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Politik

Die EU muss kämpfen und teilen

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
27. Januar 2021

Europa hat zu wenig Impfstoff, weil die Hersteller ihre Verträge nicht erfüllen. Die Weitergabe der Patente könnte die Produktion beschleunigen und globale Probleme lösen, meint Barbara Wesel.

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Symbolbild Impfstoff AstraZeneca Coronavirus Impfstoff
Bild: Leon Neal/Getty Images

Noch zum Jahresanfang hatten wir die Hoffnung, 2021 könnte uns durch flächendeckende Impfkampagnen schnell aus dem Dunkel der Corona-Einschränkungen erlösen. Aber die Zuversicht bröckelt, denn Europa hat aufgrund von Bürokratie und Organisationsfehlern den schnellen Start für die Massenimpfungen verpasst. Die EU liegt mit derzeit nur zwei Prozent geimpfter Bevölkerung weit abgeschlagen hinter den USA, Israel oder Großbritannien. Und nachdem die Impfungen endlich in Gang gekommen sind, fehlt es nun an Impfstoff. Jetzt muss Europa den Kampf mit der Pharmaindustrie aufnehmen.

Im Prinzip hatte die Europäische Union alles richtig gemacht. Sie kaufte im vorigen Sommer im voraus - also noch bevor die Entwicklungen überhaupt abgeschlossen waren - Bezugsrechte für die dreifache Menge von Impfstoff, die für die EU-Bürger gebraucht wird. Dabei setzte sie auf die damals acht wahrscheinlichsten Erfolgskandidaten, darunter auch die Sieger des Forschungswettlaufs: BioNTech-Pfizer, Oxford/Astra Zeneca und Moderna.

Konzerne haben zu viel versprochen

Das größte Problem aber, welche Pharmahersteller überhaupt in kürzester Zeit hunderte Millionen von Dosen der neuen Impfstoffe herstellen können, blieb dabei ungeklärt. Oder vielmehr: Die EU-Kommission hat sich auf die Zusagen der Konzerne verlassen. Jetzt müssen diese einräumen, dass ihre Produktionsstätten zu klein sind, die Zulieferer nicht nachkommen oder sonstige Verzögerungen entstehen. 

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DW-Europakorrespondentin Barbara Wesel

Die Herstellung der neuen Impfstoffe ist komplex. Die Produktionsverfahren müssen genehmigt werden und die beteiligten Konzerne geraten an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Astra Zeneca etwa produziert den an der Uni Oxford entwickelten Impfstoff, hat aber auf diesem Gebiet kaum Erfahrung. Und hinter dem Moderna-Präparat - aus einem Forschungsinstitut in Boston - steht überhaupt kein Pharmariese. Der Impfstoff soll von mehreren Pharmadienstleistern in Europa gemeinsam hergestellt werden. Das verspricht nicht unbedingt eine reibungslose und schnelle Massenproduktion.

Die Forschung war viel schneller darin, die COVID-Impfstoffe zu entwickeln, als sogar Optimisten erwartet hatten. Jetzt aber scheitern das flächendeckende Impfen daran, dass die beteiligten Unternehmen nicht ausreichend liefern können. Die lukrativen Verträge mit der EU haben sie gern unterschrieben. Aber ist Europa jetzt machtlos, wenn die Unternehmen es nicht schaffen, die versprochenen Mengen zu liefern?

Gebt die Patente weiter!

Es gibt ein Mittel, um das Dilemma zu lösen, und das ist die Weitergabe der Patente. Was nach Brachialsozialismus klingen mag, ist in einer globalen Gesundheitskrise ein angemessenes Mittel. Ein finnischer Abgeordneter mahnte jetzt im Europäischen Parlament: Drei Monate Verzögerung bei der Impfkampagne bedeuteten hunderttausende zusätzliche Tote. Weitere Argumente erübrigen sich.

Idealerweise sollten die Unternehmen selbst zustimmen, dass der Bauplan ihrer Impfstoffe weitergegeben wird. Aber bisher hat kein Konzern Rechte freigegeben. Dabei geht es nicht um die Enteignung geistigen Eigentums - natürlich müssen den Inhabern der Patente Entschädigungen gezahlt werden. Abzüglich allerdings der riesigen Summen, die Regierungen in die Entwicklung dieser Impfstoffe investiert haben. Die öffentliche Hand hat Milliarden ausgegeben, um die Forschung zu unterstützen. Welche Auflagen waren damit eigentlich verbunden? Und welche Rechte erwachsen jetzt den beteiligten Regierungen daraus?

Die Politik hat in der gegenwärtigen Situation genug gute Gründe, um den Pharmakonzernen die Stirn zu bieten und notfalls die Weitergabe der Technologien durchzusetzen. Wir haben die Pandemie bei weitem nicht im Griff, der volkswirtschaftliche Schaden steigt, wie auch die sozialen und gesundheitlichen Folgen für die Menschen. Am Ende gibt es für die EU-Kommission und die europäischen Regierungen nur ein Argument: Wir müssen das Leben unserer Bürger schützen!

Europäischer Egoismus nützt nichts

Und es gibt einen weiteren guten Grund, die Rechte für die Impfstoffe schnell zu teilen: Die Weltgesundheitsorganisation fordert das längst, damit auch arme Länder versorgt werden können. Denn was nützt es Europa, wenn hier alle geschützt sind, aber aus anderen Teilen der Welt immer wieder neue Mutationen vordringen? 

Europas Regierungschefs haben sich schon im vorigen Jahr dazu bekannt, den Kampf gegen COVID-19 als globale Aufgabe zu behandeln. Aber das war ein Lippenbekenntnis. Jetzt ist es höchste Zeit, den Worten auch Taten folgen lassen. Denn die flächendeckende Produktion von Impfstoffen ist eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann. Und es muss schnell gehandelt werden, denn wir haben absolut keine Zeit zu verlieren. Denn die Zahl der Gräber wächst unaufhörlich.