1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erdogans Verrat an der Sache Atatürks

Alexander Görlach
1. September 2020

Der Protest aus der Türkei gegen die neue Freundschaft zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigt: Präsident Erdogan isoliert sein Land immer mehr, meint Alexander Görlach.

https://p.dw.com/p/3hr37
DW Zitattafel | Alexander Görlach

Unvergessen ist der Schlagabtausch zwischen Recep Tayyip Erdogan, der damals türkischer Premierminister war, und dem israelischen Präsidenten Shimon Peres beim Weltwirtschaftsforum 2009 im schweizerischen Davos. Beide gerieten auf dem Panel in ein heftiges Wortgefecht über israelische Luftangriffe auf Gaza, die kurz zuvor stattgefunden hatten. Erdogan verließ das Podium, nachdem er sich für die Sache der Palästinenser stark gemacht hatte. Zu Hause wurde er von einer jubelnden Menschenmasse empfangen. Kommentatoren sahen darin einen Versuch des türkischen Politikers, sich die Stimmung in den arabisch-sprachigen Ländern gewogen zu machen.

Nicht nur von dort gab es nach dem Eklat viel zustimmende Worte. Nur zwei Wochen nach dem Ereignis in den Schweizer Bergen wurde Erdogan zum Ehrenbürger Teherans ernannt, der Hauptstadt des schiitischen Iran. Dieser hat, konfessionell betrachtet, nichts mit den sunnitischen Palästinensern zu tun, ist aber ein Erzfeind Israels. Das radikale Mullah-Regime des Iran bestreitet bis heute das Existenzrecht Israels und droht regelmäßig dessen Vernichtung an.

Der Traum von der Weltmacht Türkei

Ebenfalls bis heute ist der Wunsch des mittlerweile türkischen Präsidenten Erdogan unverändert, die Türkei als starken Player in der Region, um nicht zu sagen als Weltmacht, zu etablieren. Vor einigen Wochen, als die einstmals größte Kirche der Welt, die Hagia Sophia, auf Erdogan Betreiben wieder in eine Moschee umgewandelt wurde, sprach der oberste Kleriker der sunnitischen (eigentlich laizistischen) Türkei mit einem Schwert in der Hand von neuer Größe. Bei der Hagia Sophia ist es nicht geblieben, mittlerweile wurde eine weitere Kirche in Istanbul zur Moschee gemacht.

Türkei Istanbul Präsident Erdogan in Hagia Sophia zum Freitagsgebet
Präsident Erdogan (Mitte) am 24. Juli beim ersten Freitagsgebet in der Hagia Sophia nach 86 JahrenBild: picture-alliance/AA/M. Kamaci

Doch nun sind alle Großmannsfantasien dahin: der Erzfeind Israel und die Vereinigten Arabischen Emiraten haben eine Übereinkunft erzielt, die das Verhältnis zwischen den beiden Staaten normalisiert. Dieses Abkommen dient zu allererst der Isolation des Iran und seiner Terrororganisation, der Hisbollah, die in den vergangenen Jahren die gesamte Region destabilisiert haben. Der noch zu schließende förmliche Vertrag isoliert aber auch den türkischen Präsidenten Erdogan, der sich als Hegemon und Schutzpatron der arabischen Welt installieren wollte und dem nun nichts anderes übrig bleibt, als die Araber als Verräter zu beschimpfen, die ihre eigenen Geschwister, die Palästinenser, im Stich lassen würden.

Erdogan, der sich noch zu Anfang des Jahres erklärt hat, die Türkei können außenpolitisch alles tun, was sie wolle und sei dabei auf niemanden angewiesen, hat sich verkalkuliert. Die USA sind immer noch die einzige Weltmacht, die in dieser Region etwas bewirken können. Letztendlich ist der heimliche Gewinner hinter der neuen Freundschaft zwischen Israel und den Emiraten kein anderer als US-Präsident Donald Trump. Dieser hat seine harte Linie gegen den Iran durchgezogen und kann nun, rechtzeitig zum Wahltermin im November, mit einem Erfolg aufwarten. Einen solchen haben weder sein Vorgänger Barack Obama noch andere Akteure wie die Europäische Union zustande gebracht.

Türkei Freitagsgebet Hagia Sophia
Die Hagia Sophia, das Wahrzeichen Istanbuls, ist jetzt auch ein Symbol für den islamistischen Kurs der TürkeiBild: Reuters/U. Bektas

Türkisch-israelische Beziehungen von Anfang an

In der lauten Beschwerde Ankaras, die sich gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Emiraten und Israel richtet, scheint Erdogan gänzlich zu vergessen, dass die Türkei das erste Land in Israels Nachbarschaft war, das 1949 diplomatische Beziehungen zu dem jungen Staat aufnahm. Die Türkei war damals aber noch laizistisch und hatte kein Bestreben, sich in die konfessionell-religiös heillos überfrachteten Konflikte in der Region verstricken zu lassen. Als NATO-Partner war sie zudem seit 1952 ein fester Bestandteil der westlichen Allianz.

Durch den Islamisierungskurs von Erdogan droht dem Land nun, ein Paria in den internationalen Beziehungen zu werden. Das wäre in der Tat ein Verrat: an der Sache Atatürks nämlich und an den rund 40 Millionen Türken, knapp der Hälfte der Bevölkerung, die Erdogan nicht gewählt haben.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.