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Politik

Hilfe frei Haus in der Corona-Krise

26. März 2020

Das Kinderhilfswerk "Die Arche" will auch weiterhin den Schwachen helfen. Von der Schließung aller Standorte in Deutschland lassen sich die Macher nicht entmutigen und haben kreative Ideen entwickelt.

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Sozialprojekt Arche in Coronazeiten Deutschland
Bild: Paul Höltge

"Wenn die Leute nicht mehr zu uns kommen können, müssen wir eben zu ihnen gehen," sagt Bernd Siggelkow gegenüber der DW, da ist der Gründer der "Arche"ganz pragmatisch. Der gelernte Pfarrer hatte schon geahnt, dass es nach dem Ausbruch der Corona-Epidemie auch für die "Arche" kritisch werden würde. Seit der vergangenen Woche sind alle 26 Einrichtungen in Deutschland geschlossen.

Normalerweise werden bei dem christlichen Kinder-und Jugendwerk, das sich fast vollständig durch Spenden finanziert, täglich rund 4000 sozial benachteiligte Kinder kostenlos mit Essen versorgt und durch Pädagogen betreut. Die Eltern - darunter viele alleinerziehende Mütter - kommen oft mit in die "Arche". Alles passé seit Beginn der Corona-Krise.

Hilfe auf Rädern für die Abgehängten

Für Siggelkow war schnell klar: "Gerade die Armen und Abgehängten die brauchen ja einen Partner an ihrer Seite. Und das sind wir." Schon seit der vergangenen Woche bringen Siggelkow und seine derzeit noch 50 einsetzbaren MitarbeiterHilfspakete mit dringend benötigten Lebensmitteln und Hygenieartikel direkt an die Türen der Bedürftigen. "Denn das Problem ist ja, dass die billigen Lebensmittel durch die Hamsterverkäufe alle weg sind. Die Menschen haben einfach nicht so viel Geld in der Tasche, um die teuren Lebensmittel zu kaufen."

Allein in Berlin, dem Gründungsort der "Arche", haben die Helfer schon rund 150 Familien besucht. Sie kommen ein bis zwei Mal in der Woche vorbei, je nach Bedarf. Das Geld, das die "Arche" beim Kochen spart, gibt sie nun für Hilfspakete aus.

Antje Fürstenau, ihren vier Kindern und ihrem Ehemann helfen die Lieferungen sehr. Sonst würde die Familie, wie die 42-Jährige im DW-Interview sagt, nicht über die Runden kommen. "Man möchte den Kindern doch einmal am Tag eine warme Mahlzeit bieten. Da sind solche Spenden sehr wichtig, sonst würde es bei uns nicht reichen." Die Billigartikel und Konserven seien oft ausverkauft. Und teurere Artikel könne sich ihre Familie nicht leisten.

Chatten und Kochen gegen den Wohnungskoller

Und auch über ein weiteres, neues Angebot der "Arche" freut sich die Familie aus Berlin-Hellersdorf. Siggelkow und sein Team hatten nämlich noch andere Ideen, die "Kinder bei der Stange zu halten", wie Siggelkow es ausdrückt: WhatsApp-Chats, Online-Hausaufgabenbetreuung und ein eigener YouTube-Kanal.

"Wir finden das toll, alle meine Kinder machen da mit", sagt Antje Fürstenau. Und statt in der "Arche" zu essen wird nun selbst gekocht - und sogar die Kinder stehen mit am Herd. "Wir haben eine Wochen-Challenge, kochen mit den Kindern und filmen das. Das wird bewertet und von der "Arche" mit Preisen belohnt."

Noch keine Anzeichen für häusliche Gewalt

Solche Angebote helfen gegen die Langeweile, den Frust und gegen den Wohnungskoller, bestätigt Antje Fürstenau. Noch kommen die Fürstenaus, die derzeit alle zuhause bleiben, gut miteinander klar. Streit gibt es nicht.

Das ist auch die Erfahrung von Bernd Siggelkow. "Häusliche Gewalt ist derzeit noch kein Thema", bestätigt er der Deutschen Welle. Aber natürlich falle einigen die Decke schon auf den Kopf. "Ich glaube, da kommt noch etwas."

Sozialprojekt Arche in Coronazeiten Deutschland
Für den Arche-Gründer Siggelkow gibt es noch genug zu verteilenBild: Paul Höltge

Bernd Siggelkow bepackt an jedem Morgen in Berlin-Hellersdorf seinen Bus mit den Hilfsgütern. Der "Arche"-Gründer ist auch deshalb so motiviert, weil er immer wieder erlebt, wie dankbar die Menschen sind.

Zum Beispiel am Samstag der vergangenen Woche: vollbepackt mit Lebensmitteln unter dem Arm klingelt er, die Tür geht auf, vier Kinder stürzen sich auf ihn vor Freude, sie wollen ihm um den Hals fallen, berühren allerdings nur seine Jacke. "Und ich muss ihnen dann sagen: Kinder, ihr müsst wirklich 1,50 Meter von mir weggehen! Alle haben geheult. Ich habe auch geweint."

Solidarität und Egoismus

Solche emotionalen Momente motivieren den Pfarrer, der das 25-jährige Jubiläum der "Arche" eigentlich ausgiebig feiern wollte. Mit weit offenen und nicht geschlossen Türen, wie derzeit.

Bernd Siggelkow schützt sich und seine Mitarbeiter, so gut er kann. Mit Masken, Desinfektionsmitteln, genügend Abstand, und wie er schmunzelnd hinzufügt "einem Glas frisch gepresstem Orangensaft für meine Mitarbeiter, damit auch jeder genug Vitamin C bekommt."

Siggelkow ist bekennender Christ und ein genauer Beobachter. Er glaubt, dass sich die deutsche Gesellschaft nach der Krise noch weiter teilen wird. "Es wird die geben, die sich noch mehr zurückziehen und nur an sich selbst denken. Und die, die weicher, offener und solidarischer sein werden. Und davon erlebe ich derzeit viele."

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online