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Griechenland zwischen Hoffen und Bangen

Jannis Papadimitriou8. September 2016

Hohe Arbeitslosigkeit, Kapitalkontrollen: Die Griechen wollen sich nicht mit der Misere abfinden. Daher erinnert die Bevölkerung die Regierung immer wieder an ihre Wahlversprechen. Jetzt verspricht Athen Eil-Reformen.

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Proteste gegen Tsipras in Athen (Foto: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki)
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Kostas Giannopoulos, Gründer des wohltätigen Vereins "Kinderlächeln", ist am Ende seiner Geduld. Seit 20 Jahren hilft der Informatik-Ingenieur leidenden Kindern in Hellas, kämpft andauernd gegen Bürokratie und Finanzierungnot. Seit der Flüchtlingskrise sind die Sorgen nicht kleiner geworden: Allein am Hafen von Piräus waren sechzig freiwillig tätige Ärzte seines Vereins im Dauereinsatz. Vom Staat gibt es kaum Dankbarkeit. Dafür aber eine Zahlungsaufforderung über 53.000 Euro.

Der Grund: Auch gemeinnützige Organisationen müssen im kriselnden Griechenland die 2012 eingeführte Immobiliensteuer ENFIA in voller Höhe entrichten. Dabei hatte Linkspremier Alexis Tsipras zu dessen Oppositionszeiten fest versprochen, die verhasste Steuer abzuschaffen. Doch die Steuerlast bleibt - und erdrückt einen Verein, der sich fast ausschließlich durch Spenden finanziert. Das ist kein Einzelfall: Auch die SOS-Kinderdörfer klagen derweil über eine ENFIA-Steuer in Höhe von 92.000 Euro.

"Die hohe Steuerlast hindert uns daran, noch mehr Kindern zu helfen", mahnt Giannopoulos im Gespräch mit der DW. Er nennt auch folgendes Beispiel: In der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki hatte sich ein wohlhabender Bürger bereit erklärt, der Organisation "Kinderlächeln“ unentgeltlich und auf Zeit ein mehrgeschossiges Haus zu überlassen, in dem mindestens 50 Kinder betreut würden. Doch der Mann zog sein Angebot zurück, nachdem er einen ENFIA-Bescheid über 50.000 Euro erhielt. Zu hart wäre für ihn die Doppelbelastung, auf Mieteinnahmen zu verzichten und trotzdem eine hohe Immobiliensteuer zahlen zu müssen. Giannopoulos erklärt, die Regierung hätte ihm ursprünglich zugesagt, die ENFIA-Besteuerung bei gemeinnützigen Vereinen grundsätzlich zu überprüfen und Härtefälle zu vermeiden. Daraus sei anscheinend nichts geworden.

Tsipras-Empfang mit Protestkundgebungen

Noch viel saurer auf die Regierung ist der Rentner und ehemalige Polizist Christos Fotopoulos. Ordnungshüter gehören zu den großen Verlierern der Krise, das weiß der 59-jährige aus eigener Erfahrung. "Nach vollen 40 Dienstjahren ging ich 2015 in Pension. Hätte es keine Krise gegeben, erhielte ich heute eine Rente in Höhe von 2.000 Euro", berichtet der Mann aus dem nordgriechischen Katerini.

Kostas Giannopoulos (Foto: Costas Yannopoulos)
"Die hohe Steuerlast hindert uns daran, noch mehr Kindern zu helfen", sagt Kostas Giannopoulos, Gründer des Vereins "Kinderlächeln"Bild: Costas Yannopoulos

Stattdessen bekommt er nach mehreren Kürzungsrunden 1.295 Euro, im Oktober stehen weitere Einschnitte bevor. Dann liegt der Familienvater vermutlich nur knapp über der 1000-Euro-Grenze. Was Fotopoulos am meisten ärgert: "Diese Regierung hatte uns vergeblich versprochen, es gäbe keine Kürzungen mehr. Auch die Vorgängerregierung konnte ihr Versprechen nicht einhalten, frühere Einschnitte rückgängig zu machen. Dadurch verlieren Politiker ihre Glaubwürdigkeit; es wäre doch besser, sie hätten uns von Anfang an die Wahrheit gesagt."

In seiner aktiven Zeit mischte Fotopoulos bei der Polizeigewerkschaft mit, war zeitweilig auch deren Chef. Er will die Hoffnung nicht aufgegeben, dass seine Kollegen gegenüber der Regierung doch noch Gehör finden. Am Wochenende kommt es jedenfalls zu Protestaktionen der Uniformierten in Thessaloniki. Dort wird Linkspremier Tsipras zur Eröffnung der Handelsmesse erwartet. Polizeibeamten und Militärs wollen den Regierungschef an unerfüllte Wahlversprechen erinnern. Auch Rentnerverbände haben sich zu einer Kundgebung vor Ort verabredet.

Doch Tsipras verbreitet Optimismus - nicht zuletzt gegenüber den Kreditgebern. Am Dienstag (6.9.) war aus Regierungskreisen zu hören, man sei zuversichtlich, dass eine Teilrate in Höhe von 2,8 Milliarden Euro im Herbst wie geplant nach Athen überwiesen werde. Zuletzt hatten die Euro-Finanzminister vor der Sommerpause 10,3 Milliarden für Griechenland genehmigt. Es war die erste Tranche eines neuen Hilfspakets in Gesamthöhe von 86 Milliarden Euro.

Alexis Tsipras (Foto: Reuters/A. Konstantinidis)
Unter Druck: Tsipras muss Reformen umsetzen, die vielen weh tun werdenBild: Reuters/A. Konstantinidis

Allerdings wollten die Geldgeber zu diesem Zeitpunkt nur 7,5 Milliarden von der bewilligten Tranche auch direkt freigeben. Die restlichen 2,8 Milliarden folgen im September, nachdem die griechische Regierung 15 Reformauflagen umsetzt. Bisher wurden nur zwei davon erfüllt. Die Zeitung Kathimerini sieht die linksgeführte Regierung im Verzug. Dagegen berichtet das Staatsfernsehen ERT, Tsipras habe "den klaren Befehl zur Umsetzung aller 15 Bedingungen erteilt."

Immer mehr säumige Schuldner

Unterdessen erreichen die Außenstände säumiger Schuldner beim Staat einen neuen, traurigen Höhepunkt: Nach den jüngsten, am Montag veröffentlichten Daten, verzeichnet der Fiskus erstmals unbezahlte, fällige Verbindlichkeiten in Höhe von über 90 Milliarden Euro. Sollte die Flaute bei den Staatseinnahmen anhalten, müsste Linkspremier Tsipras schmerzhafte Budget-Korrekturen vornehmen. Dazu hat sich Griechenland im Mai gegenüber den Kreditgebern verpflichtet. Viel hängt davon ab, ob bis Jahresende die erhofften Mehreinnahmen in Höhe von drei Milliarden Euro durch die ENFIA-Immobiliensteuer erzielt werden. Was tun? Diese Frage stellt sich auch für Kostas Giannopoulos. "Vor einigen Jahren, noch vor dem jüngsten Regierungswechsel in Athen, hatten wir uns einmal geweigert, die ENFIA-Steuer zu zahlen. Daraufhin wurde unser Bankkonto gepfändet. Das ist natürlich auch keine Option für uns", sagt der Chef des "Kinderlächelns".