1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Iran - USA: Neue Spannungen in ganz Nahost?

Kersten Knipp | Emad Hassan
3. Januar 2020

Nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-Drohne in Bagdad erwarten Experten eine weitere Eskalation. Die könnte sich auf mehrere Länder in der Region erstrecken. In deren Zentrum steht der Irak.

https://p.dw.com/p/3VfYR
Irak Bagdad Airport Luftschlag US-Streitkräfte auf General Qassem Soleimani
Zerstörtes Soleimani-Fahrzeug am Flughafen Bagdad.Bild: AFP/Iraqi Military

Die durch die Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani zu erwartenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA könnten sich auf die gesamte Region ausdehnen. Zunächst allerdings dürften sie sich auf den Irak konzentrieren. In der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Bagdad war Soleimanis Fahrzeug von einer US-Drohne getroffen worden. Dass es im Irak sehr bald zu Spannungen kommen könnte, deutet ein Aufruf der US-Botschaft in Bagdad an. Sie forderte alle US-Staatsbürger dazu auf, das Land umgehend zu verlassen. Auch sollten sie sich nicht mehr in die Nähe der Botschaft begeben. 

Wie der Iran auf die Tötung eines seiner wichtigsten Generäle reagieren wird, sei grundsätzlich schwer vorhersehbar, sagt der Nahostexperte Sanam Vakil von der Londoner Denkfabrik Chatham House. Es sei aber ausgeschlossen, dass die Regierung in Teheran auf den Tod des Generals nicht reagieren wird. Zudem werde der Iran eine ganze Reihe von Konsequenzen ergreifen, erwartet Vakil. "Zu den einfachsten Möglichkeiten dürfte wohl gehören, die Situation im Irak eskalieren zu lassen." Das dortige, nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi weiter gewachsene Machtvakuum biete sich dazu an.

Irak Premierminister Adel Abdel Mahdi
Warnt vor weiterer Eskalation: der irakische Premier Adel Abdel Mahdi Bild: AFP/A. Al-Rubaye

Auch der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, geht von steigender Gewalt in der Region aus. "Der Tod Kassem Soleimanis ist eine rapide Rutschbahn in eine größere militärische Eskalation", so Nouripour in einer Presseerklärung. "Soleimani war nicht nur der Chefstratege der iranischen Aggressionen im Nahen Osten, etwa in Syrien oder im Irak. Er war auch das Gesicht der Politik Teherans in der Region. Sein Tod wird von der iranischen Seite als Gesichtsverlust und als amerikanische Kriegserklärung verstanden werden."

Spannungen in der gesamten Region nicht ausgeschlossen

Die Spannungen könnten weit über den Irak hinausgehen, sagt Nahostexperte Sanam Vakil. "Soleimani hatte enge Beziehungen zu Hassan Nasrallah und zur Hisbollah." Nasrallah ist der Chef der vom Iran gesponserten Schiiten-Miliz im Libanon. Die Verbindungen dorthin wie auch zu den Milizengruppen im Irak hätten dem Iran bislang dazu gedient, seinen Einfluss im Nahen Osten auf unkonventionelle und destabilisierende Weise auszuweiten, so Vakil. "So können wir nicht ausschließen, dass der Iran auch Schiffe im Persischen Golf angreift und vielleicht sogar einen der Golfstaaten mit Raketen beschießt. Das hat er bereits im September vergangenen Jahres getan."

Irak | Gewaltsame Proteste auf dem Geländer der US Botschaft
Dies USA in Bedrängnis: Demonstranten von der US-Botschaft in Bagdad am 31. DezemberBild: AP/K. Mohammed

Ebenso könnte der Iran versucht sein, einen Angriff auf Israel durch die Hisbollah zu provozieren. "Allerdings dürfte die Hisbollah dazu im gegenwärtigen Klima nicht bereit sein. Sie will sich derzeit auf keinen direkten militärischen Konflikt mit Israel einlassen. Darum scheint mir eine Eskalation in der Levante eher unwahrscheinlich. Das Gleiche gilt auch für Syrien. Darum dürfte es dem Iran am sinnvollsten erscheinen, sich auf den Irak zu konzentrieren", beschreibt der Chatham-House-Experte ein mögliches Szenario.

