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Politik

Die EZB an die Leine gelegt

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
5. Mai 2020

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt der Europäischen Zentralbank ihre Grenzen auf. Sie kann als oberste Hüterin der Eurozone nicht mehr alles tun, was sie vielleicht für nötig hält, meint Barbara Wesel.

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Regenwolken über der Europäischen Zentralbank
Dunkle Wolken über der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am MainBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat das Problem in seiner Einleitung zur Urteilsbegründung selbst formuliert: In Zeiten, in denen europäische Solidarität besonders gefordert sei, wirke dieser Richterspruch auf den ersten Blick irritierend. Das ist richtig und wirkt fast wie eine ironische Bewertung der Brisanz des Urteils.

Die Karlsruher Richter haben es vermieden, der Europäischen Zentralbank direkt in die Knie zu schießen. Ihre Anleihekäufe zwischen 2015 und 2019, noch als Spätfolge der Finanzkrise, seien nicht verfassungswidrig. Aber sie rügen die Bundesregierung und das Parlament, die das Aufkaufprogramm in der Eurozone stärker hätten überprüfen müssen. Und sie verlangen von der EZB, ähnliche Maßnahmen in der Zukunft auf ihre Verhältnismäßigkeit hin abzuklopfen.

"Alles was nötig ist" gilt nicht mehr

Das heißt, sie muss begründen, dass die Nebenfolgen angemessen und hinnehmbar sind. Das wäre etwa der Wegfall von Zinsen für Sparer durch die ständige Ausweitung der Geldmenge oder die Folgen für Immobilienpreise. Bei der EZB in Frankfurt müssen sie sich jetzt hinsetzen und eine ordentliche Begründung für die Verhältnismäßigkeit der jüngsten Anleiherunde schreiben. Das dürfte eine überwindbare Hürde sein.

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Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin in Brüssel

Aber das Urteil weist auch nach vorn, denn es bindet der Bundesbank die Hände. Sie nimmt nach einem festgelegten Kapitalschlüssel, der Größe und Kraft der Volkswirtschaft bewertet, an den Anleihekäufen teil. Ohne sie könnte die EZB die geplanten Anleihekäufe von 750 Milliarden Euro bis zum Jahresende im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht weiterführen. Und vor allem: Die Bundesbank darf keine Staatsanleihen ohne entsprechendes Rating kaufen. Italienische Bonds aber wurden zuletzt nur noch eine Stufe über Junk (Schrott) bewertet - also kurz vor dem Abgrund.

Vom damaligen EZB-Chef Mario Draghi heißt es, er habe nach der Finanzkrise 2008 durch seine Aussage, alles zu tun, was nötig ist, die Eurozone gerettet. Und die jetzige Chefin Christine Lagarde sah sich - nach anfänglichem Zögern - im Kampf gegen die Corona-Krise als seine Nachfolgerin. Allerdings schränkt das Bundesverfassungsgericht jetzt ihren Handlungsspielraum ein.

Italien kann nicht mehr auf die EZB bauen

Der Finanzmarkt hat am Dienstag umgehend reagiert: Nach dem Urteil aus Karlsruhe fiel der Eurokurs. Hier spielt die Psychologie eine Rolle, denn ein Währungsraum, der alles tun kann, um sich zu schützen und die Geldmenge beliebig auszuweiten, erscheint sicherer als eine Eurozone, die sich an Regeln halten muss. Die US-Notenbank und die Bank of England machen vor, wie Fiskalpolitik ohne Grenzen funktioniert.

Besonders für Italien ist das Urteil eine schlechte Nachricht. Die Regierung in Rom kann sich nicht mehr auf die unbegrenzte Feuerkraft der EZB verlassen. Das könnte dazu führen, dass ihre Anleihen weiter abrutschen und vor allem, dass der Risikoaufschlag für italienische Anleihen, und damit die Kosten, steil ansteigt.

Die Politik muss jetzt entscheiden

Für die Bundesregierung ist das Urteil zwar keine Katastrophe, aber es kommt zur ganz und gar falschen Zeit. Sie hat sich nämlich - gemeinsam mit Holland und anderen - um die heikle Frage herum gemogelt, wie die Mega-Milliardensummen eigentlich aufgebracht werden, mit denen die wirtschaftliche Erholung nach Corona in Italien, Spanien und Frankreich finanziert werden soll.

Bisher hielt sich die Aufregung in Grenzen, weil Berlin davon ausging, dass die EZB die Hauptlast tragen könnte, in dem sie große Mengen billigen Geldes zur Verfügung stellt. Wenn dem aber Grenzen gesetzt werden sollen, müssen die Regierungen andere Lösungen suchen und vor allem demokratisch legitimierte Entscheidungen treffen.

Den im Süden Europas so lautstark geforderten Corona-Bonds hatte die Bundeskanzlerin wegen rechtlicher Bedenken schon eine Absage erteilt. Sollte die Eurozone zu einer regelrechten Schuldengemeinschaft werden, müssten sowohl die Verfassung als auch der EU-Vertrag geändert werden. Beides gilt als unmöglich.

Auch Umwege sind schwierig

Aber wäre nach dem Karlsruher Urteil die geplante Umwegfinanzierung für einen Corona-Fonds noch rechtmäßig? Nach diesem Konzept würde die EU-Kommission Schulden machen, um Italienern und anderen mit Milliardeninvestitionen unter die Arme zu greifen. Aber nach den Verträgen ist solch ein Verfahren eigentlich auch nicht zulässig.

Die Rufe nach europäischer Solidarität in schlechten Zeiten sind billig. Denn die Umsetzung ist viel schwieriger, als die Befürworter wahrhaben wollen. Auf jeden Fall gilt jetzt, dass die Regierungen klare Entscheidungen treffen, sie rechtlich prüfen und vor ihren Wählern vertreten müssen. Insoweit dürfte der Richterspruch aus Karlsruhe nicht nur auf den ersten, sondern vor allem auf den zweiten und dritten Blick für die Politik ziemlich irritierend sein.