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Kenias politikverdrossene Mittelklasse

4. August 2010

Kenia gehört zu den wenigen afrikanischen Ländern, in denen eine Mittelklasse gewachsen ist. Aber sie leidet: Viele fürchten um ihren Arbeitsplatz, steigende Lebenshaltungskosten und Korruption belasten viele Familien.

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Ehepaar Muriithi mit ihrer Tochter Sabina (Foto: DW/Brigitta Moll)
Teil der kenianischen Mittelschicht: Familie MuriithiBild: DW

Joseph Muriithi ist ein freundlicher Rektor. Seine Schule hat 15 Klassenräume, die Steingebäude stehen weit entfernt von den Dörfern um Wang’uru, 50 Kilometer nordöstlich von Nairobi. Als Joseph Muriithi hier anfing, war die Schule heruntergekommen. Heute haben die meisten Räume Fenster, die Toiletten haben Wände aus Stein statt aus Wellblech. Bunte Karten von Kenia zieren die Außenmauern. In diesem Umfeld lernen seine Schüler besser, sagt Joseph Muriithi. Seine Frau ist auch Lehrerin. Zusammen verdienen sie etwa 500 Euro im Monat. Damit seine eigenen Kinder gute Chancen im Leben haben, hat der sechsfache Vater viel auf sich genommen. "Wir konnten uns nicht viel leisten. Wir können sonst nichts für die Kinder tun, aber dass wir sie zur Schule schicken konnten, das macht uns sehr stolz", sagt Muriithi. "Dafür haben wir uns Geld geliehen von Freunden und Verwandten. Wir gehen sehr sparsam um mit dem wenigen Geld, das übrig bleibt."

Unbezahlte Praktikantin

Sabina und Tony (Foto: DW/Brigitta Moll)
Sabina und TonyBild: DW

Mit dem geliehenen Geld hat Joseph auch das Studium seiner Tochter Sabina bezahlt. Die 23-Jährige ist zurzeit Praktikantin bei einem Online-Nachrichtenportal. Sie sucht die neuesten Geschehnisse heraus und schreibt kurze Texte. Sie möchte Journalistin werden, aber der unbezahlte Job langweilt sie. Sabina hat seit einem Jahr ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaften von der Universität in Nairobi. Seitdem ist sie auf Jobsuche und wohnt bei ihrem älteren Bruder Tony in der Hauptstadt. Der ist Ingenieur und unterstützt seine Schwester. "Es ist so schwer, einen Job zu finden. Die meisten Leute, die einen Job finden, haben gute Kontakte, besonders in den bekannten Medien läuft das so", sagt Sabina.

Keine ethnischen Spannungen

Es ist Samstag. Sabina und Tony fahren mit dem Auto raus aufs Land, um ihre Eltern zu besuchen. Das flache Haus aus großen Sandsteinen hat Vater Joseph vor einigen Jahren selbst gebaut. Das Dach ist aus Wellblech. Im Hof halten die Muriithis zwei Hennen in einem kleinen Käfig. Bunte Wäsche trocknet in der Sonne auf der Leine.

Familie Muriithi gehört zu den Kikuyu, Kenias größter Ethnie. Aber die Eltern sagen, ihre Freunde und Bekannten gehören vielen verschiedenen Ethnien an. Mutter Juliet sieht sich vor allem als Kenianerin. "Es gibt keinen Stamm, den ich ablehne. Denn wir sind alle menschliche Wesen, alle von Gott gemacht."

Trotzdem: Im Dorf von Familie Muriithi leben überwiegend Kikuyu. Vater Joseph ist Vorsitzender in einem Ausschuss, der bedürftigen Dorfbewohnern mit Geld aushilft. Bei den Treffen sprechen alle Mitglieder ihre gemeinsame Sprache - Kikuyu. Joseph sagt aber, der blutige Konflikt zwischen den Ethnien nach den Wahlen 2007 sei von den Politikern geschürt worden. Überhaupt, die Politiker: In Sabinas sonst freundlichem Gesicht bilden sich Zornesfalten auf der Stirn, wenn sie über Kenias Politiker spricht. "Ich bin so empört und so verärgert über die Politiker! Ich verstehe nicht, wie sie so egoistisch sein können. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen voranzubringen, denen sie dienen sollen. Stattdessen achten sie nur darauf, dass sie selbst gut dran sind", sagt Sabina. Manche seien 15 Jahre lang im Parlament, aber in ihrem Wahlkreis habe sich nichts verändert.

Hoffnung auf ein besseres Leben

Sabina will auf keinen Fall wieder in ihrem Dorf leben. Sie möchte ihren Master im Ausland machen und träumt davon, auf einer Filmschule Regie zu lernen. Aber ein richtiger Job als Redakteurin würde ihr auch genügen. Sie will einfach nur Geld verdienen.

Das Wohnzimmer der Muriithis ist vollgestellt mit Sesseln. An den unverputzten Wänden hängen Jesus-Poster und Bilder von luxuriösen Häusern. "Die richtige Vorbereitung heute bringt morgen den Lohn", steht über dem Bild von der größten Villa.

Joseph Muriithi in seinem Büro in der Schule (Foto: DW/Brigitta Moll)
Joseph Muriithi in seinem Büro in der SchuleBild: DW

Im Fernsehen kündigt die Moderatorin an, dass die offizielle Kampagne um das anstehende Verfassungsreferendum begonnen hat. Familie Muriithi diskutiert viel über die neue Verfassung. Alle hier werden mit "Ja" stimmen. Joseph ist überzeugt, dass das Dokument gut für sein Land ist. "Diese Verfassung wird sehr viel Harmonie herstellen. Sie verbessert die Gewaltenteilung, so dass die Machthaber sich gegenseitig kontrollieren", sagt Muriithi. Das betreffe auch den Präsidenten. Er sei sich sicher, dass die Institutionen unabhängig übereinander wachen werden", ergänzt Muriithi. "Und das wird auch für Kenias Wirtschaft gut sein. Mit der Wirtschaft wird auch die Gesellschaft sich entwickeln." Joseph weiß: Sein Leben wird sich nicht so schnell ändern. Aber seine Kinder, so hofft er, werden einmal ein besseres Leben führen als er selbst.

Autorin: Brigitta Moll
Redaktion: Christine Harjes