Die Reaktion dürfte nicht vom Iran allein ausgehen, erwartet der Politanalyst am Teheraner Institut für Strategische Studien, Muhammad Muhtadi. Vor der Tötung Soleimanis hatten die USA eine irakische Militäreinrichtung an der irakisch-syrischen Grenze bombardiert und zahlreiche Milizen der Volksmobilmachungskräfte getötet. "Deshalb müssen wir auch nach der Reaktion des Irak fragen. Denn die amerikanischen Streitkräfte haben hinsichtlich der irakischen Souveränität eine rote Linie überschritten. Darum müssen wir über eine Reaktion der Widerstandsachse und nicht nur allein des Iran sprechen." Reaktionen auf die Tötung Solimaneis könnten darum im Irak, im Jemen, im Iran, im Libanon oder in Syrien stattfinden.

Unabsehbare Reaktion des Iran 

Die Tötung sei ein Wendepunkt, sagt der jordanische Miliärexperte Mamoun Abu Nawar im DW-Gespräch. Der Iran sei gezwungen, zu reagieren. Ansonsten werde er seinen Status in der Region kaum halten können. "Allerdings dürften sich die Iraner auf ein solches Szenario vorbereitet haben. Sie dürften bereits einen Ersatz für Soleimani haben, der bald ernannt wird." Die iranischen Reaktionen auf die Tötung könnten vielfältig ausfallen, erwartet Aba Nawar. "Es könnten US-Amerikaner in der Region entführt werden. Auch könnte die Straße von Hormus geschlossen werden. Auf jeden Fall könnten die Reaktion für die Amerikaner sehr schmerzhaft werden." Allerdings werde es keinen offenen Krieg geben, erwartet Abu Nawar. "Den können weder die USA noch die Iraner beherrschen. Er könnte die ganze Region in Brand setzen." 

Allerdings könnte der Iran seine Kräfte im Jemen, in Syrien, im Libanon und im Irak aktivieren. Besorgniserregend sei die Lage insbesondere für Israel, warnt der Experte. "Jede größere Eskalation in der Region könnte Israel treffen." Auch einen Angriff seitens der libanesischen Hisbollah schließt er nicht aus.

Die US-amerikanischen Verbündeten in der Region hätten Anlass zur Sorge. "Die Regierungen der arabischen Golfstaaten sind beunruhigt, da die iranische Reaktion natürlich auch für sie Folgen haben kann."

Der Irak: Bühne eines Stellvertreterkriegs

Die Tötung des Generals könnte auch ein Hinweis sein, dass die US-Regierung ihre bisherige Politik, sich weniger in der Region zu engagieren, neu bewertet. Arabische Zeitungen hatten diese Vermutung anlässlich des Angriffs auf die Kataib-Hisbollah-Milizen zu Beginn der Woche wiederholt geäußert.

"Der Irak galt den Amerikanern seit ihrem Rückzug als kaum mehr denn ein gescheiterter Staat", heißt es in der Zeitung "Al-Quds al-araby". Jetzt wolle die Regierung in Washington offenbar wieder stärkere Präsenz zeigen. "In der Konfrontation mit dem Iran zeigt sich aber, dass der Rückzug die Situation des Irak noch weiter destabilisieren könnte."

Auch die irakische Zeitung "Kitabat" deutet an, dass unter den wieder eskalierten Spannungen zwischen dem Iran und den USA als erstes der Irak zu leiden habe. Dort könnte sich eine Art Stellvertreterkrieg entwickeln. "Die iranisch-amerikanische Eskalation geht in eine neue Runde, und wieder findet sie auf irakischem Boden statt." Beide Akteure hätten indessen ein gemeinsames Ziel, so die Zeitung: "Beide wollen den irakischen Staat schwach halten." Vor wenigen Tagen erst hatten die USA im Irak die Kataib-Hisbollah beschossen, wobei rund 30 ihrer Kämpfer zu Tode kamen. Diese Miliz wird ebenfalls vom Iran gefördert. Dieser Angriff könnte nun ebenfalls vor allem dem Regime in Teheran in die Hände spielen: "Die diesem verbundenen Milizengruppen werden das Chaos nutzen, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen." Ihrem Einfluss müsse die Regierung in Bagdad sich so gut wie möglich entgegenstellen.

Allerdings habe die irakische Regierung nicht viele Möglichkeiten, auf eine Herausforderung dieser Dimension zu reagieren, sagt der irakische Journalist und Iran-Experte Ali Mohammad Najah im DW-Interview. "Der Regierung bleibt nur, ihre Ablehnung ausländischer Präsenz kundzutun oder sich an die Vereinten Nationen zu wenden." Hinzu komme, dass die irakische Regierung gespalten sei. "Ein Teil setzt auf die Vereinigten Staaten, ein anderer Teil auf den Iran. Es ist sehr schwierig für den Irak, eine klare, große und entschlossene Position einzunehmen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika