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PolitikAsien

Marathon der Diplomatie um Irans Atomprogramm

Shabnam von Hein
29. August 2022

Die USA und der Iran verhandeln mühsam über eine Wiederbelebung der Atomvereinbarung von 2015. Am Anfang stand eine deutsche Initiative von 2003.

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Flaggen der EU, Irans, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens
Flaggen der EU, Irans, Frankreichs, Deutschlands und GroßbritanniensBild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

Seit April 2021 verhandeln die USA und der Iran über eine Wiederbelebung der Wiener Atomvereinbarung von 2015, offizieller Titel: "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPoA). Aus dieser Vereinbarung, die nach mehr als zwölf Jahren internationaler Verhandlungen über das iranische Atomprogramm erzielt wurde, waren die USA unter Präsident Trump 2018 einseitig ausgestiegen. Trump gab sich überzeugt, einen "besseren Deal" aushandeln zu können als das, was sein Vorgänger Obama unterzeichnet hatte. Seine Politik des "maximalen Drucks" auf den Iran blieb jedoch erfolglos.

Sinn und Zweck des JCPoA ist es, dem Iran für einen gewissen Zeitraum den Zugang zu Atomwaffen zu versperren bzw. stark zu erschweren. Als Gegenleistung für die Einschränkungen und scharfen Kontrollen seines Atomprogramms wurde dem Iran die Aufhebung eines Großteils der internationalen Sanktionen und damit dringend benötigte erneute Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland zugesagt.  

Ein Jahr nach dem Ausstieg der USA aus der Vereinbarung begann der Iran, sich ebenfalls schrittweise von seinen darin enthaltenen Verpflichtungen loszusagen und unter anderem Uran bis zu einem Grad von 20 Prozent anzureichern. Im Mai 2022 verfügte der Iran nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über 18 Mal mehr angereichertes Uran als im JCPoA vereinbart worden war. Das Land ist nun nach eigenen Angaben technisch dazu in der Lage, eine Atombombe zu produzieren.

Deutsche Initiative von 2003

2003 hatten Satellitenaufnahmen und Untersuchungen der IAEA Hinweise auf ein geheimes militärisches iranisches Atomprogramm geliefert. Daraufhin überzeugte der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer seine Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich davon, Verhandlungen mit Teheran zum iranischen Atomprogramm aufzunehmen. Denn die drei europäischen Länder wollten nach der US-Intervention im Irak 2003 eine erneute militärische Eskalation in ihrer weiteren Nachbarschaft verhindern. Gleichzeitig war man besorgt, dass der Iran so wie zuvor Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) aussteigen könnte.

Außenminister Joschka Fischer (l)  mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich
Außenminister Joschka Fischer (l) mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich 2005 am Verhandlungstisch mit dem IranBild: AP

In ihrer "Europäischen Sicherheitsstrategie" von 2003 hatte die EU die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen als potenziell größte Bedrohung für die europäische Sicherheit definiert. Die europäische Initiative zielte auf eine strengere Kontrolle des iranischen Atomprogramms durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA.

Ab 2006 schalteten sich die USA und die Vereinten Nationen zunehmend als Akteure in den Verhandlungsprozess ein. Das bis heute gängige Verhandlungsformat kam zustande: Iran und die "5 plus 1" - die fünf UN-Vetomächte: China, Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien plus Deutschland. Das Format ist auch unter dem Kürzel E3-plus-3 bekannt, also die drei genannten EU-Länder plus Russland, China und USA. 

Zähe Gespräche mit kompromisslosen Iranern

Die Verhandlungen mit dem Iran begannen unter dem reformorientierten Präsident Mohammad Chatami (1997-2005). Unter seinem Nachfolger, dem Hardliner Mahmoud Ahmadinedschad (2005-20013) gerieten sie zunehmend ins Stocken. 2007 trat der iranische Atom-Unterhändler Ali Laridschani zurück. Präsident Ahmadinedschad machte den kompromisslosen Ideologen Saeed Dschalili zum Chef-Unterhändler. Dschalili war nicht einmal bereit, nach Europa zu reisen, um dort zu verhandeln. Gespräche in Bagdad wurden zu einem Synonym für das Scheitern. Es folgte eine 15-monatige Funkstille. Im April 2012 begannen in Istanbul neue direkte Verhandlungen. Dschalili bereitete sich auf die Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2013 vor, unterlag aber dem gemäßigten Kleriker Hasan Rohani.

Rohani beauftragte seinen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif damit, den Dialog fortzuführen. Sarif hatte mehr als zwei Jahrzehnte in den USA gelebt und war ein gewandter Diplomat. Er nahm sogar direkte Gespräche mit seinem US-Amtskollegen John Kerry auf - ein Tabubruch in der iranischen Politik.  

Außenminister Sarif mit seinem amerikanischen Kollegen Kerry 2015 in Genf
Dschawad Sarif (l) nahm direkte Gespräche mit seinem US-Amtskollegen John Kerry aufBild: picture-alliance/AP/L. Gillieron

Der aber führte zum Erfolg: 2015 unterzeichneten der Iran auf der einen und die E3-plus-3 auf der anderen Seite in Wien den JCPoA. Das Ereignis wurde als weithin als Sternstunde der internationalen Diplomatie gefeiert.

