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Politik

Zeit, sich von kolonialen Relikten zu befreien

Chrispin Mwakideu Kommentarbild App PROVISORISCH
Chrispin Mwakideu
24. Juni 2020

Ganz Afrika ist bis heute durchzogen von Namen, die aus der Kolonialzeit stammen. Dabei hat der Kontinent ganz eigene Traditionen. Darüber hinaus wartet noch eine viel größere Aufgabe, meint Chrispin Mwakideu.

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Südafrika Statue von Cecil John Rhodes wird entfernt
Am 9. April 2015 wurde das Denkmal von Cecil Rhodes vor dem Portal der Universität Kapstadt entferntBild: Reuters/M. Hutchings

Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond und rammte mit seinem Kollegen Buzz Aldrin eine US-Flagge in den Mondboden. Diese Flagge war nicht nur ein Symbol des Stolzes der USA - sondern auch der Eroberung.

Bis zu diesem Tag im Jahr 1969 hatten sich viele afrikanische Staaten selbst aus kolonialer Herrschaft befreit. Obwohl sich heute alle Staaten Afrikas stolz als unabhängig bezeichnen können und ihre eigenen Flaggen hissen, sind koloniale Symbole mehr als ein halbes Jahrhundert später immer noch fest im Kontinent verankert - wenngleich nicht mehr so sichtbar wie zuvor.

Spuren der Kolonialzeit

Wie sonst kann man es erklären, dass Afrikas größter Süßwassersee immer noch nach der britischen Monarchin Victoria benannt ist?

Die Ostafrikaner, die den englischen Forscher John Hanning Speke als ersten Europäer an sein Ufer führten, nannten ihn Nyanza-See. Dennoch entschied Speke, ihn umzubenennen. Entweder hatte er die Sprache nicht verstanden oder es war ihm einfach egal, da er auf "Eroberungsmission im Auftrag Ihrer Majestät" war - in diesem Fall, um die Quelle des Nils zu finden.

Der ganze Kontinent ist übersät mit solchen kolonialen Relikten. Wahrzeichen, Straßen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und in manchen Fällen sogar Kasernen tragen noch immer koloniale Namen.

Im Zentrum von Ugandas Hauptstadt Kampala ist eine Straße nach Speke benannt. Doch das könnte sich bald ändern, da ostafrikanische Staaten darüber nachdenken, Straßennamen mit Verbindung zur Kolonialzeit zu tilgen. Darin eingeschlossenen sind Straßen, die den Forscher Sir Henry Johnston ehren, den Abgesandten Henry Edward Colvile, das britische Kolonialregiment "King's African Rifles", Prinzessin Anne, Prinz Charles und auch die amtierende britische Königin Elizabeth II.

Denkmäler entfernen

Es macht Hoffnung, dass nun auch Großbritannien eine Debatte über seine koloniale und imperialistische Vergangenheit in Afrika führt, auch wenn es dafür des gewaltsamen Todes des schwarzen Amerikaners George Floyd bedurfte.

Ein College in Oxford kündigte an, es wolle die Statue von Cecil Rhodes von seiner Fassade entfernen - dem Mann, nach dem die heutigen Staaten Simbabwe und Sambia benannt waren: Süd- und Nordrhodesien. Ein Denkmal für Edward Colston, der ein Vermögen im transatlantischen Sklavenhandel machte, wurde in Bristol von Demonstranten ins Hafenbecken geworfen. Die Statue soll nun in einem Museum aufbewahrt werden.

In Afrika wurden bereits in den vergangenen Jahren Statuen von Königin Victoria, Cecil Rhodes, König Leopold II. von Belgien und diversen anderen Personen entfernt. Einige Statuen oder Monumente schrieben selbst Geschichte, wie die Vasco-da-Gama-Säule, die der Portugiese 1498 im kenianischen Malindi als Wegmarke für Schiffe errichtete, die auf dem Weg nach Indien waren. Heute ist die Säule eine Touristenattraktion. Menschen müssen dafür bezahlen, damit sie sie sehen können. Sie zu zerstören, wäre ein Frevel - obwohl der Seeweg, den da Gama fand, es den Portugiesen ermöglichte, in Asien ein koloniales Reich zu schaffen.

