hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) berichtet, in ganz Deutschland seien aktuell rund 22 Prozent der Infektionen solche mit der Mutation. Wenn Flensburg jetzt schon die Hälfte der neuen Infektionen mit der Mutation meldet, zeigt das, was - vielleicht - bald ganz Deutschland blühen könnte: mehr und schnellere Ansteckungen, damit auch mehr jüngere Erkrankte.

Der Leiter der Landesmeldestelle in Schleswig-Holstein, Helmut Fickenscher, berichtet am Donnerstag, die neuen Infektionen seien vor allem auf "Aktivitäten einer größeren Personalvermittlungsfirma" zurückzuführen. "Diese haben mehrere größere Betriebe im Raum Flensburg und auch in Dänemark betroffen", sagte der Infektionsmediziner der Deutschen Presse-Agentur. Betroffen seien vor allem Menschen im Umfeld infizierter Beschäftigter dieser Firmen.

Eng verflochtener deutsch-dänischer Grenzraum

Die Deutschen und ihre nördlichen Nachbarn haben viel Austausch miteinander. In normalen Zeiten wechseln viele tausend Menschen täglich die Seite. Wer jetzt nach Dänemark einreisen will, braucht einen negativen Test, der nicht älter als 72 Stunden ist.

Blaues Schild mit goldenen Sternen der Europäischen Union und dem Aufdruck "Danmark" am Rand einer Straße, wo Autos an der Grenze zwischen Deutschland und Dänemark anhalten
Die Grenze zu Dänemark weniger Kilometer nördlich von Flensburg: Die Grenzregion ist eng verflochtenBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Dort sind die Infektionszahlen wie auch in Deutschland zuletzt gesunken, aber der Anteil der Mutationen ist mittlerweile hoch. Anders als in Flensburg haben diese Mutationen in Dänemark aber noch nicht zu höheren Ansteckungs-Zahlen geführt. Das Virus gibt immer wieder neue Rätsel auf.

Lieber keine Treffen in Flensburg mehr

Noch um Weihnachten herum schlug meine Schwester ihren Söhnen und Enkelkindern vor, die in Hamburg leben: Wenn überhaupt, dann treffen wir uns in Flensburg. Die beschauliche Stadt schien einfach sicherer. Das ist jetzt ganz anders. Mein Schwager Joachim, Beamter der Bahn, arbeitet auf dem Flensburger Bahnhof. Das wird er auch weiterhin tun, auch am Wochenende.

"Es gibt nicht mehr so viele Reisende gerade, ich achte auf Abstand und trage Masken. Ich habe Respekt und sicher auch etwas Angst. Aber die Angst darf uns nicht so ergreifen, dass wir komplett bewegungslos sind", sagt mein Schwager. Also wird er auch am Wochenende, wenn in Flensburg drastischere Maßnahmen gegen das Coronavirus greifen, Züge abfertigen und Fahrgäste betreuen. Einen Bahnhof am Laufen zu halten, das geht nicht im Home-Office.