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Politik

Griechen und Türken: Schwierige Freundschaft

Jannis Papadimitriou
5. Oktober 2020

Die Menschen in Griechenland und der Türkei prägt viel gemeinsame Kultur, ihre Staaten eine Geschichte voller Konflikte. Verlierer einer militärischen Auseinandersetzung um Gas im östlichen Mittelmeer wären beide Völker.

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Symbolbild Flaggen Griechenland /Türkei
Die Fahnen Griechenlands (li.) und der TürkeiBild: Imago Images

Meine Großmutter lebte in der nordgriechischen Stadt Ioannina. Sie war eine wunderbare Frau, die mich sehr geliebt und gerne bekocht hat. Seltsam nur, dass sie jedes Mal, wenn ich zur Mittagszeit lieber Fußball spielen als aufessen wollte, drohte: Iss deinen Teller leer, sonst kommt der Türke und entführt dich! Vielleicht war das mit ein Grund dafür, dass ich bis heute ein paar Kilos zu viel mit mir rumschleppe.

Erst später begann ich, Omas Drohung zu verstehen: Ioannina wurde erst 1913 im Zuge der Balkankriege Griechenland zugesprochen. Bis dahin war meine Großmutter Bürgerin des Osmanischen Reichs. Wobei: "Bürgerin" ist eben das falsche Wort. Die Herrscherfamilie Osman brauchte keine Bürger, keine selbstbewussten "Citoyens", sondern gehorsame Untertanen.

Damit wollten sich die Griechen irgendwann nicht mehr abfinden und lehnten sich gegen die Herrschaft der Osmanen auf. Der Aufstand war nicht nur erfolgreich - er wurde auch zum Gründungsmythos der modernen griechischen Nation.

Blick auf die Fethiye Moschee in der Stadt Ioannina
Gemeinsame osmanischen Geschichte: die Fethiye Moschee in der Stadt Ioannina, die erst seit 1913 zu Griechenland gehörtBild: Getty Images/S. Mitrolidis

Mit ihrem Gründungsmythos übertreibt jede Nation. Die eigenen Gräueltaten will man lieber ausblenden, die eigenen Leistungen in einem guten Licht erscheinen lassen. Das war vermutlich auch der Fall bei der Gründung der Republik Türkei 1922 oder bei der Proklamation des deutschen Kaiserreichs 1871- ganz zu schweigen von den pfiffigen Schweizern, die Wilhelm Tells Apfelschuss einfach erfunden haben.

Mythen und historische Tatsachen

In Hellas besagt der Mythos, dass die tapfere griechische Seele mit Unterstützung der Orthodoxen Kirche über die zahlenmäßig überlegenen Türken triumphierte. Vom Ergebnis her betrachtet scheint das auch zu stimmen. Doch jeder aufgeklärte Bürger dürfte wissen, dass die griechische Unabhängigkeit ohne Unterstützung von außen kaum durchsetzbar gewesen wäre, etwa ohne die Vernichtung der türkisch-ägyptischen Flotte durch die Großmächte bei der Schlacht von Navarino im Jahr 1827.

Forschungsschiff Oruc Reis in der Mitte zwischen Militärschiffen
Mit militärischer Eskorte: das türkisches Forschungsschiff Oruc Reis auf dem Weg ins östliche MittelmeerBild: picture-alliance/AA/Ministry of National Defense

Vielleicht glauben deshalb heute die Politiker in Ankara, Griechenland sei schon immer das verzogene Kind des Westens gewesen. In Athen sieht man das genau andersrum: Derart verwöhnt sei die Türkei, dass sie von der NATO weiterhin mit Waffen beliefert wird, obwohl sie halb Zypern militärisch besetzt hält, in Nachbarländer einmarschiert, einen Nationalistenführer zum Mehrheitsbeschaffer im Parlament gekürt hat und obendrein einen Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer mit dem NATO-Partner Griechenland vom Zaun bricht.

Floskeln und Politik

Die übliche Floskel lautet, Griechen und Türken wollten in Frieden miteinander leben, nur die Politiker machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Aber ich habe oft erlebt, dass viele Menschen auf beiden Seiten der Ägäis eine Art Sehnsucht füreinander spüren und leicht zueinander finden - sei es über die Musik, das Essen, den Humor oder die gemeinsame Lust am Weltschmerz.

Blick auf die Hagia Sophia
Griechisch-türkischer Streitapfel: Die Hagia Sophia in Istanbul, einst eine orthodoxe Kirche, ist heute eine Moschee Bild: picture-alliance/AA/S. Zeki Fazlioglu

In seinem vielbeachteten Film "Politiki Kouzina" (Deutsch: Zimt und Koriander, Türkisch: Bir tutam baharat) versucht Regisseur Tassos Boulmetis das Leiden der Istanbuler Griechen darzustellen, ohne die türkischen Empfindlichkeiten zu ignorieren. Seine Symbolfigur ist der Grieche Fanis, der in den Sechzigern im Zuge der Zypernkrise aus Istanbul vertrieben wird und in Athen sozialen Anschluss sucht - aber von den eigenen Landsleuten als "Türke", also als "Nichtdazugehörender", beschimpft wird.

Sehnsucht und Bitterkeit

Der Einzelne wird zum Spielball politischer Interessen, die Mehrheit schweigt. Über das Geschehene sind alle traurig, unternehmen aber auch nicht viel, um dem Schicksal einen anderen Verlauf zu geben. In Hellas wurde "Politiki Kouzina" als großes Gefühlskino gefeiert, das Sehnsucht, aber auch Bitterkeit hinterlässt. Vielleicht eine Anregung für die Politik: bitte weniger Gefühlskino, dafür umso mehr rationales Denken.

Metall-Barrieren in einer Gasse von Nikosia
Die "Grüne Linie" in Nikosia trennt die Republik Zypern vom türkisch besetzten Norden der Insel Bild: Loukianos liritsas/DW

In der jüngsten Vergangenheit hatten große Gefühle in den bilateralen Beziehungen kein gutes Ende. So besang ganz Griechenland Anfang der Siebziger Jahre, ausgerechnet während der Militärdiktatur, die Geschichte der beiden Kumpels Jannis und Mehmet, die in Istanbul gemeinsam Wein trinken und dabei über Gott und die Welt philosophieren.

Gott und Allah

"Du glaubst an Gott, ich glaube an Allah und doch leiden wir beide" sinniert Mehmet. Wenig später putschen die Athener Militärs auf Zypern, die Türkei fühlt sich berufen, einzumarschieren, und besetzt die Hälfte der Insel - ein klarer Bruch des Völkerrechts, der bis heute anhält. Jannis und Mehmet haben (sich) nichts mehr zu sagen.

Seien wir rational, damit unsere Gefühle füreinander ein festes Fundament bekommen. Sollten Griechen und Türken erneut in einen militärischen Konflikt geraten, wären die beiden Völker die großen Verlierer.

Politiker statt Nationalisten

Seien wir auch mutig. Selbst die einstigen Erzfeinde Eleftherios Venizelos und Kemal Atatürk zögerten nicht, über eine griechisch-türkische Konföderation im östlichen Mittelmeer zu verhandeln. Zwar dürfte das Konzept kaum durchsetzbar sein - allein schon deshalb, weil es mit der alten türkischen Angst über die Teilung des Vaterlandes einhergeht.

Dennoch: Zukunftskonzepte zu entwickeln ist immer besser als militärisches Säbelrasseln. Dafür braucht man allerdings begabte Politiker, keine Nationalisten als Mehrheitsbeschaffer. Und man braucht nicht zuletzt aufgeklärte Bürger, selbstbewusste "Citoyens" auf beiden Seiten der Ägäis.