Die Afrikaner müssen deswegen abwägen und entscheiden, welche Relikte der Kolonial- und Sklavenzeit sie behalten wollen und welche nicht. Beispiele gibt es genug.

Warum Victoriafälle und nicht Mosi-Oa-Tunya-Fälle?

Die Iguazu-Wasserfälle an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien haben ihren Namen aus indigenen Tupi-Guarani-Sprachen bekommen und heißen übersetzt "große Wasser". In Afrika gibt es ähnlich großartige Wasserfälle an der Grenze zwischen Simbabwe und Sambia: die Victoriafälle.

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DW-Redakteur Chrispin Mwakideu stammt aus Kenia und arbeitet derzeit als Korrespondent in Ghana

Warum schon wieder Victoria? Im Geschichtsunterricht in der Schule in Kenia wurde mir beigebracht, dass David Livingstone, der berühmte schottische Missionar und erste Weiße, der das majestätische Naturwunder sah, sie nach der Königin benannte. Warum aber habe ich nicht gelernt, dass die Simbabwer schon lange zuvor einen Namen für sie hatten, nämlich "Mosi-Oa-Tunya", also "donnernder Rauch"?

Königin Victoria, die Regentin des britischen Empire, starb 1901. Warum sollen wir mehr als ein Jahrhundert später weiterhin ihren Namen für eines der bedeutendsten afrikanischen Naturdenkmäler nutzen, das seit Urzeiten einen afrikanischen Namen hatte?

Afrikanische Namen für afrikanische Städte

Auch Städte gibt es noch in Afrika, die weiterhin Namen tragen, die ihnen die Kolonialherren gaben. Nehmen Sie beispielsweise die nigerianische Millionen-Metropole Port Harcourt: 1913 gab ihr Frederick Lugard den Namen. Ihm war danach, mit der Benennung einer ganzen Stadt den damaligen Staatssekretär für Kolonien, Lewis Vernon Harcourt, zu ehren. Vor der Ankunft der Briten hieß die Stadt in der Ikwerre-Sprache "Iguocha" und die Igbo nannten ihre Hafenstadt "Ugwu Ocha", was soviel wie "strahlender Horizont" bedeutet.

Lagos, Nigerias mit Abstand größte Stadt, war unter dem Namen Eko bekannt - bis die Portugiesen kamen und ihn änderten. Das Gleiche passierte mit Johannesburg in Südafrika, Rabat in Marokko, Walvis Bay in Namibia, Winneba und Cape Coast in Ghana.

Sogar der westafrikanische Staat Sierra Leone verdankt seinen Namen einem Portugiesen. Der Forschungsreisende Pedro de Sintra nannte es "Serra Lyon" - Löwengebirge. Der Legende nach hörte de Sintra in den Bergen rund um den Hafen Löwen brüllen. So kreativ und poetisch das sein mag - und ich gebe zu, dass ich den Klang des Namens Sierra Leone mag - haben die Einheimischen ihren eigenen Namen für ihr Land. Es ist an ihnen zu entscheiden, ob sie diesen zurückhaben oder "Sierra Leone" beibehalten wollen.

Zurückgeben, was genommen wurde

Koloniale Benennungen in ihre originalen afrikanischen Namen zurück zu ändern, ist kein Versuch, die Geschichte umzuschreiben. Das haben bereits diejenigen getan, die in Afrika eingedrungen sind, um den Kontinent zu versklaven und zu kolonialisieren.

Die alten afrikanischen Namen wieder einzuführen, bedeutet nur zurückzugeben, was genommen wurde. Und wenn das passiert ist, können wir vielleicht anfangen, über die künstlichen, auf afrikanische Volksgruppen und Ethnien keinerlei Rücksicht nehmenden Grenzen zu reden, welche die Kolonialmächte bei der Berliner Konferenz 1884/85 gezogen haben. Bei der übrigens kein einziger Afrikaner anwesend war.