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Deutsche Ermittlungen zu Kundus-Angriff ausreichend

Barbara Wesel
16. Februar 2021

Elf Jahre nach dem Nato-Luftangriff in Kundus ist die juristische Aufarbeitung des Falls abgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies die Klage eines afghanischen Vaters gegen Deutschland ab.

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Dutzende Tote bei Luftangriff auf Tanklaster in Kundus
Bild: Jawed Kargar/dpa/picture alliance

Es war vielleicht der folgenschwerste Tag im Afghanistan-Einsatz der deutschen Bundeswehr. Am morgen des 4. September 2009 gab ein deutscher Kommandeur den Befehl, zwei von Taliban gekaperte Treibstofftanker nur wenige Kilometer von der deutschen Militärbasis zu bombardieren. Der von US-Fliegern durchgeführte Angriff forderte rund 100 Tote, überwiegend Zivilisten aus dem nahen Dorf. Unter ihnen waren auch die zwei jungen Söhne des Klägers, Abdul Hanan. Mit dem heutigen Urteil endet sein Versuch, deutsche Gerichte und Behörden weiter zur Rechenschaft zu ziehen.

Bewertung des Befehls von Oberst Klein 

Die Aufarbeitung des tragischen Angriffs beschäftigte die deutsche Justiz ein Jahrzehnt lang. Dabei ging es vor allem um die Bewertung des Befehls durch den diensthabenden Oberst Georg Klein. Kämpfer der radikalislamischen Taliban hatten zuvor zwei Tanklastwagen entführt. Zivilisten waren gekommen, um sich Treibstoff von den Tankern zu nehmen. Bundeswehroberst Georg Klein forderte Luftunterstützung an, weil er fürchtete, die LKW könnten als rollende Bomben missbraucht werden. Hätte er wissen müssen, dass vor allem Dorfbewohner an dem Tanker versuchten, Treibstoff abzuzapfen? Hätte er mehr tun müssen, um ihre Identität festzustellen? Hätte der deutsche Kommandeur seinem Informanten, der ihm die Lage vor Ort falsch geschildert hatte, nicht glauben dürfen? Und wie waren seine Handlungen juristisch zu bewerten, vor allem im Licht des Rechts auf Leben, das in der Internationalen Menschenrechtscharta verankert ist?

Afghanistan bombardierte Tanklastzüge in Kundus
Einer der ausgebrannten Tanker in Kundus Bild: picture-alliance/dpa/J. Kargar

Der afghanische Familienvater Hanan warf Deutschland vor, nicht ausreichend zu dem Luftangriff ermittelt zu haben und zog 2016 mit Unterstützung des in Berlin ansässigen Europäischen Zentrums für Verfassungsrecht vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Straßburger Richter weisen Klage einstimmig ab

Der EGMR hatte die gesamte Geschichte des Falles noch einmal aufgerollt. Jetzt ist er zu dem Urteil gekommen, dass die Fakten detailliert untersucht worden seien und keine Zweifel mehr an den Abläufen vor Ort bestünden. Gleichzeitig stellt er sich auf die Seite der deutschen Justiz, die in verschiedenen Verfahren zu dem Schluss gekommen war, die subjektive Einschätzung von Oberst Klein sei glaubwürdig, der an den Lastwagen nur Taliban und keine Dorfbewohner vermutet hatte.   

Die Obersten Richter in Straßburg folgten auch der Einschätzung deutscher Gerichte, dass der Militärangehörige kein Kriegsverbrechen nach internationalem Recht begangen habe, weil er nicht die Absicht hatte, unangemessene Kollateralschäden zu verursachen. Frühere Instanzen hatten dazu erklärt, dass er keine zivilen Opfer erwartet hatte und dass die Warnungen eines unmittelbar drohenden Anschlags gegen die deutsche Stellung glaubhaft gewesen seien.

Keine individuelle Schuld nachweisbar

Der Menschenrechtsgerichtshof bestätigt darüber hinaus die Bewertung des Falles durch die UN Afghanistan Mission und durch das Rote Kreuz. Ein Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages war darüber hinaus 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass Oberst Klein zwar die ISAF Einsatzregeln verletzt habe und der Luftschlag nicht verhältnismäßig war, sie bewerteten ihn aber als verständlich, weil er nach besten Wissen und Gewissen und zum Schutz der deutschen Soldaten vor Ort angeordnet worden war.

Der deutsche Oberst Georg Klein
Oberst Georg Klein hatte damals den Befehl gegebenBild: dapd

Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Dezember die Klage auf Schadensersatz von Abdul Hanan nicht zugelassen, weil es in diesem Fall keine Amtshaftungsansprüche gebe. Die Bundesrepublik hatte den Familien der Opfer nach der Bombardierung 5000 Dollar als Ausgleich für einen getöteten Angehörigen gezahlt.

Enttäuschte Kläger und Dorfgenossen

Der Kläger zeigte sich nach der Urteilsverkündung enttäuscht. Sein Anwalt sagte: "Die Bombardierung und der Tod von Dutzenden von Zivilisten zieht keine Rüge nach sich", erklärte der Anwalt des Klägers nach dem Urteil. Wolfgang Kaleck, Leiter des Europäischen Zentrums für Verfassungsrecht und Menschenrechte, nannte das Urteil darüberhinaus eine Enttäuschung für Hanan und seine Dorfgenossen.

Immerhin sei klar geworden, dass Regierungen solche Vorfälle untersuchen müssten. 
"Auf der anderen Seite ist es international auch für die Zukunft wichtig, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig ist" fügte der Anwalt hinzu. "Das heißt, dass diejenigen, die solche Militäreinsätze führen, sich juristisch hinterher dafür verantworten müssen, hoffentlich in stärkerem Maße als im Kundus-Fall."  

Der Fall ist abgeschlossen

Er hoffe, dass die deutsche Regierung den Familien der Opfer jetzt eine formelle Entschuldigung zukommen lassen werde, nachdem die Drohung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit vom Tisch sei, so Wolfgang Kaleck.  

Mit dem Urteil aus Straßburg dürfte der lange Zug durch die Instanzen im Fall Kundus abgeschlossen sein. Das Gericht hat die rechtlich außerordentlich komplizierte Materie, bei der internationales und nationales Recht ineinandergreifen, noch einmal im Einzelnen durchleuchtet und entlastet im Ergebnis die deutsche Justiz und Politik. Letztlich kommen die hohen Richter zu dem Schluss, dass der Bombenangriff von Kundus ein furchtbares Ereignis war, an dem individuelle Schuld jedoch nicht nachgewiesen werden konnte.