Ausstieg der USA war nicht vorgesehen

Der JCPoA ist eine Sammlung freiwilliger Maßnahmen auf beiden Seiten, die durch die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates am 20. Juli 2015 völkerrechtlich verbindlich wurden. Der Sicherheitsrat beschloss zudem eine Reihe von Umsetzungsschritten. Dazu gehört auch der so genannte "Snap-back"-Mechanismus. Durch den können die gelockerten UN-Sanktionen schnell und unkompliziert wieder eingesetzt werden, falls Teheran gegen die Vereinbarung verstoßen sollte. Einen Ausstieg der USA aus dem Abkommen hatte niemand vorhergesehen, und es gab deshalb auch keine Vorkehrungen für diesen Fall. 

2018 aber trat genau das ein. Donald Trump hatte bereits während seines Wahlkampfs den JCPoA als "schlechtestes Abkommen aller Zeiten" beschimpft. Ein Jahr nach seinem Einzug ins Weiße Haus als US-Präsident kündigte er die Vereinbarung einseitig auf. Mit seiner Politik des "maximalen Drucks" sollte Teheran zur Annahme eines von Außenminister Mike Pompeo vorgestellten - und für Iran inakzeptablen - Zwölf-Punkte-Plans gezwungen werden.

USA PK Präsident Donald Trump zum Atomabkommen mit Iran
US-Präsident Donald Trump stieg aus dem Atomabkommen ausBild: Reuters/J. Ernst

Darin waren Forderungen enthalten, die außerhalb des Atombereichs lagen. So sollte der Iran zum Beispiel seine Einmischung in regionale Konflikte beenden, ebenso wie seine konventionelle Raketenrüstung. Washington verhängte einseitig eine Flut von neuen Sanktionen gegen Teheran. Mit massiven Auswirkungen auf Irans potentielle Geschäftspartner im Westen und deren Kreditgeber: Aus Angst vor den sogenannten Sekundärsanktionen der USA, bei denen hohe Geldstrafen oder der Ausschluss vom US-Markt drohten, kam es nicht zum vom Iran erhofften Aufschwung des Handels.  

Vergebliche Bemühungen der "E3"

Frankreich, Deutschland und Großbritannien, die "E3", versuchten das Abkommen dennoch zu retten. Sie gründen INSTEX, "Instrument for Supporting Trade Exchanges", um trotz der US-Sanktionen Handel mit dem Iran zu ermöglichen. INSTEX sollte eine "Zweckgesellschaft zur Ermöglichung legitimen Handels mit Iran" sein. Um die USA nicht zu verärgern, sollte INSTEX seine Geschäfte auf den Handel mit humanitären Gütern beschränken. Das reichte aber bei weitem nicht aus, um die wirtschaftlichen Verluste des Iran wettzumachen. Im Endeffekt muss man die INSTEX-Initiative als gescheitert ansehen. Der Iran reagiert auf seine Weise auf den US-Druck: Er reicherte stetig mehr Uran an.

Iranische Firmen setzen auf die EU

Laut IAEA befanden sich Mitte Mai 2022 schätzungsweise rund 3800 Kilogramm angereichertes Uran in den iranischen Beständen. In der Atomvereinbarung hatte sich der Iran zu einer Höchstgrenze von 202,8 Kilogramm verpflichte. Dem Bericht zufolge reichert der Iran zudem Uran deutlich höher an als auf den in dem Abkommen festgeschriebenen Wert von 3,67 Prozent. Der Bestand an bis zu 20 Prozent angereichertem Uran stieg demnach seit März um 56,3 Kilogramm auf 238,4 Kilogramm, der an bis zu 60 Prozent angereichertem Uran um 9,9 Kilo auf 43,1 Kilo. Zum Bau von Atombomben ist auf rund 90 Prozent angereichertes Uran notwendig.

Können USA und Iran sich noch einigen?

Die USA unter Präsident Biden und der Iran unter dem Hardliner Ebrahim Raisi als Präsident haben ihren Willen bekundet, das Abkommen wiederzubeleben. Seit April 2021 koordiniert der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell die Verhandlungen in Wien.

Außerministerin Baerbock mit ihrem iranischen Amtskollegen Amirabdollahian  in München
Außerministerin Baerbock mit ihrem iranischen Amtskollegen Amirabdollahian in München Bild: Farsnews

Der iranische Chefunterhändler Ali Bagheri vermeidet direkte Gespräche mit den USA. Die Differenzen zwischen den Regierungen in Washington und Teheran sind jedoch immer noch groß. Beide Seiten stehen intern unter Druck, keine will als nachgiebig abgestempelt werden. Die Hardliner im Iran fordern eine Zusicherung von den USA, dass kein künftiger US-Präsident mehr aus dem Abkommen aussteigen kann. Präsident Biden lehnt das ab. Die Republikaner drohen, auch aus einer erneuerten Vereinbarung auszusteigen, falls sie den nächsten Präsidenten im Weißen Haus stellen.