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Politik

Die Presse schützen. Auch, wenn sie daneben liegt

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Jens Thurau
22. Juni 2020

Der Artikel der 'taz' über Polizisten in Deutschland ist dumm und menschenverachtend. Die Autorin deswegen verklagen zu wollen, ist trotzdem keine gute Idee von Bundesinnenminister Horst Seehofer, meint Jens Thurau.

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Deutschland Berlin Redaktionsgebäude der taz
Von 1989 bis 2018 Sitz der taz-Redaktion: Das Rudi-Dutschke-Haus im alten Berliner ZeitungsviertelBild: picture-alliance/dpa/G. Breloer

Eines erst einmal vorweg: Die Kolumne, der Satireartikel, was auch immer das sein mag, der Autorin Hengameh Yaghoobifarah in der alternativen Tageszeitung 'taz' ist unsäglich. Er behandelt die Frage, was mit Polizisten geschehen soll, wenn es die Polizei nicht mehr gibt. Neue Berufe? Funktioniert nicht, so die Autorin. Eigentlich bleibe nur "...die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."

Menschen als Abfall zu bezeichnen, weist zurück in die dunkelste deutsche Geschichte. Und ist einfach nur unfassbar dämlich. Was genau uns die Autorin sagen will, ist unklar, ein satirischer Bezug ist wenig erkennbar. Der Artikel gehört in die schlimme Kultur des lauten Schreiens auf Papier - ohne leise, süffisante Untertöne, ohne Selbstironie. Das passiert, wenn man all dem Dreck, der Häme und der Aggressivität in den Sozialen Medien auch im klassischen Journalismus hinterherläuft. Motto: Hauptsache deftig draufhauen, dann stiegt die Leserzahl.

Hohe strafrechtliche Hürden

Trotzdem ist es keine wirklich gute Idee von Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Autorin deshalb zu verklagen. Die Hürden dafür, dass Journalisten strafrechtlich belangt werden können für das, was sie schreiben, sind hierzulande zu Recht hoch. Nie darf eine Bundesregierung sich auch nur dem Verdacht aussetzen, die Pressefreiheit einzuschränken - vor  allem nicht in Zeiten, in denen das in anderen Demokratien, wie in den USA oder in Ungarn, tatsächlich gerade geschieht. Auch deshalb hieß es am Montag in Berlin, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei mit Seehofer "im Gespräch" über die Anzeige. Mit anderen Worten: Sie will ihn überzeugen, das lieber sein zu lassen. Gut so.

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Klar scheint zu sein: Die Ruhe, die Besinnlichkeit, die Nachdenklichkeit der Corona-Beschränkungen ist vorbei. Hatten wir wirklich geglaubt, die Pandemie würde die Menschen zum Einlenken bringen, sie nachdenklicher machen? Darüber, was wir gegenwärtig eigentlich tun, in welchem Tempo wir uns verändern, wie sich Gesellschaften immer mehr polarisieren? Ist leider nicht passiert. Seit einigen Wochen gibt es eine Debatte um Rassismus auch in der deutscher Polizei (zu Recht). Aber es gibt eben auch heftige Übergriffe auf Polizisten - von links und rechts: bei Demos gegen Rassismus oder gegen die Corona-Beschränkungen. Und zuletzt in beispiellosem Ausmaß an diesem Wochenende in Stuttgart, nachdem ein 17-jähriger wegen Drogenverdachts kontrolliert wurde. 

Deshalb will der Innenminister nun ein Zeichen setzen und sich demonstrativ vor die Beamten stellen, indem er eine Journalistin verklagt. Während zeitgleich bei Twitter und Facebook weiter gehetzt und beleidigt wird. Seehofer wird damit keinen Erfolg haben und die Polarisierung nur noch weiter befördern. Im Übrigen hat die 'taz' sich für den Artikel längst entschuldigt.

Ausgerechnet der Verfassungsminister

In den Medien arbeiten keine Heiligen, wie man sieht. Aber gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig die freie Presse ist - vor allem die klassischen Medien wie Zeitungen, TV-Nachrichten, Radio, öffentlich-rechtliche Sender. Die Menschen wollen, wenn es ernst wird, sachliche Informationen. Das können die Medien nur leisten, wenn sie sich frei von staatlicher Verfolgung fühlen. Von wütenden Bürgern werden sie ohnehin schon mit Gift und Galle überzogen.

Horst Seehofer ist als Innenminister auch Verfassungsminister, in der die Pressefreiheit garantiert ist - das hat er gerade vergessen. Und für die 'taz' und ihre umstrittene Autorin gilt: Schämen sollten sie sich, möglichst lange. Vor ein Gericht aber gehören weder die Journalistin noch ihr Blatt.